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hatte keine Ahnung von dem, was ihr Sohn gesehen hatte, und wollte ihn zurückhalten, aber er lief lachend davon und berichtete dem Nachbar, was er gesehen hatte. Dieser versammelte seine Knechte, bewaffnete sie mit Knütteln und Heugabeln, folgte dem kleinen Heine in die Remise und fand den Mann, mit einem großen Messer bewaffnet, unter dem Wagen.

      Er wurde hervorgezogen und geknebelt. Es war ein entlaufener Sträfling, und als die Polizeidiener ihn abholten, wandte er sich an den Knaben mit diesen Worten: „Erinnere dich, du kleine Canaille, wenn ich wieder frei werde, bringe ich dich um!“

      Viele Jahre vergingen. Heine studierte in Bonn und reiste zum Vergnügen nach Aachen, um der Hinrichtung eines Missetäters vermittels der Guillotine beizuwohnen. Einer der Studenten, welcher Phrenologie studierte, erhielt die Erlaubnis, den armen Sünder im Gefängnisse zu besuchen, um wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen.

      Heines Neugier war erregt und er bat seinen Freund, ihn begleiten zu dürfen, doch wie unangenehm wurde er berührt, als der Mann einen Schrei ausstieß und Heine in ihm den Sträfling erkannte, der in der Remise festgenommen wurde. Am folgenden Tage wohnte er der Hinrichtung bei und behauptete, daß der zum Tode Verurteilte ihn erkannt und ihm einen haßerfüllten Blick zugeworfen habe.

      Von dieser Zeit an konnte er nicht mehr von Hinrichtung und Schafott sprechen hören, sogar der Name Aachen versetzte ihn in nervöse Aufregung.

      [Da Heine selbst diesen Vorfall nie erwähnt, dürfte die Erzählung seiner Nichte, die ebenso wie ihr Onkel Max Heine mancherlei über den Dichter zu fabulieren pflegte und es mit der Wahrheit nicht eben genau nahm, mit Vorbehalt aufzunehmen sein.]

      12. Joseph Neunzig194

      1812?

      [Nach Mitteilung von Adolf Strodtmann:] Joseph Neunzig, der von Jugend auf ein fleißiger Schüler der Düsseldorfer Malerakademie war... porträtierte damals manchen seiner Freunde auf Elfenbein, unter ihnen auch Heine. Bei der ersten Sitzung machte ihn dieser besonders auf den... satirischen Zug am Munde aufmerksam und bat ihn, denselben ja nicht zu verfehlen. Als ihm Neunzig nach einigen Tagen das wohlgetroffene, mit einem geschliffenen Glase bedeckte Miniaturbild übergab, zeigte sich Heine sehr erfreut und rief lustig aus: „So, nun wollen wir das Bild auch in Musik setzen lassen!“

      13. Joseph Neunzig194

      1814?

      [Nach Mitteilung von Strodtmann:] Eines Tages kam Harry mit begeisterungstrahlenden Wangen zu ihm [Neunzig] hinübergeeilt und las ihm das Gedicht „Die Grenadiere“ vor, das er soeben geschrieben, und nie vergaß dieser die tiefschmerzliche Betonung der Worte: „Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!“ Bald nachher wurde die unsterbliche Romanze von dem Düsseldorfer Tonkünstler Max Kreuzer in Musik gesetzt und von ihm dem französischen Marschall Soult gewidmet, dessen Gemahlin aus dortiger Gegend stammte.

      14. Max Heine70

      1814?

      Als Heinrich Heine das Gymnasium in Düsseldorf besuchte, war er am Schlusse des Schuljahres einer von den Schülern, die bestimmt waren, bei dem öffentlichen Schulaktus ein Gedicht vorzutragen.

      In jener Zeit schwärmte der junge Gymnasiast für die Tochter des Oberappellationsgerichtspräsidenten von A---. Diese war ein wunderschönes, schlankes Mädchen mit langen, blonden Locken. Ich bin überzeugt, daß manches seiner ersten Gedichte an diese reizende, fast ideale Erscheinung gerichtet war. Der Saal, in welchem der Schulaktus stattfand, war Kopf an Kopf gefüllt. Ganz vorn, auf prachtvollen Lehnstühlen, saßen die Schulinspektoren. In der Mitte zwischen denselben stand ein leerer goldener Sessel.

      Der Oberappellationsgerichtspräsident kam mit seiner Tochter sehr spät, und es blieb nichts anderes übrig, als dem schönen Fräulein auf dem leerstehenden goldenen Sessel, zwischen den ehrbaren Schulinspektoren den Platz anzuweisen. Heine war gerade in der Deklamation des „Tauchers“ von Schiller in vortrefflichem Schwunge bis zur Stelle gelangt, wo es heißt: „Und der König der lieblichen Tochter winkt“, da wollte es sein Mißgeschick, daß sein Auge gerade auf den goldenen Sessel fiel, wo das von ihm angebetete schöne Mädchen saß. Heine stockte. Dreimal wiederholte er die Stelle: „Und der König der lieblichen Tochter winkt“, aber er kam nicht weiter. Der Klassenlehrer soufflierte und soufflierte; Heine hörte nichts mehr. Mit großen offenen Augen schaute er, wie auf eine plötzlich erschienene überirdische Gestalt, auf den goldenen Sessel hin und sank dann ohnmächtig nieder. Keiner im Saale ahnte die Ursache. „Das muß die große Hitze im Saale getan haben“, sagte der Schulinspektor zu meinen herbeieilenden Eltern und ließ alle Fenster öffnen.

      Nach vielen Jahren hat er mir den Zusammenhang dieser Jugendbegebenheit erzählt, indem er sich oft mit dem Ausrufe unterbrach: „Wie war ich damals unschuldig!“

      [Die Heineforschung hat festgestellt, daß der Gymnasialschüler Harry Heine einmal bei einer öffentlichen Schulprüfung Schillers „Kassandra“ deklamieren mußte, aber steckenblieb, und daß der angebliche Oberappellationsgerichtspräsident ein Kriegsrat von Ammon war.]

      15. Werner193

      Herbst 1814

      [Über Heines Aufenthalt in der Handelsschule von Vahrenkampff auf der Neustraße zu Düsseldorf 1814 berichtet Karpeles, zum Teil nach Mitteilung von Werner:] Allzuviel von jenen Handelswissenschaften mag er... sicher nicht gelernt haben; dagegen werden verschiedene Scherze erzählt, die der junge Harry dort getrieben und die schon auf eine gewisse poetische Veranlagung schließen ließen. So pflegte er seinen Mitschülern die alten Klassiker in „Judäas lieblichen Dialekt“ zu übersetzen. Der jüdischdeutsche Homer oder Ovid rief oft in den Zwischenstunden ein schallendes Gelächter hervor. Einen andern Scherz erzählt ein etwas älterer Kamerad Heines, der nachmalige Kreisbaumeister Werner zu Bonn, der den Platz zur rechten Seite Heines in jener Handelsschule innehatte, während zur Linken ein gewisser Faßbender, der Sohn des Besitzers einer Brauerei „Zum Specht“ saß. Eines Tages erhebt sich ein plötzlicher Lärm in der Schulstube – Harry Heine fliegt von seiner Bank unter den Tisch. „Was geht hier vor?“ fragt der eintretende Lehrer. „Oh,“ antwortet der junge Faßbender zorngeröteten Gesichts im breitesten rheinländischen Dialekt, „de verdammte Jüdde sähd: ‚Em Specht, em Specht, do schläft de Mähd beim Knecht.‘ Do han ich em ene Watsch gegewe und do is hä von de Bank gefalle.“ Unter allgemeiner Heiterkeit erteilte der Lehrer den beiden Knaben eine derbe Rüge.

      [Nach dem Besuch der Handelsschule in Düsseldorf wurde Heine im Herbst 1815 nach Frankfurt in die kaufmännische Lehre gegeben, dann nach Hamburg in das Bankgeschäft seines reichen Oheims Salomon Heine, der dem Neffen 1817 eine eigene Firma „Harry Heine & Co.“ gründete, die aber schon 1818 wieder aufgelöst wurde.]

      16. Kaufmann Unna180

      1818

      [Mitteilung von Gustav Karpeles:] Ein gewisser Unna, Kommis eines bedeutenden Garderobengeschäfts von Bonfort, war von seinem Prinzipal beauftragt, einen bestimmten Betrag in dem Manufakturwarengeschäft von Harry Heine einzukassieren. Zufällig traf er es glücklich, indem er den Chef selbst anwesend fand, was sonst bei den meisten Gläubigern nicht der Fall war. Er war gerade bei guter Laune und gab ihm auf jene Schuld zwei Louisdors, welche Unna in der offenen Hand behielt. Darauf fragte Heine: „Junger Mann, Sie sind doch Kaufmann, nicht wahr?“ „Allerdings!“ war die Antwort. „Dann rate ich Ihnen, immer nehmen, nehmen, nehmen!“ „Ja,“ war die Entgegnung, „ich nehme ja; ich will aber gern noch mehr nehmen!“ „Sehr gut, sehr gut,“ erwiderte Heine, „aus Ihnen kann noch etwas werden, aber ich habe eben nicht mehr“, und drängte ihn sanft zur Tür hinaus.

      17. W. Koppel180

      1818

      [Mitteilung von Koppel an Karpeles:] Aufsehen erregte damals in Bankierkreisen der folgende Witz von Heine, den er gelegentlich einmal bei einem Diner geäußert haben soll: „Meine Mutter hat schönwissenschaftliche Werke gelesen und ich bin

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