Скачать книгу

und Kaiserchronik zitieren zwar die geschichtstheologische Deutung, überschreiben sie aber mit dem Geschichtsbild des Kriegeradels, in dem es vor allem auf Ehre und überlegene Gewalt ankommt. Eine typologische Deutung der Kaiserchronik kann deshalb nicht gelingen, denn der ,Sog‘ der Laienkultur (Hanna Vollrath) bemächtigt sich der Bildlichkeit der Danielsprophezeiung. Die Spannung kann im Annolied noch unausdrücklich bleiben. Die daran anknüpfende Kaiserchronik geht einen Schritt weiter, um den Preis, dass das geschichtstheologische Deutungsmaterial undeutlich wird.

      Derartige Interferenzphänomene zumal im frühen Mittelalter müssten systematischer in den Blick genommen werden. Das anfangs noch nahezu unumschränkt geltende Schriftmonopol der Kleriker hat den Blick der Forschung einseitig auf deren Deutungskapazitäten gelenkt. Es wäre an der Zeit, die Gegenrechnung aufzumachen und den Einfluss einer – da unschriftlich – nicht überlieferten Laienkultur und ihrer Deutungsmuster auf die klerikale Überlieferung zu untersuchen.39

      Dass die geschichtstheologische und feudale Geschichtsdeutung letztlich unvereinbar sind, belegt noch Jahrhunderte später Sebastian Francks Geschichtbibell (1531/1536).40 Wenn dort die Vorred vom Adler die Wappentiere der verschiedenen Reiche mustert, dann verfallen alle der Kritik, weil in ihnen sich stets ein Moment der Gewalt verkörpert. Dazu gehört auch die saw, ein gar vnnutz ja schedlich thier weil es lebt; als Wappentier weist Franck es den mit Caesar und den Franken verwandten Trojanern zu (Bl. 142r). Sein eigentliches Angriffsziel ist der (Reichs-)Adler, dessen Grausamkeit für eine Satire kaiserlicher Politik genutzt wird,41 doch verweist Franck generell auf die Herkunft der Tierwappen aus heidnischen Traditionen. Die Tradition der heydnischen vetter so in der finsternus haben gewandelt ist für den Christen unannehmbar (Bl. 142v). Am spätmittelalterlichen Wappenwesen, das eine widerchristliche Gewaltpolitik anzeigt, setzt Francks fundamentale Gesellschaftskritik vom Standpunkt eines spirituellen Christentums an. Auch das angeblich ausgezeichnete Römische Reich, das den Adler im Wappen trägt, wird bei Daniel durch ein schreckliches Tier symbolisiert: ein greülich thier macht Daniel aus der letsten Monarchy / ja vor all anderen das greülichest. (Bl. 143r). Hier ist das Verhältnis der konkurrierenden Metaphoriken geklärt, die in der Kaiserchronik noch undeutlich interferieren.

      Geschichtliche Distanz im Episodengerüst der Kaiserchronik

       Christoph Pretzer

      Untersuchungen zur Geschichtsschreibung der Kaiserchronik stehen in einer langen Tradition; die seinerzeit Maßstäbe setzende Untersuchung Sage und Legende in der Kaiserchronik von Friedrich Ohly hallt bis heute in der Forschung nach.1 In diese Diskussion soll mit dem vorliegenden Beitrag ein neues und zugleich altes Begriffspaar eingeführt werden: Distanz und Differenz. Unter Distanz verstehe ich dabei eine quantitative Dimension, die den zeitlichen Abstand zwischen der Erzählzeit des mittelalterlichen Autors der Kaiserchronik und seines Publikums zur erzählten Zeit der Chronik in Zählbares umsetzt: die Anzahl von Jahren, die vergangen ist, die Zahl der Kaiser, die geherrscht haben. Unter Differenz möchte ich im Gegensatz dazu eine qualitative Dimension verstehen, welche Zeiträume und Ereignisse in der Vergangenheit von der Gegenwart des Verfassers der Kaiserchronik unterscheidbar macht. Für den Begriff der Differenz habe ich mich nicht nur wegen der einprägsamen Alliteration – Distanz und Differenz oder ,distance and difference‘ – entschieden, sondern auch, um meine Fragestellung nicht mit der Forschungsdiskussion zum Begriff der Alterität zu überfrachten.2 Wenn von Vergangenheit und Gegenwart die Rede ist, so bezieht sich Vergangenheit im Kontext der Kaiserchronik meist auf das antike und mittelalterliche Römische Reich als Erzählgegenstand des Textes. Gegenwart hingegen bezieht sich auf die Zeit der Verfassung und frühen Rezeption der Chronik, also die Mitte und zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts.3 Dies führt mich zu meiner letzten begrifflichen Klärung: wenn ich von der Kaiserchronik spreche, so beschränkt sich dies auf die A-Rezension in der Form in der sie in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vorlag und rezipiert wurde.4 Dies bedeutet, dass hier vor allem mit Edward Schröders Edition gearbeitet werden wird.5

      Der vorliegende Beitrag fokussiert nun auf den oben umrissenen Distanz-Begriff und zielt darauf ab, ihn als quantitative Dimension von Geschichtlichkeit in der Kaiserchronik zu entwickeln und zur Interpretation des Textes nutzbar zu machen. Hierzu werde ich folgenden Fragen nachgehen: Erstens wie wird Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart hergestellt, zweitens wie wird diese Distanz mit Bedeutung aufgeladen und drittens welche Funktion erfüllt diese Schaffung von Distanz in der Kaiserchronik. Meine vorläufigen Lösungsansätze zu diesen Fragen möchte ich in drei Teilen präsentieren. Im ersten Teil lege ich die theoretischen Grundlagen meines Zugriffs auf den Text dar. Im zweiten Teil werde ich anhand des Episodengerüstes der Chronik darstellen, wie dieser Zugang für Beobachtungen zu Phänomenen an der Textoberfläche genutzt werden kann. Und in einem dritten Teil werde ich schließlich anhand des Beispiels von personalisierter Exemplarik die oben dargestellten historiographischen Funktionen der Quantifizierung von Geschichtlichkeit erläutern.

      I. Theoretische Grundlagen

      Die grundlegende Kompositionsstruktur der Kaiserchronik ist bekanntlich episodisch. In Anlehnung an Sueton, dessen De vita Caesarum das klassische Modell der Einteilung von Geschichte in Herrscherviten darstellt, kann man die Kaiserchronik als serielle Biographie betrachten. Die Chronik besteht aus einer Serie von 53 Episoden, die jeweils mit dem Machtantritt eines Herrschers beginnen und mit dessen Tod enden. Nach dem Prolog und einem prä-episodischen Teil, der von der Gründung Roms durch Romulus und Remus und den heidnischen Wochentagen berichtet, beginnt die Episodenfolge der römischen Herrscher mit Julius Caesar im ersten Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung. Sie endet mit Konrad III. und den Vorbereitungen zum Zweiten Kreuzzug circa im Jahre 1147. Inhaltlich stehen die jeweiligen Herrscher nicht immer im Vordergrund und treten oft gänzlich hinter andere Inhalte zurück, aber das durch Antritt und Ableben der Herrscher konstituierte Rahmenwerk wird konsequent beibehalten.

      Es ist Hayden White zu verdanken, den Blick von Historikern und Philologen für die narrativen Möglichkeiten geschärft zu haben, die auch solchen nicht-narrativen, rahmenden oder organisierenden Formen der Textgestaltung innewohnt. In seiner Abhandlung Content of the Form von 1987 bedient er sich anhand der Annales Sangallenses eines methodisch effizienten Zugriffs: White zeigt dabei auf, wie auch die wenig narrative und kaum kausal verknüpfende Geschichtspräsentation, wie sie sich in Annalen findet, in ihrer katalogartigen Darstellungsweise inhaltliche Aussagen zur Gestaltung von Geschichte vermitteln kann.1 Prinzipiell unterscheidet White historiographische Texte nach dem Grad ihrer inneren narrativen Verknüpfung und führt neben der Kategorie der Annalen jene der Chroniken und Historien an. Diese verknüpfen ihre Historiographie jeweils im zunehmenden Maße kausal und reflektieren sie inhaltlich stärker. Bei den Kriterien, die diesen zunehmenden Grad von Verknüpfung abstufen, handelt es sich um höhere historische Konzeptualisierung, größeren Umfang, größere narrative Kohärenz, die Organisation des Materials anhand von Themen und schließlich die Fokussierung auf ein zentrales Thema.2 Die Kaiserchronik wäre nach Hayden Whites Kriterien also der Kategorie der Chroniken zuzurechnen. Das in meinem Beitrag auf die Kaiserchronik angewandte Instrumentarium wurde jedoch hauptsächlich an Annalen entwickelt. Wie meine Ergebnisse aber zeigen werden, erscheint dieser methodologische ‚Querschuss‘ durchaus legitim: Was die rahmenden Elemente, welche die einzelnen Episoden der Kaiserchronik markieren, betrifft, so funktionieren diese ganz nach dem Prinzip der katalogisierenden Synchronisierung von Jahr und Ereignis in Annalen. White setzt als Voraussetzung für Historiographie fest, dass es ein bereits existierendes rechtliches und soziales System geben müsse gegen das oder im Namen dessen die typischen „agents“3 eines Narrativs in Position gebracht werden können. In der Kaiserchronik erfüllt die Episodenstruktur das Kriterium dieses vorauszusetzenden Systems, und die „agents“, die sich damit auseinandersetzen, sind die oft disjunktiven, kontingenten und in sich selbst abgeschlossenen Narrative, die vom chronikalen Episodenrahmen eingefasst werden. Nach Hayden White ist nun die Übertragung der Unterschiedlichkeit dieser in sich abgeschlossenen Narrative in Ähnlichkeit die große Leistung eines nicht narrativen Organisationsschemas von Text, wie es etwa bei Annalen der Fall ist. Dafür bedarf es aber eines „Metaphysischen Konzepts“.4 White charakterisiert

Скачать книгу