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von Heraclius als helede Rômære (V. 11247) angesprochenen Soldaten werden zu diesem Zeitpunkt bereits völlig äquivalent als cristen (V. 11258) bezeichnet. Das biblische Beispiel kann also sowohl die christlichen Römer in Heraclius’ Heer, als auch das christliche Publikum der Kaiserchronik im 12. Jahrhundert ansprechen.

      In der zweiten Hälfte der Heraclius-Episode kehrt der Kaiser siegreich von seinem als Kreuzzug stilisierten Feldzug gegen den heiden Kosdras zurück. Mit dem zurückeroberten Wahren Kreuz im Gefolge will er im Triumphzug in Jerusalem Einzug halten, doch ein Engel hält ihn auf und ermahnt ihn die Stadt – in Nachahmung Christi, der auf einem Esel einritt – bescheidener zu betreten. Daraufhin macht sich Heraclius prompt barfuß und in wollenen Kleidern auf den Weg (V. 11310–11345). Um die Exemplarität dieser zweiten Passage von Heraclius zunächst auf ein historisches intradiegetisches Kollektiv – die christlichen Römer – und dann auf ein gegenwärtiges extradiegetisches ausdehnen zu können, wird Heraclius’ Vergehen – ubermuot (V. 11344) – kollektiviert.9 Bevor das römische Heer Jerusalem erreicht, wird bereits vorausgedeutet, dass es wegen seiner grôze[n] ubermuote (V. 11312) in micheln nôten (V. 11313) geraten wird. Faktoren, welche Heraclius und seine Truppen als dem deutschsprachigen Publikum der Chronik fremd markieren könnten – wie etwa Heraclius’ byzantinischer Hintergrund – werden unterdrückt. Durch die Stilisierung seines Feldzuges als Kreuzzug wird zusätzliche Vertrautheit für eine Zuhörerschaft aus der Mitte des 12. Jahrhunderts geschaffen.

      Die Ausdehnung der historischen Analogie durch die römische Vergangenheit hindurch bis in die Gegenwart des 12. Jahrhunderts wird am Ende der Episode noch einmal durch den Erzähler explizit gemacht. Nachdem Heraclius und sein Heer in Jerusalem eingezogen sind, heißt es:

       daz ist uns armen gesaget ad exemplum:

       von diu suln wir unsern hêrren

       vurhten und flêgen

       mit zuhten unt mit guote,

      mit grôzer deumuote. (V. 11339–11343)

      Mit uns armen fasst der Erzähler sich und sein Publikum als Rezeptionsgemeinschaft zusammen, die von der historischen Exemplarität dieser Episode profitieren sollen.

      Diese Exemplarität erstreckt sich in der Heraclius-Episode also über drei Zeitebenen – eine biblische, eine antike und eine gegenwärtig-mittelalterliche. Um auf solche Weise funktionieren zu können, müssen die qualitativen Unterschiede zwischen diesen Ebenen so weit wie möglich nivelliert werden. Die Mobilisierung, Atomisierung und Neuverknüpfung des Heraclius-Materials und die Angleichung an zeitgenössische Diskurse, welche innerhalb des Episodenrahmens möglich werden, leisten genau dies.

      Je weiter die Narration der Kaiserchronik in der geschichtlichen Zeit des römischen Reiches voranschreitet, umso mehr verringert sich die Distanz zwischen der erzählten Vergangenheit und der erlebten Gegenwart von Autor und Publikum. In diesem Progress illustriert die Chronik ihr eigenes axiales Paradigma, welches darauf abzielt, Vergangenheit und Gegenwart bedeutungsvoll aufeinander zu beziehen. So überführt sie innerhalb ihres quantifizierenden Episodengerüstes historische Differenz in Distanz. Indem qualitative Unterschiedlichkeit in Ähnlichkeit übersetzt wird, werden die Narrative, welche in der Kaiserchronik die Vergangenheit repräsentieren, mobilisiert und in dynamischer Weise auf die Gegenwart des 12. Jahrhunderts beziehbar. Historische Distanz wird entwickelt als eine quantitativ fassbare Dimension des Zählbaren, des durch Ähnlichkeit Vergleichbaren und aufeinander Beziehbaren. Diese Dimension entsteht durch die Konstruktion eines durch Repetition und Kontinuität bestimmten, quantitativ organisierten Gerüsts, innerhalb dessen die historische und politische Konsistenz des Römischen Reiches verankert wird. Oben wurde dies am Beispiel der Heraclius-Episode vorgeführt. In ihr wird durch das spezifische Zusammenwirken von Inhalt der Episode und Einbettung der Episode ins Episodengerüst die imperiale Vergangenheit für ein gegenwärtiges Publikum nutzbar gemacht.

      Römische Herrscher – ‚Deutsche‘ Gegner

       Zur Konstruktion von Geschichte in der Kaiserchronik

       Elke Brüggen

       Hans-Joachim Ziegeler zum 28. November 2019

      I. Einleitung

      Den Auftakt zum XXV. Anglo-German Colloquium ‚Geschichte erzählen: Strategien der Narrativierung von Vergangenheit in der deutschen Literatur des Mittelalters‘ wird man als markant bezeichnen dürfen. Mit sechs Vorträgen, die ganz oder teilweise der Kaiserchronik1 gewidmet waren, galten diesem Text mehr als ein Viertel der gesamten Präsentationen. Der Befund ist signifikant, verweist er doch auf die gesteigerte Aufmerksamkeit, welche die Kaiserchronik in der aktuellen Forschung erfährt. Ihre neuerliche Präsenz im mediävistisch-germanistischen Diskurs wird zum einen in dem von Mark Chinca und Christopher Young (Universität Cambridge) in Kooperation mit Jürg Fleischer und Jürgen Wolf (Universität Marburg) und der Universitätsbibliothek Heidelberg betriebenen Editionsprojekt greifbar,2 mit dem die Bearbeitung eines schon seit längerem formulierten Forschungsdesiderats3 in Angriff genommen wurde, zum anderen in der von Mathias Herweg 2014 vorgelegten zweisprachigen Auswahlausgabe der A-Fassung, die dem Text den Weg in den akademischen Unterricht an deutschen Universitäten geebnet hat.4 In den letzten zehn Jahren ist zudem eine ganze Reihe von Publikationen in unterschiedlichen Formaten erschienen;5 allein 2016 und 2017 kamen neben einem neuen Sammelband mit zehn Beiträgen6 vier substantielle Artikel von Mark Chinca und Christopher Young, Mathias Herweg und Claudia Wittig heraus,7 die bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (‚Uses of the Past‘, ‚Political Didacticism‘, Formen der Kohärenzstiftung) immer auch die Frage nach der Art des Erzählens im Blick haben. Damit wird ein Zugriff auf den Text weiterverfolgt, der insgesamt als charakteristisch bezeichnet werden kann für die Neubelebung der literaturwissenschaftlichen Diskussion über einen Text, der, mittlerweile mit einer Fülle auszeichnender Qualifizierungen bedacht,8 als Experiment historischen Erzählens derzeit intensiv gewürdigt wird und somit als eine ebenso seltsame (wenn auch erklärliche) wie bemerkenswerte Ausnahme zu einer jüngst von Heike Sahm mit Recht beklagten Vernachlässigung des Frühmittelalters und der für seine Erforschung notwendigen Kompetenzen gelten darf.9

      In meinem Beitrag „Römische Herrscher – ‚Deutsche‘ Gegner“ gehe ich der Frage nach, mit welchen Effekten und aufgrund welcher Konzeption(en) in verschiedenen Teilen der Kaiserchronik ‚Deutsche‘ als Gegner der römischen Herrscher dargestellt und zueinander in Beziehung gesetzt werden; der Begriff der ‚Deutschen‘ fungiert in diesem Zusammenhang als ein heuristisches Verständigungsinstrument, dessen Beibehaltung mit Blick auf die zuletzt von Uta Goerlitz entfaltete Problematisierung der Verabredung bedarf;10 er wird daher in substantivischer wie in adjektivischer Verwendung im Folgenden durchgängig in einfache Anführungszeichen gesetzt. Im Kontext der vorliegenden Fragestellung ist zunächst der Caesar-Abschnitt mit seiner Erzählung von den ‚deutschen‘ gentes von Belang, die Caesar zunächst unterwirft, um sie dann in einem Zug gegen Rom zu vereinigen. Die Analyse wendet sich sodann dem Tarquinius-Abschnitt und damit der Figur des Trierers und Wahlrömers Conlatinus zu, der in eine Konkurrenz zum römischen Herrscher Tarquinius tritt und der dessen Willkürherrschaft schließlich mit einem persönlich wie politisch motivierten Mord ein Ende setzt.11 Ich rücke damit ein Verfahren in den Blick, das in dem von Mathias Herweg vorgestellten Ebenenmodell zur Beschreibung von Strategien erzählerischer Kohärenzstiftung in der Kaiserchronik auf der mittleren Ebene der Abschnitte angesiedelt ist, auf der „Rekurrenzen von Schemata, Begriffen (und Eigennamen) sowie Motiven, dazu wiederkehrende Erzählkerne“ den Zyklus zusammenhalten.12 Das verbindende Moment stellt im Falle der ausgewählten Erzählungen die Opposition, ja die Konfrontation zwischen einem römischen Herrscher und einer Einzelperson respektive einem Kollektiv mit ‚deutscher‘ Herkunft dar, eine Konfrontation, welche die Gestalt einer Rebellion (‚Erhebung‘) annimmt; diese kann indes im Laufe der Erzählung wiederum in ein gemeinschaftliches Handeln im Interesse des rîches transformiert werden, sie kann sich aber auch auf der Grundlage

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