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      Vielleicht waren sie mal bei einer Maikäferplage eingesetzt worden. Wo sie auftauchten, wurden sie mit sumsenden »Bs« begrüßt. Hatten zudem in der Affäre Hauptmann von Köpenick für Gelächter gesorgt. Kurzum, sie waren beliebt, stellten auch zumeist die Schloßwache. Die Zeit der vormals gepflegten Langen Kerls war vorbei. Die Maikäfer waren von ziemlich gleichmäßig mittlerem Hochwuchs, den Kaiser nicht zu sehr überragend. Ich wurde gleich Flügelmann.

      Da war ich nun den behäbigen Holsteiner Bauernburschen beigesellt, und aufs angenehmste war da jeder für sich erstmal nur er selber und reihte sich dennoch notgedrungen geduldig in Joch und Kummet und Geschirr wie daheim das liebe Vieh. An Muskelkraft ihnen unterlegen, ersetzte ich’s durch Gewandtheit.

      Vorerst wurde Präsentieren geübt und ein Parademarsch mit aufgepflanztem Bajonett für die erwarteten Siegesfeiern. Zum Einsatz an der Front würde dieser Novemberhaufen bestimmt nicht mehr gelangen. So dachte man bis in den Generalstab, erklärte uns unser Spinner, der Unteroffizier, der schon draußen gewesen war, im Osten irgendwo, gelernter Buchdrucker, der zwei Finger verloren hatte und vielleicht seinen Beruf, aber den strammen Max markierte, weil er gern Feldwebel werden wollte, Spieß sogar, militärischer Bürohengst, möglichst auf Heimatposten.

      Und zu Weihnacht durften wir auf Urlaub, schon in Feldgrau.

      Es war noch duster, als ich anlangte, hatte auch gleich eine bemerkenswerte

      Begegnung

      Die große Stadt lag tot und leer

      die Nacht, als ich auf Urlaub kam.

      Die Mauern dröhnten wundersam

      von meiner Stiefel Wiederkehr.

      Da kam mein Vater noch vor Tag

      die graue Straßenschlucht entlang,

      ging seinen Werktag-Mühegang

      so klein und alt, daß ich erschrak.

      Ich lebte noch und war gesund

      und reckte mich so vogelfrei.

      Er sah kaum auf und ging vorbei

      und murmelte: Du armer Hund! –

      Potz Heldentum und Not und Tod!

      War’s Mitleid? Lag Verachtung drin?

      Eh ich mich faßte, schwand er hin

      in Hafenschwalch und Morgenrot.

      Anderntags fuhr ich mit Liane in die Heide. Wir gerieten zufällig an die Hütte, deren Innenraum ich für den Seminarleiter hatte wiedergeben müssen.

      Hoppla, mein Hausschlüssel paßte ins einfache Schloß. Ein sanfterer Einstieg als dem Kommiß seit alters angemessen. Auf dem Rückweg zur Bahn durch leicht verschneites, alt vertrautes Gelände war es dann fast so schweigsam wie ein Vierteljahr zuvor auf dem Heidenkampsweg. Ich sann nach, woher die Bezeichnung stammen mochte. Welche Sorte Heiden hatte dort kampiert? Vorfahren vielleicht, Heimatlose auf der Suche nach Halt und Bleibe wie sie und ich? Nicht nur in Furcht vor Verkommen und Umkommen?

      Ich spürte die immer drückendere Umrankung durch diese Liane, ihre saugend erstickenden Küsse, ihre Unersättlichkeit, ihren

Illustration

      jähen Umschwung

      von Märchen-Niedlichkeit ins Triviale. Wer weiß, ob ich wiederkomme, dachte ich laut. Die einsame Gegend schien ihr geeignet, wild zu schreien, zu weinen und meine schwächlichen Beklemmungen zu zerstampfen. Was war da zu entgegnen? War doch alles in der Schwebe, ungewiß, nebelhaft, ja, gänzlich schlafwandlerisch. Nun hier im Unwegsamen die knallende Forderung: Du hast etwas zu werden, meinetwegen, und mußt wiederkommen, sonst nichts! –

      Und ich war doch gerade recht zufrieden gewesen, der ungeheuren Aufbürdung durch die Abschiedsworte Lepziens nun beim Militär enthoben zu sein. Als Soldat braucht man mit den Begriffen Guter Mensch und Künstler seit alters her nichts gemein zu haben. Auf denn! Zurück nach

      Berlin

      Der bunte Zauber unserer anfänglichen Uniform, das Preußischblau, die weißen Gardelitzen auf rotem Grund, die silbernen Helmspitzen, der Stern vorne drauf, Kinnkette und blitzender Rand, die silbernen Knöpfe, die reingelben Achselklappen, die lackschwarzen Koppel mit gleißendem Schloß, dieser ganze Zirkus Sarrasani, wie jemand es nannte.

      Ab 1915 war alles bis in die Stäbe griesegrau, grabesfarb- und freudlos wie die anrollende Lawine der Umweltverschmutzung. Man war an der Front zu hübsch Zielscheibe gewesen bei der neuen Reichweite der Vernichtungswaffen. Die Verluste waren ungeheuer. Los mit dem Ersatz! Es wurde eiligst zum Abmarsch gerüstet. Munition empfangen, eiserne Ration, Verbandspäckchen, Sandsack, Feldspaten, Stacheldraht-Schere und – nicht zu vergessen – die münzenkleine graue Scheibe aus Aluminium, die Erkennungsmarke, der Leichenorden, der an dünner Schnur auf der bloßen Brust zu tragen war. Ich sah sie mir an, wollte mir die eingeprägte vielstellige Zahl merken, sie flimmerte auf meiner Netzhaut und zerrann, als wolle sie sich jeder Deutung entziehen. Abergläubisch wie jeder Küstenbewohner, hielt ich’s manchmal mit der Zahlenmystik. Die 4 war mir genehm als dem Jupiter-Stemzeichen ähnlich, die 8 als aufgerichtetes Unendlich, die 7 aber heilig wie eh und je. Das ließe sich weit ausspinnen.

      Der graue Mantel wurde wurstförmig übers Kochgeschirr und den elend schweren Tornister gerollt. Angetreten in Linie zu zwei Gliedern! Abzählen! In Gruppen linksum ... marsch! –

      Ade also!

      Aber im letzten Augenblick nochmals: Haaalt! –

      Der dicke Spieß trippelte vor die Frontgeweihten und verlas ein paar Namen. Meiner war dabei. Wir mußten vortreten und zurück auf Stube. Die andern verschwanden durchs graue Tor des Kasemenhofes auf Nimmerwiedersehn. Sie wurden wenige Tage später beim Kampieren von Kosaken überrascht. Keiner kam davon.

      Die Zurückgebliebenen hatten nun einen

      Offiziers-Kursus

      zu absolvieren. Sie durften privat außerhalb wohnen. Die Strohsäcke der Kasemenbetten wurden vom anschwellenden Nachschub benötigt.

      Wir mieteten ein Zimmer nahebei, gegenüber dem Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater, dritter Stock, Klaas Deterts und ich. Er, rotbäckiger Müllerssohn aus Ostfriesland und Schulmeister, war der Nächstlängste neben mir.

      Unsere Logiswirtin: Rennstallbesitzers-Witwe Stolzenberg, bejahrte Fülle, Häubchen schwarz auf grau-schütterem Haar, quellend vorwurfsvolle Augen und die nagende Stimme derer, die bessere Tage gesehen. Ihr Abbild in klein war Fifi, ein übermästeter Zwergpinscher, unentwegt dünn kläffend. In ihn schien das Vermögen und Gestüt des Hausherrn hineingeschrumpft. Eigentlich hätte ich mit Schalli Müller, einem Hamburger Milchmannssohn, ins Gemeinsame ziehen sollen. Aber Landsleute vertragen sich selten. Müller tat sich mit einem anderen Ostfriesen zusammen.

      Ein durch Fußschuß leicht behinderter, höchst scharfer Feldwebel leitete unsere nun vorrangige Gefechtsausbildung, und es ging heiß her, so daß wir nach dem Dienst kaum die vielen Stufen in unser Quartier entern konnten. Den theoretischen Teil besorgte ein adliger Oberst, preußisch kalt und kalkig, auf tadellose Haltung erpichter als auf tiefgründige Kenntnis. Nur einmal ein Abschweifen und sicher mehr warnend als erbaulich gedacht. Er hatte eben Nachricht erhalten über einen gewissen Zamba, Kameruner Neger, der im Jahr meiner Geburt ans Regiment gelangt war und es bis zum Unteroffizier gebracht hatte, immerhin Untertan seiner Majestät. In der Schutztruppe seiner Heimat, der deutschen Kolonie, wurde er sogar Feldwebel. Schließlich aber wegen heimlichen Sklavenhandels (zur Versorgung seiner Untergebenen mit Liebchen und Gespons) abgehalftert. Dann selbstgefälliger Stammeshäuptling. Ende 1914 ging er französischen Verlockungen ins Garn, wurde ertappt und wegen Landesverrats verurteilt und erschossen. Letzter Flitter deutscher Kolonial-Herrlichkeit. –

      Achtung! Diesen letzten Satz hätte damals niemand, selbst nicht im Traum, zu denken gewagt. Wie ungnädig doch pochte unser Oberst mit dem Mittelfinger aufs Pult, als einer aus dem

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