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Die Analyse hebt somit auf die Dynamiken der geschilderten Ereignisse und die Komplexität der dargestellten Relationen ab, welche eine einsinnige Bewertung sowohl der ‚Deutschen‘ als auch der römischen Herrscher und damit auch die im Prolog der Kaiserchronik sowie in den rahmenden Eingangs- und Schlusspassagen der einzelnen ‚Viten‘ forciert vorgetragene Unterscheidung in ‚Gut‘ und ‚Böse‘ unterlaufen.13

      II. Die Erzählung über Caesar

      Die Kaiserchronik eröffnet die Reihe ihrer ‚Viten‘ (respektive Gesten)1 mit Gaius Julius Caesar.2 Wenn man den entsprechenden Abschnitt mit Vers 209 beginnen lässt3 und so die Aussagen über die einzigartige Größe und Macht Roms, den Rekurs auf die ‚Salvatio Romae-Sage‘ sowie die knappe Erzählung vom Ertönen der goldenen schelle über dem Abbild der ‚deutschen Lande‘ und ihrer Bewohner einbezieht,4 umfasst er knapp 400 Verse. Caesar kommt an dem Punkt ins Spiel, an dem die Römer mit Verwunderung realisieren müssen, dass daz Dûtisc volch wider si ûf gestanden was (V. 246); die Aufgabe, daz er in das lant twunge / und in daz wider gewunne (V. 233f.), überträgt man dem als helt jungen (V. 252) eingeführten Caesar. Die Kaiserchronik profiliert die Figur im Folgenden als Feldherrn, den sie zunächst im Kampf gegen die ‚Deutschen‘ mit den gentes der Schwaben, der Baiern, der Sachsen und der Franken zeigt und danach, als Reaktion auf die verwehrte Anerkennung der Siege Caesars durch die Römer, in einem Kampf, in dem er, Seite an Seite mit den ‚Deutschen‘, gegen Rom vorgeht und in dessen Folge er schließlich in eine Position einrückt, in der er für die Dauer von fünf Jahren diu rîche […] mit michelem gewalte habete (V. 597), bis er von den Römern ungetrûwelîche erschlagen wird (V. 601).

      Die Kaiserchronik präsentiert Julius Caesar demnach als Begründer der kaiserlichen Amtsgewalt im Römischen Reich und setzt ihn so an die Spitze der Reihe von Kaiser-‚Viten‘.5 In den Grundlinien wie auch in etlichen Formulierungen mit dem Caesar-Passus des Annoliedes6 übereinstimmend,7 bietet die Caesargeschichte der Kaiserchronik eine Reihe zusätzlicher Details, lässt anderes weg oder setzt mitunter abweichende Akzente, sodass trotz vieler Parallelen in der Darstellung beider Texte nach einer konzeptuellen Eigenständigkeit der Kaiserchronik gefragt werden soll.8 In dem späteren Text bekundet sich eine Sonderstellung des Abschnitts nicht nur in seiner exponierten Positionierung am Auftakt einer umfangreichen ‚Viten‘-Reihe, sondern auch in seiner Form, bei der die bereits von Friedrich Ohly herausgearbeitete, für viele Kaisergeschichten des Textes typische Rahmung durch eine Kombination aus „sich formelhaft wiederholenden Eingänge[n] und Schlüsse[n]“9 nur partiell und zudem in untypischer Weise realisiert ist. Eine Eingangsformel, für die eine Nennung des Namens und eine knappe Charakterisierung des jeweiligen Kaisers üblich ist, gibt es hier nicht. Der Akzent liegt am Anfang vielmehr auf der êre (V. 212) der Römer,10 einem Ansehen, das sich darauf stützt, dass weder ûf der erde noch ûf dem mere / nemahte sich ir niemen erweren (V. 213f.). Rom repräsentiert eine unbezwingbare Militärmacht, der andere Länder sich unterwerfen; sie werden den Römern […] gehôrsam / unde ze Rôme undertân (V. 215f.). Der mythopoetischen Überhöhung dieser im Rahmen der Vorgeschichte des römischen Weltreichs wichtigen Führungsrolle dient die Integration der ‚Salvatio Romae-Sage‘, der zufolge goldene Glocken über den Abbildern der unterworfenen Länder selbsttätig eine Auflehnung gegen die römische Herrschaft anzeigen. Betont wird zudem das entschiedene Handeln der Römer im Falle einer Bedrohung, das sich auf ein klar geregeltes Procedere stützen kann: Mit Hilfe eines Losentscheids wird ein Herr von Adel bestimmt, der die ehrenvolle Aufgabe erhält, das abtrünnige Land zurückzugewinnen. Markiert durch die Formel Aines tages iz gescach (V. 235), handelt der Text sodann von einem konkreten Alarm während einer Sitzung des römischen Senats; die Inschrift unter dem Abbild der läutenden Glocke tut kund, dass es daz Dûtisc volch (V. 246) ist, das sich erhoben hat. Erst hier erfolgt die Überleitung zur Figur Caesars, die freilich fürs erste noch namenlos bleibt,11 heißt es doch lediglich, dass man ainen hêrren (V. 248) bestimmt, der sich der Sache annehmen soll. Caesars Krieg gegen die ‚Deutschen‘ erfährt in der Kaiserchronik also eine Begründung im Rekurs auf die ‚Salvatio Romae-Sage‘, und sein Handeln im Auftrag und als Repräsentant Roms wird so eigens hergeleitet und motiviert.

      Die Schlussformel der Kaisergeschichten wiederum bietet in der Regel Angaben zur Regierungszeit und zur Todesart des betreffenden Herrschers.12 Es ist schon früh gesehen worden, dass der Tod in der Kaiserchronik eine „paradigmatische[] Bedeutsamkeit als Bestandteil[] einer typischen Herrscherrolle“ besitzt und insofern dazu angetan ist, den positiven und vorbildlichen Herrscher vom Tyrannen als Negativexempel zu unterscheiden.13 Der Schluss der Caesar-‚Vita‘ weist beide Bestandteile (Angabe der Regierungszeit wie der Todesart) auf und kann insoweit als ‚regelkonform‘ bezeichnet werden. Die mit fünf Jahren bezifferte und als solche sehr kurze Regierungszeit lässt der Text mit Caesars triumphaler Rückkehr nach Rom nach seinem siegreichen Feldzug gegen Cato, Pompeius und den gesamten römischen Senat beginnen, bei der die Einführung des Majestätsplurals seine unvergleichliche, da bis dato auf viele verteilte, Macht zum Ausdruck bringt. Die Mitteilung über das gewaltsame Ende des Alleinherrschers, der von den Römern erschlagen wird, greift die historischen Vorgänge an den Iden des März im Jahre 44 v. Chr. auf, kann jedoch nicht als eine Qualifizierung Caesars als Tyrann gelesen werden: Zum einen wird die Handlungsweise der Römer mit Hilfe des Adverbs ungetrûwelîche (V. 601) klar verurteilt, zum anderen klingt die Geschichte Caesars nicht mit den Umständen seines Todes aus, sondern mit dem Hinweis auf die ehrenvolle Bestattung seiner Gebeine auf einer irmensûl (V. 602), einem Obelisken.14 Die spezielle Ausgestaltung von Anfang und Ende der Geschichte Caesars resultiert demnach aus einem Erzählen, das die kaiserliche Gründungsfigur des römischen Imperiums auf ihrem Weg in diese Position zeigt und dabei die Ambivalenz des historischen Caesar15 zugunsten einer eindeutig positiven Wertung des ersten Kaisers zurückdrängt.

      In einer zweiphasigen Handlung stellt die Kaiserchronik Caesar als Feldherrn vor. Beginn und Ende der ersten Phase, also des Zuges in die Dûtiscen lande[] (V. 253),16 markieren dabei zusammenhängende Charakterisierungen des Erzählers im Umfang von jeweils zehn (vgl. V. 247–256) respektive fünfzehn (vgl. V. 437–451) Versen. Die erste Stelle streicht vor dem Militäreinsatz und im Horizont einer verbürgten und in Preisliedern fasslichen Vortrefflichkeit die Jugend, den Wagemut und die Entschlossenheit17 eines Kriegerhelden heraus, dem die Römer zu Recht den Oberbefehl über ihre Truppen anvertrauen. Der Kontext der zweiten Stelle ist dagegen die Einnahme von Trier, bei der Caesar im Umgang mit den besiegten Gegnern Milde zeigt, die Stadt nicht zerstört, das Ansehen der adligen Bevölkerung nicht antastet, die Führungselite überdies mit bedeutenden Lehen versieht, die kühnsten Kämpfer mit Gold belohnt und auch die Ärmsten mit Gaben bedenkt – das lehrte ihn, so heißt es, sîn diemuot (V. 449). Das Wort lässt aufhorchen, attestiert der Verfasser damit doch dem antiken Feldherrn eine christliche Tugend, „die unter den in der Kaiserchronik erwähnten Heidenherrschern nur Caesar allein besitzt.“18 Der Passus mündet in eine Eloge auf eine Persönlichkeit, die bei herausragendem militärischen Einsatz und einem ebensolchen strategischen Geschick auch die Größe besitzt, die Besiegten zu schonen: Cêsar was milt unde guot, / vil michel was sîn sin (V. 450f.). Die zweite Phase konzentriert sich auf Caesars Aktionen nach seiner Zurückweisung in Rom, wo man die hohen Verluste anprangert, mit denen der Sieg erkauft wurde, und sein Vorgehen als Ausdruck von Machtstreben und Eigenmächtigkeit verurteilt (vgl. V. 455–460). Die Emotion des Zorns (vgl. V. 461) wird von Caesar unmittelbar in ein Handeln umgesetzt, das auf eine Rückkehr zu den […] hêrren / di in Dûtiscem rîche wâren (V. 463f.) und eine erfolgreiche Rekrutierung von erstklassig gerüsteten Truppen ûzer Gallîa unt ûzer Germanje (V. 471)19 einen Feldzug gegen Rom und den römischen Senat mit Cato und Pompeius als herausragenden Vertretern folgen lässt. Im eigenhändigen Einsatz seines Schwertes als Anführer einer kleinen schlagkräftigen Schar von ‚deutschen‘ Kämpfern manifestiert sich ein in Texten des 12. Jahrhunderts mehrfach thematisierter Kampfzorn,20 der im Verbund mit entschiedener Gegenwehr in einer überaus verlustreichen Schlacht eine nie dagewesene Zahl von Toten bedingt. Caesar bleibt dabei in der Sicht des Erzählers der junge man (V. 515), der schließlich diu rîche elliu under sih gewan (V. 516) und so triumphierend und mit großer

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