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sich der Spiegelschrift bediente, um seine Manuskripte vor unberufenen Augen zu hüten. Vasari erzählt ferner, Piero habe nicht geduldet, daß in seinem Garten Früchte abgeschnitten wurden, habe den Wein wild wachsen lassen und behauptet, daß man die Natur sich selbst machen lassen müsse, statt etwas anderes aus ihr zu machen. Das gemahnt an die Worte Rousseaus, daß alles gut sei, so wie es aus dem Schoße der Allmutter Natur hervorgegangen, und beleuchtet zugleich den landschaftlichen Realismus seiner Bilder, die ebenfalls die Natur geben, wie sie ist, ohne sie durch »Verschönerung zu schänden«. Weiter wird erzählt, Piero habe ausschließlich von gekochten Eiern gelebt. Selbst dieses Abstinenzlertum, scheinbar die Caprice eines Sonderlings, steht in Zusammenhang mit den pantheistischen Anschauungen des Meisters, der den Tieren ein so freundlicher Beobachter war und nächst Goes die ersten großen Tierstücke der modernen Kunst schuf.

      Doch dieser intime beobachtende Zug ist nur die eine Seite in Pieros Natur. Hand in Hand damit geht ein Zug zum Märchenhaften und Phantastischen. Derselbe Mann, der mit so hellem, nordisch scharfem Auge die Natur betrachtet, horcht auch auf verklingende Weisen, die nur ganz leise noch ertönen. Sonderbare Wesen treten vor ihn hin, phantastisch, doch ernsthaft. Auf seltsamen Tieren schweben Märchengestalten durch den Raum. Ein fabelhafter Hippogryph trägt ihn in versunkene Schönheitswelten, nach Griechenland, in den Orient, nach Utopien. »Dieser Jüngling,« heißt es bei Vasari, »hatte von Natur sehr viel Geist und war in seinen seltsamen Einfällen sehr verschieden von den anderen jungen Leuten, die mit ihm zusammen bei Cosimo Roselli arbeiteten. Oft, wenn er etwas erzählen wollte, kam es vor, daß er plötzlich nicht mehr wußte, wovon er sprach und von vorn anfangen mußte, weil sein Hirn sich unterdessen mit ganz anderen Dingen beschäftigt hatte. Zugleich liebte er derart die Einsamkeit, daß er sich nur wohl fühlte, wenn er allein umhergehen konnte, seinen phantastischen Gedanken hingegeben und Luftschlösser bauend. Oft sah man ihn stehen und eine Mauer anblicken, auf die kranke Personen gespuckt hatten. In diesem Sputum behauptete er Reiterschlachten, phantastische Städte und die schönsten Landschaften, die man sich vorstellen könne, zu sehen. Ebenso machte er es mit den Wolken.« Das heißt: Schon lange vor Leonardo befolgte er den Rat, den dieser in seinem Malerbuch den jungen Künstlern giebt: »Hast du irgend eine Situation zu erfinden, so kannst du in Wolken und verwittertem Mauerwerk gar merkwürdige Dinge erblicken: schöne Landschaften, geschmückt mit Gebirgen, Flüssen, Felsen, Bäumen, großen Ebenen, Thal und Hügeln. Auch allerlei Schlachten kannst du da sehen, lebhafte Stellungen sonderbar fremdartiger Figuren, Gesichtsmienen, Trachten. Es tritt bei derlei Mauern und Gemisch das Aehnliche ein wie beim Klang der Glocken. Da wirst du in den Schlägen jeden Namen und jedes Wort wieder finden können, die du dir einbildest.«

      Am frühesten äußerte sich Pieros Zug zum Phantastischen in den Maskenzügen, die er zur Karnevalszeit den vornehmen jungen Herren von Florenz anordnete. »Er veranstaltete ganze Triumphzüge mit Musik und Dichtungen, die für diesen Zweck gemacht waren. Da gab es Menschen zu Pferd und zu Fuß, alles von unglaublichem Pomp, die Kleider streng zu dem dargestellten Bilde passend. Und es war schön, nachts etwa dreißig Pferde zu sehen, darauf die Ritter mit ihrem prunkvollen, für den Aufzug entworfenen Kostüm, bei jedem sechs oder acht Knappen, die Lanze in der Hand, dann den Triumphwagen, geschmückt mit Trophäen und phantastischen Ornamenten.« In einer Zeit, als die Malerei noch wesentlich auf den überkommenen religiösen Stoffkreis angewiesen war, konnte sich die Phantastik nur in solchen ephemeren Dingen Luft machen. Durch die Reise nach Rom, die er 1482 in Begleitung seines Lehrers Roselli machte, wurde dann dieser Zug zum Phantastischen in ein festes Bett geleitet. Die strahlende Wunderwelt der Antike erschließt sich ihm, der Zauber der blütenumwobenen alten Legenden geht ihm auf. Seine Phantasie, die bisher nicht wußte, wie sie sich bethätigen, welches Strombett sie höhlen sollte, findet ein festes Ziel. Die Antike ist für ihn ein versunkenes Zauberreich, wo Hexerei und Liebe, Abenteuer und Rittertum herrschen. In dichte Wälder wird man gefühlt, wo Satyrn und Nymphen hausen; an Meeresgestade, wo mutige Ritter gegen Drachen kämpfen, um gefangene Prinzessinnen zu befreien. Bald geht durch die Bilder der neckisch schäkernde Ton, der aus Boccaccios Göttergeschichten lacht; bald jene romantische Sehnsucht, die aus den Dichtungen des Magnifico tönt. Bald liegt eine ganz moderne Lohengrin- oder Nickelmannstimmung darüber.

      Wie eine ins Offenbachsche übersetzte Antike wirkt das Bild, das im Anschluß an die »Silvae« Polizians die Auffindung des Hylas schildert. Eine Nymphe hat den hübschen Jungen, den Liebling des Herakles, auf blumiger Wiese gefunden. Und wie die Hunde, wenn sie das Wild wittern, zusammenströmen, so eilen die Mädchen herbei, den nackten Knaben zu bewundern. Jede will ihn für sich. Die bringt ihm Blumen, die Früchte, die ein Hündchen. Eine ist so gebannt durch den Anblick, daß sie mit gespreizten Beinen, die Hand auf den Schenkel gestemmt, wie blödsinnig auf den Buben starrt und in ihrer Aufregung alle Blumen verliert. Böcklins dickwanstige Tritonen, die im »Spiel der Wellen« die badende Najade erblicken, schauen nicht erstaunter als Pieros Nymphen. – »Venus und Mars« in Berlin ist eine Schäferidylle von neckischem Zauber. Eroten spielen mit der Rüstung des Mars. Tauben schnäbeln sich, auf dem Knie der Venus hat sich ein roter Schmetterling niedergelassen. Das Kaninchen, das sich an sie schmiegt, spitzt so verständnisvoll die Ohren, als ob es schnüffelnd den Duft des Frauenkörpers wittere. – Auf dem Bild der Befreiung der Andromeda fliegt der Held in gelbem Metallpanzer, blauem Waffenrock, flatternder Schärpe und roten Tricots wie ein burlesker Lohengrin durch die Luft, und das Ungetüm windet sich schwerfällig wie ein urweltlicher Fafner. Piero hat nach Vasari lange ausschließlich auf diesem Gebiet gearbeitet. Er hatte gefunden, wohin seine Begabung drängte, war unerschöpflich in der Erfindung von fabelhaften Ungetümen und lustigem Märchenspuk. Kentauren und Satyrn stürmen daher, Lapithen kämpfen, Prometheus holt das Feuer vom Himmel. Der ganze Raum der Erde belebt sich in seiner Phantasie mit Geistern. Legionen seltsamer Wesen bevölkern die Luft. Es war, als sei der alte Pan nach tausendjährigem Schlummer erwacht. Das Bild der toten Prokris in London ist wohl das schönste der Gruppe, ein liebliches Idyll von ganz Boecklinschem Reiz. Auf duftiger blütenreicher Wiese liegt der zarte Körper. Ein Faun kniet neben ihr, kann noch nicht glauben, daß sie tot ist, Prokris, die Tochter des Erechtheus. Leise beugt er sich nieder, sucht ihren Kopf aufzurichten, blickt ihr ins Auge. Ein romantisches Griechentum, eine tiefe Melancholie geht durch das Bild. Nicht der Hund nur, der als treuer Wächter dabei sitzt, auch die Landschaft trauert. Wie die Zweige von Trauerweiden beugt das Gebüsch sich herab. Piero, der Schelm, ist ernst und sinnend geworden. Man meint, er habe in dem trauernden Faun sich selbst, in der toten Prokris seine Kunst gemalt.

      Denn als die finsteren Bußpredigten Savonarolas ertönten, war es mit dem heiteren Märchenspiel vorbei. Der bunten Antike trat wieder das schwarze Mittelalter, der schäkernden Sinnenfreudigkeit blutige Askese entgegen. Piero, der Heide, konnte der Wandlung nicht folgen. Eine Zeit lang versuchte er es. Die heilige Familie in Dresden ist wohl das erste Zugeständnis, das er dem Dominikaner machte. Die Landschaft, früher im Blumenschmuck prangend, ist felsig und öd. Kahle Bäume recken ihre Zweige gen Himmel. Johannes, früher der Spielgefährte des Christkindes, naht ihm scheu mit dem Kreuz. Mächtige Engel sind wolkenfarbig über die Landschaft gebreitet. In der Florentiner »Conception der Maria« erhebt er sich sogar zu einer großen Leistung im Sinne des neuen Spiritualismus. Schon das Thema zeigt, wie hier der Geist der Gegenreformation seinen Schatten vorauswirft. Zum erstenmal ist der Moment dargestellt, dessen Verherrlichung Murillo später sein Leben weihte: wie der Heilige Geist die Jungfrau beschattet. Selbst die Köpfe sind von schwärmerisch hingebender Erregtheit. Es ist ihm gelungen, sich hinaufzuschrauben in die religiöse Verzückung, die das Zeitalter durchbebte. Aber lange hielt diese Begeisterung nicht vor. So viele religiöse Bilder er noch malte – er hat seine Persönlichkeit verloren. Bald ist es Signorelli, bald Leonardo oder Fra Bartolommeo, dem er nachahmend folgt. Und Piero fühlt das Erzwungene dieses Schaffens. Wie er sich selbst nicht mehr ausspricht, kommt er den anderen nicht gleich. Mißmutig nimmt er seine Tafeln in Angriff, um sie gezwungen oder gar nicht zu beenden. Unter dem Deckmantel der Porträtmalerei wagt er noch einmal einen schüchternen Ausflug in sein altes Reich. Es entsteht die unheimliche Cleopatra, jenes nackte Weib mit dem orientalischen Shawl, um deren Halskette eine grüngelbe Schlange sich windet. Aber man fühlt, daß ein Mann, in dessen Innern eine Saite zerrissen war, das Bild malte. So schrill ist die Dissonanz zwischen dem tropisch üppigen, sinnlichen Charakter Cleopatras und der trostlos hungrigen Landschaft mit dem verdorrten Baum, die Piero ihr als Hintergrund giebt; so teuflisch der Gegensatz

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