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825 Gesprächen ergeben, die mit laufenden Nummern versehen sind. Am Kopf jedes Gespräches steht der Name dessen, der als Besucher oder Berichterstatter unmittelbar in Frage kommt oder mittelbar zu gelten hat. Erzählt beispielsweise Heines unzuverlässige Nichte Maria Embden, die spätere Fürstin della Rocca, Jugenderinnerungen des Dichters, so dürfen als eigentliche Gewährsleute ihre Mutter Charlotte oder ihre Großmutter Betty Heine angenommen werden. Oft genug geht aber auch die Tradition von Hand zu Hand, ehe sie einen literarischen Niederschlag findet; der wirkliche Zeuge bleibt mit und ohne Absicht anonym; in solchen Fällen mußte einfach der Erzähler verantwortlich zeichnen, auch wenn er weder der Besucher noch der ursprüngliche Berichterstatter war oder sein konnte. Nicht selten ist die Frage: Wer war hier der Besucher? gar nicht zu beantworten.

      Die kleinen hochstehenden Ziffern hinter den Namen am Kopf jedes Gesprächs verweisen auf die laufenden Nummern des Quellenverzeichnisses. –

      Die Behandlung der gedruckten Quellen erfordert noch eine nähere Aufklärung. Die meisten dieser Berichte über Besuche bei und Gespräche mit Heine erschienen zuerst in Zeitschriften oder Zeitungen, von Druckfehlern wimmelnd, vielleicht von der Redaktions- oder Zensurschere zerfetzt, von irgendeinem Anonymus überarbeitet. Solche Texte wurden nur im Notfall zugrunde gelegt, wenn ein zweiter Druck nicht existiert, oder in gewissen Ausnahmefällen, die im Quellenverzeichnis motiviert sind. Lag der Text in späterer Buchform vor, dann wurde deren Wortlaut wiedergegeben; die Buchtexte sind ja in der Regel von ihren Verfassern korrigiert, oft ergänzt und erweitert, und dürfen daher als zuverlässiger gelten. Immer aber wurde die erste Druckform, von wenigen unerreichbaren abgesehen, mit der zweiten verglichen. Das erwies sich besonders dann als unerläßlich, wenn zwischen dem ersten und zweiten Druck eine längere Zeitspanne lag, in der Anschauungen wechseln, frühere falsche Angaben sich durch bessere Kenntnis berichtigen, alte Freundschaften zersplittern und Feindschaften entstehen konnten, die gewisse Züge in anderm Lichte sahen. Solche Unterschiede der Lesart sind im Quellenverzeichnis genau nachgewiesen; im Text sind die betreffenden Stellen durch unauffällige Sternchen * gekennzeichnet; solch ein Sternchen hinter einem Einzelwort oder vor und hinter einer Wortgruppe bedeutet also, daß der erste Drucktext oder eine noch spätere dritte Redaktion andere Wendungen enthält, die unter den entsprechenden Quellen- und Gesprächnummern in dem angehängten Verzeichnis angegeben sind. Dort ist auch alles gesagt, was mir bei kritischer Betrachtung gewisser Quellen aufgefallen ist. Nur bei den durch Adolph Stahr und Fanny Lewald überlieferten Gesprächen waren die Abweichungen so bedeutend, daß es angebracht erschien, den Wortlaut der letzten Redaktion in den der ersten hineinzuarbeiten, wobei einige Wiederholungen unvermeidlich waren. Und bei Heinrich Laubes widerspruchsvollen Heine-Erinnerungen blieb nichts anderes übrig, als sie ihrer Entstehungszeit entsprechend aufeinander folgen zu lassen. An jenen Sternchen kann also der Leser, der für Varianten kein Interesse hat, achtlos vorübergehen. Was sich bei Vergleichung der Lesarten als offenbarer Druckfehler erwies, ist stillschweigend verbessert oder blieb unberücksichtigt. Ergänzungen, Erklärungen und Berichtigungen, die zum Verständnis des Textes notwendig waren, sind in den Text selbst eingeschoben und durch eckige Klammern [] als Zutat des Herausgebers kenntlich gemacht; umfangreichere Erläuterungen, die der zeitlichen Bestimmung oder der Kritik einzelner Gespräche dienen, sind an die entsprechenden Abschnitte, ebenfalls in eckigen Klammern, angehängt, vermitteln auch in einigen Fällen den Übergang zum nächsten Gespräch. Sternchen mit Klammer – *) – verweisen auf Anmerkungen am Fuß der Druckseite, wenn diese Anmerkungen zum Originaltext gehören. Zahlen mit Klammern – 1) usw. – sind Anmerkungen des Herausgebers, die ganz vereinzelt zur Kritik gewisser Angaben sofort nötig erschienen, in den Text selbst sich aber nicht einfügen ließen. Drei Punkte ... bedeuten, daß der Originaltext hier gekürzt ist; was dastand, hatte mit Heine überhaupt nichts zu tun oder doch nichts mit dem zufälligen Gespräch; was nur irgendwie beachtlich erschien und als Echo Heinescher Worte gelten konnte, habe ich stehenlassen, selbst auf die Gefahr mancher Wiederholungen hin, besonders in der Schilderung der Persönlichkeit des Dichters und seines Milieus.

      Die fremdsprachigen Texte schließlich habe ich, von vereinzelten leicht verständlichen Sätzen abgesehen, in deutscher Sprache wiedergegeben. Wo autorisierte ältere Übersetzungen vorlagen, habe ich diese zugrunde gelegt, in allen übrigen Fällen die Übertragung aus dem Französischen, Englischen und Dänischen selbst vorgenommen. Mein Buch wendet sich ja nicht an den kleinen Kreis der Gelehrten, sondern soll jedem Freund Heines oder der Literatur überhaupt in allen Teilen verständlich sein. Von diesen fremdsprachigen Quellen bot das Buch von Alexander Weill, „Souvenirs intimes de Henri Heine“ (1883), weitaus die größten Schwierigkeiten, dieses begreiflich erscheinen lassen, daß dieses in Frankreich erfolgreiche Buch in der Heimat des Dichters so gut wie unbekannt ist und selbst bei den Heine-Forschern einem Vorurteil begegnet, das mir nicht gerechtfertigt erscheint; es ist kein Pamphlet und seine Schilderung Mathildes keine boshaftwitzige Karikatur, sondern ein Porträt mit allen Merkmalen drastischer Lebenswahrheit. Bei der Übersetzung Weills, der in geistreichen Bonmots und Pointen Heine selbst zu überbieten sucht, unterstützte mich in dankenswerter Weise ein jüngerer Studienkollege, Herr Dr. Karl Wolf in Hannover, Verfasser einer Dissertation über Gustav Kühne.

      Die Ausarbeitung des Registers übernahm Herr Felix Hasselberg in Berlin; alle Benutzer meines Buches werden ihm dafür ebenso Dank wissen wie der Herausgeber.

      Berlin, im Herbst 1925

      Prof. Dr. H. H. Houben

Gespräche mit heine

      1. Charlotte Embden-Heine74

      1802

      [Mitteilung ihrer Tochter Maria:] Nachdem Heine lesen und schreiben gelernt hatte, schickte man ihn in eine Mädchenschule, deren Vorsteherin eine alte fünfzigjährige Jungfer war. Der Knabe war erst vier Jahre alt, lernte alles mit der größten Leichtigkeit, aber das Stillsitzen war ihm unerträglich. Die Lehrerin bestrafte jede Unachtsamkeit aufs empfindlichste, und diese Strenge empörte ihn. Sie wurde ihm so verhaßt, daß er hin und her sann, wie er sich rächen könnte.

      Eines Tages ließ die Lehrerin einen Krug mit Milch auf dem Tische stehen, und sowie er sich unbeobachtet sah, nahm er ein Tintenfaß und goß den Inhalt in die Milch. Hierauf stolzierte er in der Stube auf und nieder, die Hände auf dem Rücken, als ob nichts geschehen wäre!

      Ein anderes Mal erwischte er die Schnupftabaksdose der Alten, leerte sie und füllte sie mit Sand. Als die Lehrerin ihm eine Strafpredigt hielt und ihn fragte, warum er dies getan habe, antwortete er mit Nachdruck: „Weil ich dich hasse!“

      [Die „Mädchenschule“ war eine Kleinkinderbewahranstalt, in die Heine – geb. am 13. Dezember 1797 – mit vier Jahren gebracht wurde; die Vorsteherin hieß Frau Hindermans. Heine war unter einem Dutzend Mädchen „das einz’ge kleine Bübchen“, so heißt es in seinem Gedicht „Citronia“, das die Birkenrute der Frau Hindermans in drastischer Weise verewigt.]

      2. Charlotte Embden-Heine74

      1804

      [Mitteilung ihrer Tochter Maria:] Heinrich und [seine Schwester] Charlotte waren noch ganz kleine Kinder, als sie an den Masern erkrankten und längere Zeit das Zimmer hüten mußten. Um sie zu beschäftigen, gab man ihnen eine Kiste voll bunter Lappen.

      „Was wollen wir damit anfangen?“ fragte Charlotte.

      „Wir wollen eine Narrenjacke davon machen“, antwortete Heinrich, und beide fingen emsig an zu nähen. Die Schwester mit ihrer angeborenen Lebhaftigkeit warf bald die Arbeit fort, aber Heinrich nähte mit großem Eifer, bis die Jacke fertig war, denn er wollte sie während der Karnevalszeit tragen.

      Endlich kam der ersehnte Tag heran, aber man erlaubte ihm nicht, dieselbe anzuziehen. Ärgerlich und unmutig schenkte er sie einem Nachbarskinde.

      Nach vielen Jahren, als Charlotte längst verheiratet war und in Hamburg wohnte, begegnete sie eines Tages einem gutgekleideten Matrosen, der sie ehrerbietig grüßte und folgendermaßen ansprach:

      „Sie erkennen mich wohl nicht? Ich bin jener Knabe, dem Ihr Bruder einst eine Narrenjacke schenkte; damals wußte ich diese Gabe nicht zu schätzen, doch habe ich

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