Скачать книгу

sondern auf den Heros bezieht, der es begründet, auf Julius Caesar, den Eroberer und Weltherrscher. Der Eber bezwingt alle Feinde wie Julius alle Länder: sie dienten elliu sîner hand (V. 576); er allein dient niemandem. Von ihm wird das auf die frîheit des römischen Reichs übertragen, das nie unterworfen werden wird, nicht auf Grund seiner heilsgeschichtlichen Qualität, sondern dank seiner physischen Überlegenheit. Frî ist eine Adelsqualität; wer frî ist, ist niemandem unterworfen. Die Prophezeiung wird im Sinne einer feudalen Kriegergesellschaft überschrieben.

      Das bestätigt sich, wenn man den Eber in der Kaiserchronik weiter verfolgt. Aus dem heilsgeschichtlichen Symbol wird in der Geschichte des Kaisers Titus ein Feldzeichen. Titus erscheint keineswegs als einer „der vorbildlichsten Kaiser des römischen Reichs“,33 „mit allen vorbildlichen Tugenden ausgezeichnet“,34 sondern primär als ein erfolgreicher Krieger. Die Vorgeschichte seiner Herrschaft ist von urliuge unt strît geprägt (V. 4838), mit heroischen Taten und riesigen Verlusten. Sein Vater Vespasian wird von den Römern vorübergehend sogar abgesetzt. Er erobert Jerusalem und führt dann mit Titus einen blutigen Krieg gegen einen König von Babylonje. Um Roms Ehre zu bewahren, verfolgt Titus die Babylonjer bis in ihr Land. Dabei führt er eine grüne Fahne, die überdeutlich auf die Danielsprophezeiung anspielt:

       mit golde was geworht dar an

       ain eber wilde

       in wunderlîchem pilde

       der selbe eber zehen horn truoc,

       mit dem er sîne vîande nider sluoc.

       wol bezaichenet uns das eberswîn

      daz daz rîche ze Rôme sol vor den andern sîn (V. 5264–5270)

      Vor den andern sîn ist eine Paraphrase von frî. Sie deutet auf physische Überlegenheit, nicht heilsgeschichtliche Auszeichnung. Der Sieg im Zeichen des Ebers ist ein heroischer Kampf von helden um Ehre (V. 5236; 5252; 5271):

       daz sperwehsel wart alsô grôz,

       daz bluot allenthalben von in flôz.

       ir wart alsô vil erslagen:

       Mit tôten fulten si die graben.

       dâ wart der swerte ain michel clanc

       duo Tîtus in daz burgetor dranc,

       do gefrumte der helt Tîte

       manige wunden wîte,

      manigen bluotigen schiltes rant.

       da belac inne manic wîgant,

       manic helt guoter

       betrôret mit dem bluote,

       die sih doh wol werten

      die wîle daz si lebeten. (V. 5287–5300)

      Ohne Zweifel ist zwar gegenüber der exegetischen Tradition das Bild des Titus positiviert. Titus und Vespasian, die die heilige Stadt zerstören, hatte diese Tradition nämlich auf den Psalmvers des aper de silva bezogen, und zwar auf seine ursprüngliche negative Bedeutung: Vespasian und Titus verwüsten Jerusalem, den Garten Gottes.35 Auch in der Kaiserchronik zerstört Vespasian Jerusalem; doch ist das nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zum legitimen Kampf gegen Babylonje. Der aper de silva wird aus dem ursprünglichen Zusammenhang gelöst, indem Titus das Eberzeichen nicht bei der Zerstörung des heiligen Landes, sondern beim Rachekampf gegen den König von Babylonje führt. Dieser Kampf aber ist wieder im Sinne einer feudalen Ethik umgedeutet. Er dient nämlich römischer êre (V. 5168) und „erscheint als Rachefahrt wegen der Erschlagung römischer Männer in Jerusalem“.36 Der Kampf gegen Babilonje wird begründet: si sluogen uns unser mâge, / duo wir ze Jerusalêm wâren (V. 5243f.). Rache für Verwandte ist ein einleuchtendes Motiv innerhalb der feudalen Kriegergesellschaft.

      Aufgewertet wird der Kaiser Titus, indem er zum feudalen Heros stilisiert wird. Zwar werden auch hier schon die Babylonjer haiden genannt (V. 5228) wie später die Gegner des christlichen Herrschers Heraclius. Aber Titus wird noch nicht als Anführer in einem Kreuzzug dargestellt , sondern als Heerführer eines heroischen Rachefeldzugs, der die Ehre Roms wiederherstellt.37 Seine Rede an seine Krieger kommt ohne jede heilsgeschichtliche Perspektive aus:

       Owol ir Rômære,

       gedenket an di grôzen êre,

       die unser vordern uns habent an brâcht,

       sîn ist nehainer slahte rât,

       wir nesuochen siu dâ haime,

       iz wirt in noh ze laide.

       si sluogen uns unser mâge,

       duo wir ze Jerusalêm wâren.

       dar umbe wil ouh ih ersterben,

       ode si muozen gerochen werden

       an wîben unde an kinden.

       wir suln in ze hûs bringen

       die vil laiden geste.

       nû weset nôtveste!

      geêret elliu rômisken lant! (V. 5239–5253)

      Wer sich dieser Verpflichtung entzieht (swer in dâ entrunne) solle gescaiden sein von allen rômiscen êren (V. 5252–5258). In diesem Sinne tritt Titus den Feldzug unter der Eberfahne an.

      Der Eber hat noch einen weiteren Auftritt. Auch Pius Antonius kämpft unter dem Zeichen des Ebers (V. 7364; 7392) mit manigem helde edele (V. 7365). Hier aber ist er nur noch Feldzeichen. Da von vorneherein jeder heilsgeschichtliche Zusammenhang fehlt, trägt dieser goldene Eber nicht die Hörner der Danielsprophezeiung. Pius Antonius kämpft gegen den Angriff des Alarîcus in einer unerhört blutigen, aber auch unglücklichen Völkerschlacht:

       ich waene, ê noch sît enwart

      sturm alsô fraissam (V. 7359f.)

      Das ist eine formelhafte Hyperbel profaner Heroik:

      daz man iz iemer ze maere mac sagen. (V. 7380)

       daz manz ze mære sagen mac

      unz an den jungisten tac (V. 7418f.)

      Wieder erreicht der Blutpegel heldenepisches Niveau: mit tôten fulten si di grâben (V. 7381). In den Tiber fließt so viel Blut, dass er schiffbar wird (da maht man mit sceffen hinne varn, V. 7384); es gibt so viele Tote, dass kein Buch sie zählen kann (ir wart alsô vil erslagen, / daz ir daz buoch nehain zal hât, V. 7385f.). Keine heilsgeschichtliche Bedeutung verhindert jedoch, dass entgegen der Prophezeiung Daniels der Eber zuletzt niedergestochen wird (V. 7392) und Alarich Rom erobert.

      Eine heilsgeschichtliche Überformung profaner Geschichtsüberlieferung ist also nicht einmal dort konsistent, wo die Kaiserchronik auf heilsgeschichtliche Symbolik wie in der Danielsprophetie aufbauen könnte. Sie deutet deren geschichtstheologische Metaphorik nach dem Vorbild volkssprachiger Heldenepik um.38 Die Tiere der Danielprophezeiung erlauben, in die crônicâ der Kaiser ein heroisches Register einzuspielen, d.h. diejenige Form, in der die laikale Kriegergesellschaft ihre Geschichte erinnert. An entscheidenden Stellen geschichtstheologischer Deutung fällt der weltgeschichtliche Horizont für die chronologische Kaiser-Papst-Geschichte aus. Ohlys einhellig geistliche Deutung kann deshalb nicht ganz aufgehen. Die Veränderungen an der alttestamentlichen Prophezeiung zeigen, dass die Kaiserchronik nur oberflächlich in gelehrte Geschichtsschreibung integriert ist. Sie ist eine Chronik der Gewalt und des Unrechts, nicht christlicher Vollendung

Скачать книгу