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Geschichte der Malerei (Alle 5 Bände). Richard Muther
Читать онлайн.Название Geschichte der Malerei (Alle 5 Bände)
Год выпуска 0
isbn 9788027211838
Автор произведения Richard Muther
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Seine Werke zeigen, welch ein herrlicher Geist hier geknickt ward. Besonders der Flügelaltar mit der Anbetung der Hirten, den er im Auftrag des mediceischen Agenten in Brügge, Tommaso Portinari, für Santa Maria Nuova malte, ist einer der stärksten Kunsteindrücke, die Florenz bietet. Schon der Gedanke ist neu und das Beleuchtungsproblem, das er sich stellt. Der Bambino liegt am Boden auf einer Schütte Stroh, umflossen von Lichtstrahlen, die auch die knieende Madonna beleuchten. Schmächtige Engel knieen ringsum oder schweben in der Luft. Einer namentlich, der sich auf schillernden Fittigen jubelnd zum Himmel erhebt, noch getroffen von dem göttlichen Licht, das den unteren Teil seines Gewandes umflutet, könnte aus einem Bilde Rembrandts stammen. Aber nicht die Erinnerung an Rembrandt allein, auch die an Böcklin wird wach. Wie die hellgrünen Zweige von dem tiefblauen Himmel sich absetzen, wie die feuerrote Lilie als kecker Farbenfleck im Vordergrund steht, das sind Farbengedanken, die viel weniger an das Quattrocento als an den Schluß des 19. Jahrhunderts gemahnen. Dunkelblaue, violette, grüne und dumpfschwarze Töne verbinden sich in den Gewändern zu nie gehörten Accorden. Ein undefinierbarer Zauber umwebt die Gestalt der Madonna. Kein Mädchen ist sie, sondern das Weib, das die großen Schmerzen des Gebärens kennt. Daneben Joseph, alt und grämlich, mit den schwieligen Händen des Arbeitsmannes und doch feierlich wie ein Doge Tintorettos. Auf der anderen Seite die Hirten, derbe, wetterfeste Gestalten, sonnenverbrannt, vierschrötig, rauh und wahr: einer das Knie beugend, ein anderer neugierig herüberlugend, ein dritter in atemloser Eile nahend. Erinnert man sich, welche Schwierigkeiten noch im 17. Jahrhundert es den Malern machte, bei Bauernbildern nicht ins Karikierende zu fallen, – welche grotesken Tölpel und betrunkenen Hanswurste Brueghel und Ostade als Bauern vorführen –, dann empfindet man den unbefangen großen Realismus dieses Meisters, der an Millet, an Bastien-Lepage heranreicht.
Fast noch großartiger als das Mittelbild sind die Flügel. Auf der einen Seite diese Heiligen, seltsame Judentypen von patriarchalisch königlichem Stil. Zu ihren Füßen knieend Tommaso Portinari, der Urenkel jener Beatrice, die Dante in der Vita Nuova gefeiert, ein feiner Kopf mit den ernst verschlossenen Zügen des vornehmen Kaufherrn. Neben ihm die schüchtern blassen Gesichtchen seiner beiden Knaben, die nicht recht wissen, um was es sich handelt und bänglich verlegen, halb mechanisch ihre zarten Fingerchen zum Gebete falten. Auf der anderen Seite Frauen von still vornehmer Schweigsamkeit und zarter Noblesse. Mager und fein die Gattin Portinaris, backfischhaft frisch sein blondes Töchterchen. Dahinter ihre Schutzheiligen Margarete und Maria Magdalena, wie Fürstinnen gekleidet in graue, goldbordierte Gewänder und schimmernden weißen Damast, das Haar zurückgekämmt und von koketter hoher Haube bedeckt. Schon von den alten Schriftstellern wurde Goes als größter Frauenmaler seiner Epoche gerühmt. Van Mander spricht, wenn er die Frauen des Meisters beschreibt, von ihrer züchtigen Sittsamkeit, ihrem schamhaft süßen Wesen. Man fühle, daß Cupido und die Grazien dem Maler den Pinsel geführt. Der Portinarialtar bestätigt den Schriftsteller. Ein so wuchtig kraftvoller Charakteristiker Goes bei den Männergestalten ist, so elastisch schwungvoll ist er hier. Geschmeidig vornehm, fast überzierlich sind die Bewegungen in ihrer mädchenhaften Sprödigkeit. Blumengleiche Grazie, zugleich eine leise verhaltene Wehmut liegt in den aristokratisch bleichen, melancholisch sinnenden Köpfen mit den dunkel umränderten, von dünnen Brauen beschatteten Augen und den schmalen, nervös zuckenden Lippen. Die Hände, runzelig und arbeitsgewohnt bei den Männer, sind hier fein und weiß, ausdrucksvoll, als könnten sie Romane erzählen. Diesem herben Reiz verbindet sich stilvolle Eurhythmie, eine Großzügigkeit, die verständlich macht, daß Goes' höchstes Ideal die Freskomalerei war. Alles ist von monumentaler Feierlichkeit, wie sie seit Hubert van Eyck kein niederländischer Künstler hatte.
Hand in Hand mit dieser Größe der Liniensprache geht eine nie dagewesene Intimität in der Landschaft. Jan van Eyck, der erste Landschafter der Niederlande, war durch das exotische Interesse, durch Touristengeschmack zur Darstellung der Natur geführt worden. Seinen einfachen Landsleuten, die nie über Brügge und Gent hinausgekommen, erzählt er als weitgereister Maler von der bunten Herrlichkeit des Südens. Selbst wenn er zuweilen niederländische Motive giebt, behält bei ihm die Landschaft etwas Pretiöses, Ueberladenes. Dasselbe Streben, das die Figuren in reichem Gewande darstellt, ihre Kleider mit Blumen durchwebt und mit Goldsäumen schmückt, veranlaßt ihn, seine Landschaften viel reicher zu gestalten, als sie in Wirklichkeit sind. Die verschiedensten Dinge, Palmbäume, Ebereschen und Tannen läßt er nur des Reichtums wegen nebeneinander wachsen, ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Klima. An die Stelle dieser Feststimmung Jan van Eycks tritt bei Goes die Freude am Intimen, Alltäglichen. Er als erster empfand, daß eine Landschaft nicht exotisch, nicht aufgeputzt zu sein braucht. Er hatte den Geschmack für das Heimatliche, für die ganz einfache Natur, für Aecker und Wiesen, für Weiher und Wälder. Auf der rechten Tafel mit den hochstämmigen Bäumen, auf deren entlaubtem Geäste sich Krähen niedergelassen, blickt man sogar in eine fahle Winterlandschaft hinaus, die sich trüb unter bewölktem Himmel hinlagert. Zugleich drang er viel mehr als die Früheren in den Organismus der Landschaft ein. Jan stellte Blumen und Bäume sorgsam in seine Bilder, wie es Kinder mit ihren Spielsachen thun. Goes untersucht als erster die Wurzeln und Blätter. Namentlich die Art, wie er Bäume malt, ist außerordentlich. Jeder hat seine eigene Physiognomie, und doch sind alle Linien mit feinster Berechnung zu den Hauptlinien der Figuren gestimmt.
Eine ganz neue Auffassung der Natur mußte unter dem Eindruck dieses Wunderwerkes sich Bahn brechen. Und fast symbolisch ist, daß es nicht in den Niederlanden blieb, sondern nach Italien kam. Dort im Norden hätte es kaum Verständnis gefunden, hier im Süden strömten die Maler staunend davor zusammen. Schon Piero della Francesca hatte es vor Augen, als er seine Oxforder Madonna, die Geburt des Christkindes und die Santa Conversazione der Brera malte. Auf dem einen Bild weist der Madonnentypus darauf hin, auf dem zweiten die Hirtengruppe, auf dem dritten die Gestalt des Heiligen links, der direkt aus dem niederländischen Altarwerk stammt. Auch Jean Foucquet, der Franzose, muß Werke von Goes gesehen haben, denn die Aehnlichkeit seines Etienne Chevalier, der auf dem Berliner Bild von Stefan der Madonna empfohlen wird, mit Goes' heiligem Viktor ist zu groß, als daß sie zufällig sein könnte. Andere Anleihen sind bei Baldovinetti, Piero di Cosimo, Ghirlandajo, Lorenzo di Credi und Piero Pollajuolo zu bemerken. Der Herzog von Urbino beruft, unter dem frischen Eindruck des Werkes, einen Niederländer, den Justus von Gent an seinen Hof. Doch es wäre falsch, nur solche Einzelheiten zu betonen. Die ganze Weiterentwicklung der florentinischen Kunst deutet darauf hin, daß nächst dem Besuch Mantegnas das Erscheinen des niederländischen Altarwerkes als größtes Kunstereignis der sechziger Jahre betrachtet wurde.
Der Einfluß äußert sich zunächst in den neuen koloristischen Tendenzen der Maler. War man bisher – von Domenico Veniziano abgesehen – auf dem Niveau einer primitiven Kolorierung stehen geblieben, so sucht man jetzt das malerische Element mehr zu entwickeln. Schmucksachen, Architektur und Landschaft werden noch mehr als früher herangezogen, um die leuchtende Farbenpracht zu steigern. Die Bauerngestalten des Altarwerks und die wunderbar gemalten Tiere gaben weiter den Geschmack der Rusticität. Aber noch ein anderes Element, das neu in die florentinische Kunst kommt, hängt offenbar mit dem Erscheinen des Goesschen Altarwerkes zusammen: die Grazie. In den älteren Werken des 15. Jahrhunderts, denen des Filippo Lippi und Gozzoli, herrschte eine gedankenlose, ein wenig vulgäre Anmut. Mit Castagno kam der Kondottierengeist des Quattrocento zu Wort. Alles ist Energie, breitspurige Männlichkeit, herausfordernde