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unterstellt sind: von róssen si réden begúnden, | von húnden únt von véderspíl.

      Die Münchener Handschrift verdient besonderes Interesse, weil sie einen Text überliefert, der die für die frühmhd. Dichtung charakteristischen Halb- und unreinen Reime durch reine Reime substituiert. Manchmal wird die Verbesserung durch einfachen Ersatz eines Reimworts herbeigeführt, z.B. in den Versen 4661–62. (Kontext: Die Frau von König Tarquinius erfährt von seiner Wette mit Conlatinus und will, dass der König ihre Ehre wiederherstellt; sonst werde sie nie wieder glücklich sein.)

      V. 4661–62

A1Ha15a11 […]
ode si gewunne niemer guot gemute.
der kunic ir antworte [antwurte, H].
M […]
oder si gewunne nimmer guten mut.
der chunich ir antwurt tut.

      Alle Handschriften außer M haben den unreinen Reim (ge)mute / -muote : (ant)worte / -wurte. M dagegen hat einen reinen Reim, obwohl dieser die Einheitlichkeit der narrativen Zeitdarstellung empfindlich stört: Das periphrastische antwurt tut ist Präsens und rückt den Dialog zwischen Königin und König, über den der Erzähler sonst nur im Präteritum berichtet, für einen Augenblick in die unmittelbare Gegenwart (vgl. V. 4658: Si tet im manichvalt man; V. 4667: Diu chünigin begund wainen).

      Bei einigen Reimbesserungen von M lässt sich eine ambitioniertere Retextualisierungsstrategie erkennen, die weit über den einfachen Ersatz eines Reimwortes durch ein anderes oder besseres hinausgeht. Als Beispiel dafür sei das Reimpaar V. 4361f. angeführt. Der Handlungskontext ist folgender: Die Herren von Trier wollen ihren Erzfeind Conlatinus ermorden lassen; es gelingt ihm, gerade noch mit seinem Leben zu entfliehen.

      V. 4361f.

A1 […]
daz man in da scolte erslahen.
wi kume er dannen entran.
H […]
daz man in da solde habe irslagen.
wie kume er dannen intran.
M […]
daz man in solt han erslagen,
da von ist gut zesagen.
wi chaum er dan entran.
di red sull wir heben an.

      A1H haben den Halb- bzw. unreinen Reim (er)slahen / -slân / ‑slagen : (ent)ran. Der Text, wie er in M überliefert ist, hat einen völlig neuen Vers (Da von ist gut zu sagen), der sich auf das Partizip erslagen reimt; durch die Hinzufügung dieses Verses wäre die originale Assonanz entran verwaist worden, wenn man nicht einen weiteren Vers hinzugedichtet hätte, der sich darauf reimt: Di red sull wir heben an. Mit anderen Worten, aus einem einzigen Verspaar mit Halbreim hat der Schreiber von M (oder der Vorlage von M) zwei Reimpaare je mit Vollreim gebildet; in narratologischer Hinsicht tragen die Plusverse mit ihren sehr formelhaften – man möchte fast sagen: mit ihren banalen – Aussagen zu einer stärkeren Profilierung der Erzählerrolle bei.

      Die hier skizzierten Beispiele veranschaulichen, wie sich innerhalb der Fassungen noch viel im Fluß befand. Dass die mittelalterlichen Schreiber über mehrere Jahrhunderte ihre Vorlage so intensiv bearbeiteten, stellt uns vor die erneute Aufgabe, ihre Arbeit an allen drei Redaktionen zu schätzen und verstehen. Deutlicher als in der geplanten Druckausgabe tritt u.a. diese modernisierende Dynamik der A-Fassung sowie zahlreiche Änderungen der B- und C-Fassungen in der digitalen Präsentation hervor.6 Mithilfe der leicht handhabbaren Heidelberger Lichtpultfunktion werden zukünftige Forscher nicht nur die drei Hauptfassungen vergleichen, sondern nach Wunsch etwa mehrere Handschriften einer einzelnen Fassung oder gar ein spätes Zeugnis der A-Fassung neben eines der C-Fassung legen und im vollsten metrischen Detail analysieren können.

      II. Die Fassungen B und C

      Bekanntlich verändern die B- und C-Fassungen am Inhalt und Zeitgerüst der alten Chronik überraschend wenig. Weder verschwinden Charaktere aus dem Erzählablauf noch treten neue hinzu. Abgesehen von den zwei Fortsetzungen und dem neuen Prolog der C-Fassung werden keine weiteren Herrscher interpoliert oder hinzugefügt, obwohl es an auszufüllenden Lücken in der Herrscherreihe der alten Chronik keineswegs mangelt. Selbst die eklatantesten Abweichungen von der historischen Reihenfolge – der römische König Tarquinius Superbus tritt als Nachfolger Neros auf – werden nicht berichtigt; fiktive Herrscher, wie etwa Narcissus, werden aus dem Bericht nicht beseitigt.

      Weder der B- noch der C-Redaktor versuchen, historische Ungenauigkeiten oder Abweichungen der A-Fassung von den im Mittelalter bekannten antiken Quellen zu berichtigen. In der hier zu behandelnden Episode wird z.B. Lucretia nach wie vor von König Tarquinius vergewaltigt, und nicht, wie Livius und Ovid berichten, von seinem Sohn Tarquinius Sextus; der Ehemann von Lucretia bleibt noch ein Verbannter aus Trier, obwohl er den antiken Quellen zufolge aus der mittelitalienischen Stadt Collatia stammte. Der Umstand, dass keiner der beiden Redaktoren diese Fiktionen oder Fehler zu beheben versuchte, hat jedoch nicht unbedingt zu bedeuten, dass man an die faktuale Wahrheit der Geschichte, wie sie vom Verfasser der A-Redaktion erzählt wurde, naiv geglaubt hat: Es ist durchaus möglich, dass die Bearbeiter und ihr Publikum solche und ähnliche Lizenzen für das gehalten hatten, was sie tatsächlich sind, und dass man die Verbindlichkeit eines chronikalischen Berichts an anderen Kriterien gemessen hat als dem der faktischen Wahrheit. Möglicherweise kam es den Bearbeitern und ihrem Publikum in erster Linie auf den moralischen oder exemplarischen Gehalt des Erzählten an, d.h. man beurteilte die ‚Wahrheit der Geschichte‘ vielleicht nicht danach, ob faktengetreu erzählt wird, sondern danach, ob die zum Besten gegebene historia als magistra vitae dient, ob sie also über den Lauf der Welt und über die Folgen menschlichen Handelns auf zuverlässige und verbindliche Weise informiert.1

      Aus dem weitgehenden Fehlen einschneidender inhaltlicher Eingriffe lässt sich aber auf keinen Fall folgern, der hinter den Retextualisierungsversuchen stehende Formulierungs- und Gestaltungswille gehe in Änderungen rein formaler Art auf (den Bearbeitern von B und C geht es ja keineswegs nur um die Glättung des Metrums und die Vervollkommnung der Reimkunst). Vielmehr zeigt der durch die Vorarbeiten zu der neuen Edition möglich gewordene und durch die Online-Präsentation der kompletten Überlieferung jetzt schon verifizierbare Vergleich aller drei Fassungen, dass beide Bearbeiter eine Reihe von Textänderungen vornehmen, die die Darstellung, Perspektivierung und Semantisierung der Geschichte neu kalibrieren. Es geht hier, wie eben erwähnt, nicht um Änderungen auf der Ebene der sogenannten histoire – d.h. der Ebene der erzählten Ereignisse und Figuren und deren Verknüpfung und Interagieren in einem Plot –, sondern um solche auf der Ebene des discours – d.h.

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