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jene aparte Delikatesse und leise Wehmut, die aus den Augen der Goesschen Frauenfiguren strahlt. Es kommt in die gesunde italienische Kunst der fascinierende Reiz der Krankheit. Wenn plötzlich alle Künstler wie auf Verabredung den Tobias malen, die Legende vom Blinden, der sehend wird, so möchte man darin fast eine Huldigung an den großen Niederländer sehen, der ihnen die Augen geöffnet, eine neue Schönheit enthüllt hatte.

      Alesso Baldovinetti war schon durch seine Herkunft – er war Schüler des Domenico Veniziano – berufen, in die koloristischen Bahnen des Niederländers einzulenken. Basari schildert ihn als niederländischen Kleinmaler. »Flüsse und Brücken, Steine und Gräser, Früchte, Wege, Felder, Landhäuser, Schlösser und allerhand dergleichen malte er nach der Natur. Auf seiner Geburt Christi könnte man die Halme im Stroh und die Wurzeln des Epheus zählen, dessen Blätter obendrein ganz naturgetreu auf der einen Seite dunkler gefärbt sind als auf der anderen. Man bemerkt auch ein halbverfallenes Haus, dessen Steine von Regen und Frost verwittert und von Moos umwuchert sind. Auf einer Mauer kriecht eine Schlange.« In der That läßt die Hirtengruppe dieses Bildes, das er im Vorhof der Santa Annunziata malte, keinen Zweifel, daß er das Goessche Altarwerk kannte. Aber nicht nur in seinem leuchtenden Kolorismus ist er dem feinen Niederländer gefolgt. Bilder von ihm, wie die Verkündigung und die Madonna der Sammlung Duchâtel, die früher dem Piero della Francesca zugewiesen wurde, kennzeichnen ihn auch als zarten Frauenmaler, der an der Hand des Hugo van der Goes den femininen Zug, der schon durch die Werke des Domenico Veniziano ging, zu einer fast überfeinen Grazie umprägte. Dem letzten Bild giebt überdies die Landschaft einen ganz seltsamen, biedermaierisch romantischen Zauber.

      Verroccchio,den großen Erzbildner, dieser Gruppe beizuzählen, kann unberechtigt scheinen. Denn man kennt ihn als den Mann, der im Colleoni das gewaltigste Reiterstandbild des Quattrocento schuf, als den Meister der Taufe Christi, jenes herben, asketischen Bildes mit den beiden nackten, sehnigen Körpern, das gewöhnlich dazu dienen muß, den »trockenen Realismus« Verrocchios in Gegensatz zu der himmlischen Zartheit seines Schülers Leonardo zu setzen. Aber im Grunde war auch Verrocchio schon kein derber, sondern ein zarter Meister. Wohl schuf er den Colleoni. Aber nicht mehr als ein Mann, der selbst, wie Donatello, die Kondottierenzeit miterlebte, sondern als Epigone, für den dieser Colleoni schon den »letzten Ritter« bedeutete, – das Symbol einer sporenklingenden, heroisch großen Vergangenheit, zu der die Gegenwart mit wehmütiger Bewunderung aufblickte. Diese sinnend träumerisch gewordene Gegenwart lebt in dem holdseligen Kopf seines David, lebt in den zierlichen, fast koketten Bildern des Meisters, der auf seinem Porträt so still bedächtig wie ein Giambellini von Florenz in die Welt blickt, in nichts mehr ähnlich dem trotzig wilden Geschlecht, dem die Donatello und Castagno angehörten. Castagnos Pippo Spano wirkt terribile, gerade weil er seine Rüstung so ungezwungen trägt, wie wir den Tuchrock. Verrocchio kann diesen Eindruck nur noch künstlich erzielen, indem er die Rüstung seiner Helden mit Schlangen und Gorgonenhäuptern schmückt.

      Von Mantegna mag er seine ersten Eindrücke erhalten haben. Mit ihm berührt er sich in der plastischen Herausarbeitung der Formen. Körperliche Rundung, straffe Linien, Sauberkeit und Bestimmtheit der Umrisse, die höchste Glätte und Appretur der Oberfläche, alles, was ein guter Bronzeguß haben muß, sucht er seinen Bildern zu geben. Dazu kommt die goldschmiedeartige Feinheit in der Ausgestaltung des Beiwerks. Jedes Schmuckstück, die Goldstickereien der Kleider wie der zarte Gazeschleier, der das Haupt Marias ziert, sind mit peinlicher Accuratesse gemalt. Goes bestärkte ihn in diesen koloristischen Tendenzen. Verrocchios Werkstatt ward das erste Meisteratelier von Florenz, wo systematisch die Oelmalerei betrieben wurde. Auch die florentinische Landschaftsmalerei lenkte er, durch Goes angeregt, in neue Bahn. Während die früheren Florentiner sich in preciösem Detail ergingen, noch die fernsten Dinge in ungebrochenen Farben glitzern und leuchten ließen, hatte Verrocchio den Geschmack für einfache Ebenen und verband damit gewisse pleinairistische Absichten. Die Zwielichtstimmung, wenn die Bäume schwarz sich vom hellgrauen Himmel absetzen oder kühle Feuchtigkeit über ausgedörrte, staubige Ebenen sich senkt, war ihm die liebste Stunde.

      Aber mehr noch für den Eindruck seiner Bilder bestimmend ist die zierliche Grazie, die er in Gesichtsausdruck und Bewegung erstrebt. Während Donatellos und Castagnos Figuren die Hände breit auflegen und den zweiten Finger spreizen, biegen die Verrocchios den kleinen. Dieses Detail schon kennzeichnet die Geschmackswandlung. Dort das Energische, hier das zimperlich Feine. »Noli me tangere« ist seinem Berliner Mädchenporträt beigeschrieben. Das könnte auch unter Castagnos Porträt des Pippo Spano stehen, nur in anderem Sinne. Verrocchio selbst fühlte, welch zartes, gebrechliches Ideal er den kraftvoll mächtigen Gestalten der älteren Meister gegenüberstellte. Er als erster setzte an die Stelle der derben, gesunden Kinder, wie sie die Früheren schilderten, den zierlichen Putto. Er als erster gab den Zügen seiner Madonna einen Anflug jenes leise bezaubernden Lächelns, mit dem man Leonardos Namen verbindet. Das Tobiasbild enthält wohl die Quintessenz seines Schaffens. Diese geschmeidigen, mädchenhaft zarten Epheben mit dem welligen Lockenhaar, die im Menuettschritt durch die Landschaft schreiten, umflattert und umschmiegt von Bändern und Schärpen, in manierierter Grazie die aristokratisch feinen Hände bewegend – sie zeugen deutlich, daß das Schönheitsideal dieser neuen Generation ganz entgegengesetzt demjenigen war, das die vorhergehende Generation verehrte.

      Wenn Verrocchio wenigstens in einigen seiner Werke an die kraftvolle Vergangenheit anklingt, ist Piero Pollajuolo ganz der Sproß dieses neuen überzarten Zeitalters: ebenso feinfühlig wie schwach, blaß und verträumt, ein Niels Lyhne des Quattrocento, der haltlos von einem Vorbild zum anderen schwankt, nicht stehen kann, ohne in weiblicher Hingebung einem Stärkeren sich anzuschmiegen. In seinem frühesten Werk, der 1483 gemalten Krönung der Maria, ist er noch in den Bahnen seines Lehrers Castagno, versucht rücksichtslos derb, bäurisch kraftvoll zu sein. Aber sie liegt ihm nicht, diese knorrige Art. Hugo van der Goes brachte ihm ein Ideal, das seinem Wesen viel mehr entsprach. Der bärtige Mann in dem Bilde der Drei Heiligen ist wörtlich dem niederländischen Altarwerk entnommen. Wie Baldovinetti wirft er sich auf die Koloristik und schafft jene Verkündigung der Berliner Galerie, die in ihrem tiefleuchtenden Ton malerisch zu den größten Leistungen der florentinischen Kunst gehört. Doch am meisten er selbst ist er in jenen Werken, in denen er die Zierlichkeit Verrocchios, die Grazie von Goes noch mehr ins schwächlich Weichliche umsetzt. Schlaff herabfallende Stiefelschäfte liebt er besonders – ein Symbol gleichsam seines eigenen Wesens. Es ist, als laste auf seinen schmalen Schultern die ganze Müdigkeit eines sinkenden Jahrhunderts. Merkwürdige Decadencestimmung strömt aus diesen zarten, schmächtigen Gestalten, die so kokett gekleidet sind, so zierlich die Hände bewegen, so schüchtern die Füße setzen. Zeugniß ist der David der Berliner Galerie, der ebensogut von einem modernen Rosenkreuzer wie von einem Sohn des jugendlichen Quattrocento sein könnte. Zeugnis ist das Tobiasbild des Londoner Museums mit dem nervösen weißen Hündchen und den affektiert tänzelnden Wesen, die so zaghaft, so geschwächt, so überzart sind, daß sie bei jedem Geräusch erzittern. Man möchte sagen, dieser Tobias, der hier sein schmales Händchen in den Arm eines Stärkeren legt, das ist Piero Pollajuolo selbst, der sofort hilflos ist, wenn nicht ein Stärkerer ihn führt. Vierzehn Jahre war er jünger als sein Bruder Antonio, und man könnte an die verzärtelte Schmiegsamkeit spätgeborener Kinder denken, wenn dieser weiche, matte Zug nicht durch das ganze Zeitalter ginge. Auf die Starken folgen die Schwachen, auf die Gesunden die Nervösen, auf die Eroberer die müden Aristokraten, die nicht mehr arbeiten, nur genießen wollen.

      15. Das Zeitalter des Lorenzo Magnifico.

      Inhaltsverzeichnis

      Lorenzo Magnifico verkörpert in seiner Person das Zeitalter. Auf den alten Cosmo, den klugen geschäftigen Bankier, der die Reichtümer des mediceischen Hauses angesammelt hatte, folgt der Enkel, der sie genießt. Für Cosmo im Vordergrund stand das Geschäft; die Kunst war ihm ein Mittel, dem Volk zu imponieren. Lorenzo, der durch die Verbindung mit Clarice Orsini dem jungen Wappen der Medici altadeligen Glanz verliehen, ist zu sehr Grandseigneur, seine Hände mit Geldgeschäften zu beflecken. Die Kunstpflege ist bei ihm » prédilection d'artiste«.

      Aufgewachsen inmitten all der Kunstwerke, die drei Generationen zusammengebracht, hat er sein Auge an

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