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unklug in seinen Sportgelüsten und anglomanen Neigungen. Als er in Aachen das Gymnasium besuchte, hielt er sich, ohne Wissen seines Vaters, Rennpferde und ritt selbst in gelber Jockeybluse und schwarzer Kappe unter dem Namen Captain Yellow. Sein Vater, der sich für Pferderennen soweit interessierte, als er die Berichte in den Zeitungen las, gewann Interesse für die Erfolge eines gewissen, ihm unbekannten Engländers Captain Yellow. Da der Schüler Franzi aber beichten mußte, daß er 100000 Mark Schulden gemacht habe, führte er zu seiner »Entschuldigung« an, daß er Captain Yellow sei. Leider führte der Reichtum der Eltern und die Leidenschaft des Sportes den Captain Yellow immer tiefer in Schulden, die schließlich phantastische Formen annahmen. Er war so vollkommen Engländer geworden, daß er sich nur in England wohl fühlte, sich in London niederließ und sich 1889 mit der sehr hübschen und recht angenehmen Adoptivtochter des amerikanischen Eisenbahn-Milliardärs Huntington, Clara Huntington, vermählte. Sein Fürstenhut dürfte ihr wohl besonders gefallen haben, denn was darunter saß, war schließlich – sonderbar. Für pathologisch konnte es allerdings eine Amerikanerin nicht halten, während ich die Anglomanie, wenn sie in den Formen wie bei Franzi auftritt, unbedingt dazu rechnen muß.

      Das Ehepaar Franzi mietete den Landsitz Draykothouse, wohin das sehnsuchtsvolle Herz der Mutter Gabi diese bisweilen hinzog, obgleich sie England und die Engländer aus tiefster Seele verabscheute.

      Ich sah Franzi nach langen Jahren wieder. Wir feierten ein gutes Wiedersehen im Schlosse Talcum, nahe Düsseldorf, bei seinen Eltern, und er war froh und freundlich. Als ich aber am Tage unseres Wiedersehens vor dem Essen Franzi in seinem Zimmer aufsuchte, fand ich ihn fast blaurot im Gesicht mit gläsernen Augen und lallender Zunge: er war total betrunken. Er hatte in England leider auch den Sport des Whiskytrinkens den Engländern abgelauscht – und war zu einem hoffnungslosen Säufer geworden. Ich litt entsetzlich unter diesem Eindruck in Gegenwart der unglücklichen Eltern. Wir schwiegen alle drei. Aber auf den Zügen der beiden Alten lagerte ein Kummer, dessen Eindruck heute noch auf mir lastet.

      Die interessanten Erzählungen des alten Fürsten Alfred werden mir unvergeßlich sein. Besonders wenn er von seinen Erlebnissen aus dem Jahre 1848 sprach, wo er übrigens nur dank der Beziehungen seiner seltsam berühmten Mutter Sophie zu Ferdinand Lassalle, mit dem Leben davonkam. Das geschah in Berlin bei den Straßenkämpfen. Das Gedächtnis des Fürsten erregte stets meine Bewunderung. Aber er lachte mich aus, wenn ich davon sprach. »Das ist nur Übungssache«, sagte er, »und ein jeder ist in der Lage, für ein gutes Gedächtnis zu sorgen.«

      Dennoch weiß ich sehr genau, daß nicht ein jeder den ganzen Faust, den ganzen Hamlet und auch noch Romeo und Julia auswendig lernen würde.

      Stets sah ich den guten Alten in seinem langen dunklen Paletot, ein dickes, weißes Tuch um den Hals und einen kleinen schwarzen Hut über dem schmalen, roten Gesicht mit den weißen Haaren, morgens in den Gärten von Schloß Taleum, Schloß Schönstein oder Schloß Leipnick umherwandern und sich – ganz versunken in irgendeinen Akt dieser herrlichen Werke – einzelne Szenen daraus hersagen.

      Selten hat mich eine geistige Errungenschaft in größeres Erstaunen gesetzt, es schlug auch niemals eine Probe fehl, die ich mit ihm anstellte. Nur einen Mann kannte ich außer ihm, der allerdings »nur« den Faust vollständig auswendig wußte und berühmte Szenen aus Shakespeares Werken: das war Professor Bernays, ein fürchterlich schielender Jude mit einem klaffenden Maul, aus dem die herrlichen Goetheschen Verse mir nach den braunen, hohlen Zähnen zu riechen schienen, die er scheußlich fletschte, wenn er als schmachtender Faust, Gretchen kosend anredete.

      Selten aber hat mich auch eine Unterhaltung über Tagesereignisse und Politik mehr angezogen, als wenn ich solche Fragen mit Fürst Hatzfeldt erörterte. Er war vielleicht nicht so genial wie sein Bruder Paul, der bekannte Botschafter in London, doch hatte er auch dessen klaren Blick und das seine Abwägen der Dinge.

      Mit seiner Gattin Gabriele Dietrichstein hatte der Fürst sich 1852 nicht nur eine treue, kluge, gewissenhafte und herzensgute Frau erheiratet, deren Ehrlichkeit bisweilen vielleicht weh tun konnte, zugleich aber auch eine reiche Erbin, die darum imstande war, die Millionen zu zahlen, die ihr geliebter Franzi auf dem Altar des Sportes mit so vielen anderen Affen niedergelegt hatte.

      Fürstin Gabriele war eine der vier Töchter des unermeßlich reichen letzten Fürsten Dietrichstein, der ohne männliche Erben 1858 starb. Seine Töchter waren die Gräfin Therese Herberstein (die kurz nach meinem Amtsantritt in Wien starb), Gräfin Clothilde Clam- Gallas, Gräfin Aline Mensdorff (die den Titel einer Fürstin Dietrichstein mit dem Besitz von Nikolsburg erhielt), und schließlich Fürstin Gabriele Hatzfeldt-Wildenburg, Herrin der Herrschaften Leipnick und Weißkirchen in Mähren, – meine alte Freundin.

      Wir hatten uns schon in Berlin kennengelernt und zwar in den siebziger Jahren, als bei der Fürstin Stolberg-Wernigerode in ihrem Palais in der Wilhelmstraße eine Theateraufführung durch Mitglieder der Hofgesellschaft stattfand. Es war in dem schönen alten Palais, wo ich stets so glückliche Ostertage als Kind verlebte, wenn die damalige Besitzerin, Gräfin Sophie Schwerin, geb. Gräfin Dönhoff, die bildschöne alte Dame und intime Freundin meiner lieben Mutter, uns Kindern in ihrem Garten ein großes Eiersuchen veranstaltete. Das war in den Jahren 1854-1858.

      Bei der Stolbergschen Theatervorstellung gab Fürstin Gabi Hatzfeldt meisterhaft die Rolle einer rothaarigen, dicken Schustersfrau, deren Äußeres (ich muß es leider gestehen) von täuschender Echtheit war. Mit Graf Ferdinand Harrach (meinem liebenswürdigen, unvergeßlichen Freunde, dem berühmten Maler) war ich Arrangeur, Souffleur und Regisseur.

      Hatzfeldts besaßen in Berlin am Wilhelmsplatz ein Palais, das sie einige Jahre nach ihrer Verheiratung, die 1852 erfolgte, kauften und glänzend, auch für großen, gesellschaftlichen Verkehr geeignet, herrichteten. Wer in Berlin ein Palais besitzt, wird hochgeachtet, er mag ein Engel, ein Scheusal, ein Lumen mundi oder ein Rindvieh sein. Das lag an der, bis zu dem Ende der siebziger Jahre in Berlin noch stark in Erscheinung tretenden Kleinstädterei und einem Snobismus, der dem Preußen merkwürdig anhaftet. Ich zerbreche mir immer noch den Kopf darüber, ob es der stark slawische Einschlag in dem preußischen Blute ist, oder ob es immer noch Nachklänge aus der Prügelzeit unter den Hohenzollern bis zu der Regierung Friedrich Wilhelms II. sind.

      Zu einem Fest bei Hatzfeldts geladen zu werden, galt daher als eine »Bevorzugung«, die man in gehobenem Tone mitteilte, wo und wie es irgend angängig war.

      Bei Hatzfeldts verkehrte auch viel der Berliner Hof, und die Einfälle und Bemerkungen der Fürstin Gabi erregten an dieser hohen Stelle Sensation. Ihr scharfer Verstand und die Urwüchsigkeit ihrer Bemerkungen wurden hier so hoch geschätzt, weil man derartiges in Berlin vor alleruntertänigster, in Demut ersterbender Dienerei der Hofgesellschaft durchaus nicht gewohnt war und »höchst belustigend« fand. Weniger fand man der Fürstin Gabi Bemerkungen in der Berliner »Hofgesellschaft« belustigend. Wohl machten ihre Äußerungen »Spaß«, aber im allgemeinen fand man sie hochmütig, »da sie glaube, sich alles herausnehmen zu dürfen.«

      Der Fürstin Verkehr im Hause Bismarck und die sonstigen Begegnungen mit dieser Familie trugen den »ungenierten« Charakter, der beide Teile auszeichnete. Doch erlitten diese Beziehungen ernstliche Störungen, je mehr zwischen Österreich und Preußen in den sechziger Jahren Verstimmungen Platz griffen.

      Bismarck roch stets und überall Feinde. Nicht nur des Staates, sondern besonders seiner eigenen Person: und er hatte wohl auch alle Veranlassung dazu. Immerhin wäre es nicht nötig gewesen, eine Art System daraus zu machen, in dem seine gesamte Familie sich bewegte.

      Gabi Hatzfeldts Schwester Aline aber war die Gattin des Ministers des Auswärtigen in Wien, des Generals Grafen Mensdorff. »Demnach« war Fürstin Gabi eine Spionin. (So sagte Bismarck.) Arme, ehrliche Gabi!

      Graf Mensdorff, von Mutterseite (Prinzessin von Coburg) mit Intrige stark behaftet, führte die Politik Österreichs in der bekannten Weise. Je mehr sich aber Bismarck (in der Rolle, die er spielte, von Österreich bedroht zu sein), sich aufzuregen für nötig erachtete (da in seinem Kopfe der Entschluß längst gereift war, mit Österreich den Kampf um die Vorherrschaft zu wagen), um so mehr wurde Fürstin Gabi für »bedenklich und spionenhaft« geschildert, wenngleich gerade diese Frau mit ihren merkwürdig offenen Augen gegenüber den Schwächen ihrer Landsleute

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