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C Deu chuniginne wainet ser. si sprach: ‘wir schaiden uns immer mer. mir werde mein laster e benomen, ich wil nimmer an dein bette chomen’.

      In der A-Fassung sind diese Worte eine Replik auf die Weigerung des Königs, gegen Conlatinus und Lukretia einzuschreiten. Da diese Weigerung in der C-Fassung fehlt, sind dieselben Worte keine Erwiderung mehr, sondern die unmittelbare Fortsetzung der manichvalt man, der zahlreichen Ermahnungen der Königin, die in der Drohung gipfeln, ihrem Ehemann den Geschlechtsverkehr zu verweigern. Die Kürzung zerstört die Dynamik des Gesprächs, wie es von A gestaltet wird. Dort kann man eine fortschreitende Intensivierung der rhetorischen Überzeugungsmittel beobachten, die die Königin einsetzt: Zunächst ermahnt sie ihren Mann; als ihre Worte ohne Wirkung bleiben eskaliert sie die Situation erst mit Tränen und dann mit Drohungen. Der König gibt dann der Forderung seiner Frau nach:

A 4671–76 Der kunic sprach ir uber lanc zu: ‘waz ratest du daz ih dar umbe tuo?’ si sprach: ‘herre, wil du behalten minen list, ih rate dir daz du daz selbe wip erwirvest’. C Der chunic sprach ir aver zuo: ‘waz wil du daz ich dar umb tue?’ si sprach: ‘lieber herre mein, wil du mir gevolgich sein, ich rate dir sam mir mein leip, daz dir wirt daz selb weip’.
‘entriwen’, sprah der kunic here, ‘des rates volge ih dir gerne’ ‘entreuwen’, sprach er, ‘gern den rat ich von dir lern’.

      Die signifikante Änderung befindet sich im ersten Vers. In der A-Fassung reagiert Tarquinius auf die Tränen und Drohung seiner Frau uber lanc – nach einer längeren Pause. Damit gelingt es dem Erzähler, einen Denkprozess zu suggerieren, der beim König zu einer Meinungsänderung führt: Tarquinius lehnt die Forderung seiner Frau zunächst kurzerhand ab und gelangt erst nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss, er sollte ihr doch besser nachgeben. (Wieder ist Unbestimmtheit im Spiel, weil man ja nie genau erfährt, was der König während dieser längeren Gesprächspause alles überlegt.) In der C-Fassung wird das adverbiale uber lanc durch ein aver ersetzt, das – gleich, ob man es mit ,noch einmal‘ oder ,jedoch‘ übersetzt – im Zusammenhang völlig sinnlos ist: Es handelt sich hier um die erste Rede des Königs überhaupt, und es gibt nichts, wozu seine Worte in einem kontrastiven oder gegensätzlichem Verhältnis stünden. Die Dynamik des Gesprächs und das Spannende daran sind aus der Erzählung verschwunden: Den widerwilligen Gesprächspartner, auf den man mit immer drastischeren rhetorischen Mitteln (Forderung, Tränen, Drohung) einreden muss, sowie den spannungsvollen Ablauf des Dialogs – wird der König von seiner anfänglichen Weigerung abrücken oder bleibt er unnachgiebig? – ersetzt die C-Fassung durch ein einfaches Nacheinander von Verlangen und Nachgeben: Die Königin stellt ihre Forderungen mit Tränen und Drohungen, so dass der König einlenkt.

      Ob die spannungsarme Erzählregie von C ein bewusst verfolgtes Ziel des Bearbeiters war, oder ob sie das Nebenprodukt formaler Änderungen ist, lässt sich schwer bestimmen. Die Auslassung ganzer Reden durch den Redaktor spricht für eine mit Bedacht eingesetzte Erzählstrategie; andererseits muss man auch berücksichtigen, dass die veränderten Zeit- und Gesprächsdynamiken sehr oft mit der Herstellung von reinen Reimen und metrisch einwandfreien Vierhebern einhergehen. So begünstigt der Reim : , der die alte Assonanz lieben : Triere ersetzt, den Eindruck eines automatischen Fortschreitens von einer Situation (Conlatinus hält sich oft und gern in Viterbo auf) zu einer anderen (die Trierer haben es herausbekommen); der Vers Der chúnic sprách ir áver zúo ist ein Vierheber mit regelmäßiger Alternation von Hebung und Senkung, aus dem fünfhebigen Vers von A gebildet: Der kúnic sprách ir úber lánc zú; vielleicht wurde das Adverbiale uber lanc, das eine längere Denkpause auf der Seite des Königs suggeriert, einfach aus metrischen Gründen und ohne besondere Rücksicht auf die Gesprächsdynamik durch das kürzere aver ersetzt.

      Die Frage – gewollte Strategie oder beiläufiges Nebenprodukt formaler Änderungen? – lässt sich erst durch weitere Untersuchungen der C-Fassung mit größerer Klarheit beantworten. Eines jedoch kann man bereits mit Bestimmtheit sagen: Die Redaktionen B und C sind eigenständige Bearbeitungen, die ihre Vorlage auf eigene Weise, mit eigenen Prioritäten und eigenen Wirkungen retextualisieren. Das ist ein wichtiges Ergebnis, zumal die Forschung immer wieder dazu geneigt ist, beide Fassungen über einen Leisten zu schlagen, da sie in den B- und C-Redaktionen kaum etwas anderes als die mehr oder weniger gelungene formale Neuerung der frühmhd. Fassung A sehen wollte.1 Jede Redaktion hat jedoch ihre Eigenart, die zu beschreiben eine künftige Aufgabe der Forschung und Literaturgeschichtsschreibung sein wird und – wie wir hoffen – durch die synoptische Neuedition der Kaiserchronik und die damit verbundenen Studien erst ermöglicht und erleichtert wird.2

      Die andere Kaiserchronik

       Jan-Dirk Müller

      Die Kaiserchronik1 steht am Anfang der Auseinandersetzung volkssprachiger Geschichtskunde mit gelehrter Geschichtsschreibung. Es sind vor allem zwei Prinzipien, die ihren Stoff organisieren: die Chronologie und die strikte Abfolge der römischen Kaiser. Bekanntlich verstößt sie im Einzelnen gegen beide: Die Angaben der Regierungszeiten sind durchweg falsch, und die Reihe der Herrscher ist sowohl lückenhaft als auch um Namen erweitert, die nicht hineingehören. Trotzdem weisen beide Prinzipien nach allgemeiner Ansicht auf ein Geschichtsverständnis, das dasjenige einer volkssprachigen Laiengesellschaft von Grund auf transformiert.

      Selten wurde die Gegenrechnung aufgemacht, der Anteil eines ‚anderen‘ Konzepts von Geschichte an der Kaiserchronik. Karl Stackmann hat auf einen Beitrag von Hanna Vollrath aufmerksam gemacht,2 die vom „Sog“ der mündlichen laikalen Kultur auf die litterate Kultur der Kleriker sprach:

      Sie sagt, daß es während des jahrhundertelangen Nebeneinanders der zwei Kulturen, der mündlichen und der schriftlichen, im Mittelalter zu Rückwirkungen oraler Geschichtsauffassung auf die Träger der Schriftkultur gekommen ist.

      Von dieser hat er das auf „literarischer Überlieferung“ gründende mittelalterliche Geschichtsdenken abgesetzt:

      es ist ein Denken in der Dimension der Heilsgeschichte. Geschichte wird vorgestellt als eine gerichtete Bewegung, die von einem Anfang – der Schöpfung – her über eine geordnete Folge bedeutsamer Ereignisse bis zur Zäsur des Erscheinens Christi und von da über die Gegenwart weiter bis zu einem letzten Ziel – dem Jüngsten Gericht – führt. Für ein solches Denken ist eine klare Unterscheidung der Vergangenheit, des bereits zurückgelegten Weges, von der Gegenwart und der noch bevorstehenden Zukunft eine Selbstverständlichkeit.3

      Die Kaiserchronik wird in der Regel in dieser Perspektive gelesen.4 Auch wo man einer theologisch-typologischen Deutung reserviert bis skeptisch begegnete und sich der Erzähltechnik, der narrativen Verknüpfung, dem Aufbau und dergleichen widmete, herrscht Konsens, dass die Kaiserchronik von der lateinischen Chronistik des 11. und 12. Jahrhunderts abhängig ist und in diesem Kontext erforscht werden muss.5 Mein Beitrag fragt nach Spuren einer anderen Geschichtsauffassung. Das ist eine Sichtweise, die sich u.a. in der Verschiebung des Schwerpunktes der Textanalyse abzeichnet. Zunehmend kommen bisher weniger beachtete Teile der Kaiserchronik

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