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wie zu Sandors Zeiten und auch keines wie damals zitterte und erschrak, als wir eintraten), immerhin waren es genug, um durch alle Löcher der Herrschaft Bajna geschleppt werden zu können.

      Das Diner war vortrefflich und der Tisch mit Blumen so reizend und elegant geschmückt, daß man sich daran hätte satt sehen können, wenn nicht die weichen, zarten, grünen Maiskolben, mit frischer Butter serviert, zum ersten Male in meinem Leben vor mir erschienen wären – die höchste Delikatesse Ungarns – und meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätten.

      Bis um 11 Uhr saßen wir schwatzend in dem gemütlichen Salon meiner gütigen Freundin zusammen.

      Es waren angenehme, sanfte Ruhetage nach der stürmischen Bewegung und dem Menschengewirr in Uniform, das sich in Totis um zwei Kaiser wie um zwei Sonnen zu bewegen schien. Auch Sternschnuppen hatten nicht gefehlt – von der Sonne losgelöste Erzherzöge, die mir (berlinisch gesprochen) sehr »schnuppe« waren.

      Graf Sandor.

      Nicht darf ich jedoch Bajna verlassen, ohne ein Wort über den berühmten Vater seiner berühmten Tochter Pauline zu sagen, denn der Name des Grafen Moritz Sandor (1805–1878), des letzten männlichen Sprosses seines uralten Magyarischen Stammes, und seiner Herrschaft mit dem Schlosse Bajna, ist untrennbar mit der Geschichte Ungarns verknüpft. Wenn auch Graf Sandor nicht als großer Staatsmann oder Kriegsheld gefeiert werden kann, so doch in einem Sinn, der dem ritterlichen, tapferen Charakter, mit einem Zug in das Abenteuerliche, Phantastische, dieses Volkes entsprach, das durch Jahrhunderte im Kampfe mit den Türken gelebt hatte und sich dadurch persönlichen Mut und ritterliche Eigenschaften erwarb, die es über alles stellte, unleugbar verbunden mit einem, dem Orientalen sich nähernden Charakterzug.

      Graf Sandor hatte keine Gelegenheit, an einem Kriege teilzunehmen. Er lebte in der großen, friedlichen Pause nach den napoleonischen Kriegen. So entwickelte sich seine Eigenschaft größter Unerschrockenst zu einer Waghalsigkeit und Tollkühnheit, wenn er zu Pferde saß, die man fast mit Wahnsinn bezeichnen könnte. Ganz Ungarn belachte ihn jedoch nicht um seiner phantastischen, oft auch theatralischen Streiche willen. Der Deutsche würde ihn lediglich einen »verrückt gewordenen Kunstreiter« genannt haben. Dem Ungarn aber war er ein Held.

      Mir war er noch etwas anderes. Denn es handelt sich in diesem Fall nach meiner Ansicht um die Einwirkung gewisser, dem Grafen innewohnender Kräfte auf das Pferd, die ich magnetisch nennen will, da mir der entsprechende Ausdruck für das fehlt, was sich in der Gewalt des Grafen über das Pferd darstellt, nämlich einer Macht, die über das hinausgeht, was die sogenannte »hohe Schule« in der Reitkunst bedeutet, d. h. die vollkommene Erziehung des Pferdes zu absolutem Gehorsam. Über den Vater meiner Freundin Metternich ein Wort zu sagen, wenn ich seine Tochter zu schildern mich bemühte, schien mir aber auch aus dem Grunde angezeigt, weil sich vieles in dem Wesen und der Eigenart der Tochter – in erster Linie ihre furchtlose Energie und schnelle Entschlußfähigkeit – aus dem Charakter des Vaters herleiten läßt 57.

      Ich sagte, daß die Reiterkunststücke und Abenteuer des Grafen in der ganzen Welt bekannt waren. Darum wäre die Aufzählung gewisser Reit-Abenteuer hier vielleicht überflüssig, um so mehr, als sich in der Liebenberger Bibliothek ein Album bildlicher Darstellungen aus dem Reiterleben Sandors befindet, die von einem ihn begleitenden Maler historisch festgelegt wurden.

      Doch hier will ich zwei seiner »Kunststücke« erwähnen, die mir durch Personen bestätigt wurden, die sie in ihrer Jugend erlebten – und auch seine Tochter sich des Eindrucks, den diese tollkühnen Abenteuer auf sie machten, sehr wohl aus ihren Jugendjahren zu erinnern wußte.

      Das eine dieser »Kunststücke« war das Reiten des Grafen über die Donau bei Eisgang. Das Eis, das in einem sehr harten Winter die Donau bei Pest überzogen hatte, brach auseinander und setzte sich, in große und kleine Schollen auseinanderberstend, langsam in Bewegung. Graf Sandor ließ einen Rappen satteln, der besonders »geschickt« war und ritt neben der großenSchiffsbrücke her, die damals Ofen mit Pest verband, von Scholle zu Scholle springend über den Fluß! Auf der Brücke hatten sich Hunderte von Menschen eingefunden, die mit Entsetzen dem tollkühnen Schauspiel folgten und zum Schluß dem »Nationalhelden« brausend zujubelten.

      Ein zweites »Kunststück« vermag das erste noch dramatisch zu ergänzen.

      In dem Palais Sandor auf dem Burgplatz in Ofen (heute das ungarische Ministerium des Äußeren) führt eine breite Treppe von dem Flur in das erste Stockwerk, wo sich ein saalähnlicher Raum in der Mitte befindet. Von diesem führt eine Glastür auf einen schmalen langen Balkon. Ich habe öfters in dem Raume bei meinen Besuchen des ungarischen leitenden Staatsministers geweilt.

      Graf Sandor sagte eines Tages seinen Freunden, er werde sie mittags auf dem Burgplatz begrüßen. Man fand sich zahlreich ein, da man irgendein »Kunststück« erwartete – doch wohl kaum eine Begrüßung in der Form, wie sie stattfand. Er kam auf den Burgplatz gesprengt, das große Portal seines Palais wurde geöffnet, und er verschwand hoch zu Roß darin. Plötzlich erschallte oben vom Balkon eine Stimme. Auf seinem Rappen sitzend, von dem schmalen Balkon aus, auf dem er kaum mit dem Pferde Platz findet, schwenkt er grüßend den Hut. Alles jubelt ihm zu. Wie aber kommt er von dem Balkon, auf dem er das Pferd nicht wenden kann, hinaus und die Treppe hinunter, die man zur Not wohl zu Pferd hinaufklettern kann? Da erschallt ein allgemeiner Schreckensruf auf dem Platz. Sandor läßt sein Pferd hoch aufbäumen – und während es, gleichsam in der Luft über dem Balkon schwebend auf den Hinterbeinen steht, wirft er es in dieser Stellung herum und verschwindet durch die Tür in dem Zimmer. Es vergehen nur wenige Minuten. Das Portal wird geöffnet, und Sandor, freundlich die jubelnde Menge grüßend, galoppiert über den Platz und die stille Straße hinab zur Donau, um spazierenzureiten.

      Diese Beispiele mögen genügen, um den Mut, die Entschlossenheit – und die waghalsige Reitkunst Sandors kennenzulernen. Es blieb für mich jedoch immer die Frage offen, welche Kräfte mitwirkten, um die unerhörte Gewalt des Grafen über das Pferd zu erklären, denn mit Geschicklichkeit und Gewalt allein ist es nicht getan, was Sandor wagen konnte. Es könnte mich fast auf den Gedanken an eine Überleitung seiner momentanen Willensabsichten auf das Pferd bringen – was ich natürlich für Unsinn halte. Aber daß irgendeine Kraft hierbei im Spiele war, die ich, da mir eine andere Bezeichnung fehlt, mit dem landläufigen Ausdruck bezeichnen wollte, unterliegt keinem Zweifel. Weshalb gehen unter gewissen Reitern alle Pferde, und warum unter gewissen anderen Reitern, die sich größere Mühe geben und alle Gesetze der Reitkunst befolgen, »gehen« sie nicht? Aus meiner kavalleristischen Zeit erinnere ich mich eines Leutnants von Freier, der bei den I. Garde-Ulanen stand, er bändigte jedes noch so unbändige Pferd in allerkürzester Zeit, ja, brachte solche Pferde dahin, sich auf sein Zureden und Berühren niederzulegen.

      Auf eine gelegentliche, diesbezügliche Frage antwortete mir Fürstin Pauline in ihrem Briefe vom 6. September 1897: ... »Was mystische Vorkommnisse im Leben meines verstorbenen Vaters betrifft, so habe ich diesbezüglich nie etwas erfahren. Nur die Geschichte der durchgehenden Pferde ist allerdings geheimnisvoll.«

      Ich komme auf diese geheimnisvolle Geschichte zurück, will jedoch vorher noch erwähnen, daß mir die Fürstin in Bajna, gelegentlich eines Besuches der dortigen Stallungen, eine sonderbare Tatsache mitteilte.

      Diese großen Stallungen waren zur Lebenszeit ihres Vaters mit Pferden angefüllt – jetzt bargen sie nur Gespanne, die die Fürstin während ihres Sommeraufenthaltes benötigte. Sie erzählte mir, daß, sobald ihr Vater in den Stall trat, sämtliche Pferde nicht nur stets zu zittern begannen, sondern auch ein »gewisses Geschäft« verrichteten. Blieb der Graf längere Zeit in dem Stalle, so beruhigten sich die Tiere allmählich, aber sie gerieten alle in Transpiration.

      Diese höchst merkwürdige Einwirkung, die bis zu einem gewissen Grade die Bestätigung dessen ist, was mir Nachdenken verursachte, steht nun wohl auch mit dem Ereignis in Zusammenhang, das die Fürstin in ihrem Brief erwähnte, und das sie mir in Bajna nicht ohne Widerstreben und sehr ernst mitteilte.

      »Der schwarze Wagen«, so begann die Fürstin, »der den Sarg meines Vaters bei seiner Beisetzung zu der Gruft führen sollte, stand vor dem Schlosse. Sechs schwarzbehangene Rappen waren davorgespannt.

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