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      Ein Israelit, welcher Medizin studierte, gestand, er zöge das Christentum dem Judentume vor und würde sich gern taufen lassen, wenn nur nicht das Dogma von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria allzu fatal den Gesetzen der Wissenschaft widerspräche. Heine hörte aufmerksam zu, er sagte nichts, aber ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen. Überhaupt sprach er wenig; er war mehr Beobachter und Denker, als redseliger Teilnehmer an der allgemeinen Konversation; wenn er sich in letztere einmischte, geschah es meist durch kurze, schlagartig treffende Bemerkungen oder drollige Witze.

      24. Johann Baptist Rousseau174

      Winter 1819/20

      Heine, der sein Latein in Hamburg verschwitzt hatte, wandte sich damals an Professor Heinrich mit dem Gesuch, ihm einen Philologen zu empfehlen, der ihm beistände, das Versäumte nachzuholen. Heinrich wies ihn an mich. Wir lasen jeden Morgen von sieben bis acht erst den Sallust, dann den Virgil; allmählich rückte Heine, der damals in Bonn für einen äußerst närrischen Kauz galt und von den Studenten als Idiot zum besten gehalten wurde, mit Manuskripten und der Zeitschrift „Der Wächter“ heraus, legte mir Gedichte von Freudhold Riesenharf vor, den er für einen seiner intimsten Hamburger Freunde ausgab, und bat mich um ein Urteil darüber; ihm schienen sie keinen Schuß Pulver wert. Als ich, in Heine durchaus nicht den Verfasser vermutend, mein Entzücken darüber aussprach und trotz des bestimmtesten und wohl gar massiven Einsprechens Heines jenen Riesenharf für ein Genie erster Größe halten zu müssen erklärte, fiel Heine mir plötzlich wie wahnsinnig um den Hals, weinte und jubelte durcheinander, und es wiederholte sich jene Szene Anch’ io son pittore.

      [Unter dem Pseudonym „Sy. Freudhold Riesenharf“ hatte Heine 1817 seine ersten Gedichte in „Hamburgs Wächter“ veröffentlicht. Auch Rousseau wurde Schriftsteller.]

      25. Johann Baptist Rousseau174

      Winter 1819/20

      Kleine, ziemlich muskulöse Gestalt; blonde Haare mit weißen durchmischt; hohe und bedeutsame Stirne; um den Mund immerwährend ein ironisches, gutmütiges Lächeln; die Hände hält er [Heine] meist auf dem Rücken und schlottert so einen Entengang dahin. Hält sich für schön und kokettiert im Spiegel heimlich mit sich. Er spricht gut und hört sich gern sprechen; so oft er einen Witz reißt, lacht er laut auf, dann wird seine Physiognomie, die sonst nichts auffallend Orientalisches hat, ganz jüdisch, und die ohnedies kleinen Augen verschwinden beinah.

      26. Friedrich Steinmann173

      1819/20

      Da er [Heine] mit A. W. v. Schlegel in nähere Bekanntschaft ... getreten war, so übergab er diesem das Manuskript [seiner Gedichte] zur Durchsicht; willig übernahm dieser dieselbe und erklärte ihm offen, was er dawider auszusetzen habe; er deutete seine Erinnerungen durch Bleistiftstriche in der Handschrift an, und als Heine also dieselben wiedererhielt, hatte er keine andere Beschäftigung, als alle die kleinen Mängel... auszumerzen und zu bessern ... Stundenlang brütete er über die Änderung eines Verses, und fühlte sich belohnt genug, wenn ihm die Korrektur gelungen, und Freunde ihm ihren Beifall zollten.

      27. Max Heine70

      1820

      Als Heine in Bonn studierte, trug er gewöhnlich einen Studentenrock von schwarzem Samt. Da der Rock ziemlich abgetragen war, so bestellte er bei seinem Schneider einen neuen Rock vom schönsten blauen Samt, und versprach seinem täglich kommenden Barbier seinen alten, welcher beständig im Vorzimmer an einem Nagel hing. Der Schneider brachte zur bestimmten Zeit den neuen schönen Rock und hing denselben an dem Nagel im Vorzimmer auf, von dem zufällig der alte Rock weggenommen war. Als Heine bald darauf rasiert wurde, sagte er dem weggehenden Barbier: „Heute können Sie den Rock draußen mitnehmen.“ Der Barbier dankte aufs verbindlichste, empfahl sich und nahm aus dem Vorzimmer den schönen neuen Rock mit.

      Heine kleidete sich nun an, um in seinem schönen neuen Samtrocke spazierenzugehen, wozu ihn ein eintretender Freund einlud. Wie erschrak er, als sein neuer Rock weg war; er sagte aber nichts weiter als: „Hat der Barbier Glück!“ und zog den alten an.

      Späterhin in seinem Leben, so oft von einem Menschen die Rede war, der sehr viel Glück hatte, sagte er nichts weiter als: „Hat das Barbierchen Glück!“ und erzählte dann ganz gemütlich, wie er seinen alten Samtrock und sein Barbier den neuen behalten hat.

      [Strodtmann (I, 681) zweifelt diese Anekdote an, da Heine, nach dem Zeugnis von Neunzig, Steinmann und andern, nie einen altdeutschen Studentenrock getragen habe. Aber auch Maria Embden-Heine berichtet den Vorfall und fügt noch hinzu, daß seitdem die Redensart: „Hat das Barbierchen Glück gehabt!“ in der Familie sprichwörtlich geworden sei. Von Neunzig erfuhr Strodtmann einen andern, alltäglicheren Vorfall, der wohl jener Anekdote zugrunde liegt: „Eines Morgens ward Neunzig von einem Landsmanne aufgesucht, der um eine kleine Wegzehrung bat und dann auch nach Heines Wohnung frug. Neunzig zeigte ihm das Haus. Nachmittags kam Heine in sehr aufgeregter Stimmung hinüber und erzählte, sein Hauswirt habe einen fremden Menschen, den er für einen Studenten angesehn, in sein Zimmer gelassen, und dieser habe ihm seinen neuen Rock gestohlen. Der satirische Zug verschwand dabei nicht, er verzog sich vielmehr zu einem höhnischen Grinsen.“ Wenn der Pseudostudent seines Handwerks Barbier war, bestände wenigstens der traditionelle Familienscherz zu Recht.]

      28. Max Heine70

      1820

      Als Heine in Bonn Jura studierte, kam er in der Ferienzeit nach Düsseldorf herüber. Er war sehr milde, sanft und weichherzig, aber in Zorn gebracht äußerst heftig, selbst gegen seine Gewohnheit manchmal etwas gewalttätig. Ich erinnere mich noch, daß er über die Unverschämtheit und grobe Prellerei eines Karrenschiebers, der seinen Koffer von der Post ins elterliche Haus bringen sollte, außer sich geriet; ein anderer hätte dem groben Lümmel eine Ohrfeige gegeben. Heinrich, bleich vor Zorn, faßte sich, zahlte ruhig das ausgepreßte Geld, zupfte aber mit aller Vehemenz des Kerls großen schwarzen Backenbart, indem er freundlich zu ihm sagte: „Ich glaubte, mein Bester, Sie trügen einen falschen Bart.“

      So habe ich, erzählte er später, meinem schrecklichen Ärger Luft gemacht, ohne daß der Kerl mich verklage konnte.

      29. Max Heine70

      1820

      In den sonnigen Mittagsstunden liebte Heinrich in unserm Hausgarten zu promenieren. Auf diesen Spaziergangen war ich oft im Gespräche an seiner Seite, und hier flößte er dem dreizehnjährigen Knaben die Liebe zur Poesie, zum Wissen ein; hier schöpfte ich zuerst aus dem reichen Borne seiner poetischen Seele. Der vortreffliche Bruder, frei von jedem Egoismus, bedauerte nicht die durch mich verlorenen Stunden, wenn ich auch oft wenig von seinen Mitteilungen verstand.

      Heinrich liebte sehr das Arbeiten und Treiben der Spinnen zu beobachten. Einstmals standen wir vor einem großen wunderbar gearbeiteten Netze einer in der Mitte desselben lauernden mächtigen Kreuzspinne. „Sieh, Max,“ sagte er und zeigte auf die gefangenen und ausgesogenen Fliegen in dem Netze, „sieh, so geht es auch dem Dummen in der Welt. Die Spinne ist unser Lebensfeind, das Netz seine falschen und verlockenden Worte – aber der Kluge, der Entschlossene macht es so“, und damit schlug er mit einem Stocke das ganze schöne Netz rasch herunter. Auf der Erde kroch die große Kreuzspinne, er zeigte auf sie hin und sagte zu mir: „Töte sie ja nicht! Wenn man des Feindes Werk gründlich vernichtet, verstehst du, wenn man seine Pläne gänzlich vereitelt hat, braucht man ihn nicht mehr zu töten, man läßt ihn laufen.“

      30. Max Heine70

      1820

      Von meiner frühesten Jugend an liebte ich die deutschen Dramatiker; viel mag zu dieser Neigung beigetragen haben, daß ich, fast Kind noch, sehr oft in das Theater mitgenommen wurde. Es war dies die Zeit, wo die Ritterspiele auf der Bühne in vollem Flor standen. „Johanna von Montfaucon“, „Die Kreuzfahrer“, „Die

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