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auch das vorüber und war vergessen. Wir hatten die Hängelampe nicht angeknipst. Das Neonlicht vom Theatereingang drüben drang rötlich durch die Gardinen, und deren Muster zeichneten unsere Gesichter und grauen Röcke mit wunderlichen Flecken, Schrammen und Rinnsalen. Der in sich gekehrtere Pridath sah es zuerst – er trug eine Brille – und machte uns unbarmherzig darauf aufmerksam. Zerschunden und zerstückelt! – kaute er neben seinem Pfeifenstiel hervor. Er fiel als erster.

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      Wir wurden in Ungarn vor den

      Karpaten

      in Munkacs ausgeladen. Von ferne murrte Geschützdonner. Jetzt beginnt der Aufstieg, lächelte Klaas zweideutig. Seine Apfelwangen waren in der Rauheit letzter Schleiferei blasser geworden. Ich verlor ihn aus den Augen. Der Kursus wurde auseinandergerissen. Vor, hinter, neben mir, ich kannte niemanden. Bergstöcke wurden verteilt, schlichte Bambusstäbe, gestiftet von der Gattin eines reichen Reservehauptmanns für ihre geliebten Maikäfer. Sehr dienlich bei der soeben einsetzenden Schneeschmelze (und später für einige Litzenträger zum Prügeln, wie zur Zeit Friedrichs des Großen). Schaurig aufgeweichtes Terrain. Stur einer hinter dem andern, von Kolonnen riesiger Lastwagen an die Wegkante gedrängt, immer in Gefahr, unter die ungeheuren Räder oder in den Abgrund zu geraten. So ging es langsam bergauf.

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      Übernachtung auf verlauster Holzwolle? Dann lieber in einer Pferdebaracke, wo grad ein Platz frei geworden. Der dürre Kadaver des allzu Beanspruchten wurde herausgeschleift.

      Kaum noch ein Filet bei über, schimpfte ein klappriger Muskote.

      In dieser Nacht vernebelte sich mein Zustand, ich möchte sagen, gnädiglich. Alles weitere schält sich nur schmerzhaft in mein Bewußtsein zurück. Und ich hatte mir doch vorgenommen, alles sozusagen mit Maleraugen genau aufzunehmen, ungerührt, wie ein geprüfter Chirurg. Das wachsende Gedröhne fronther, das von Kratern aufgewühlte Gelände, die versumpften Erdlöcher, die knatternde, krachende flache Kammlinie des Zwinin und die schwärzlich aus dem Schlamm tauenden Gefallenen vieler vergeblicher Angriffe ...

      Wir Neuankömmlinge blieben vorerst in Reserve, indes mit herangeschafften Minenwerfern die russischen Stellungen sturmreif geschossen wurden. Sie erwiesen sich als geradezu komfortabel in Beton ausgebaut.

      Die Russen mußten durch die neue Waffe in Panik geraten sein und flohen bis hinter den Beskidenpaß. Nur einige sibirische Scharfschützen hatten sich in abseits stehenden zerfledderten Hochtannen verborgen und wurden abgefangen. Unsere Verluste waren diesmal gering. Die neuen Handgranaten, deren Anwendung noch kaum hatte geübt werden können, trugen überdies dazu bei.

      Nun auf nach Galizien! hieß es. Oder war es die Walachei? Der Zugführer, ein adretter Berliner Rechtsanwalt, die langspitzige Pickelhaube in grauem Bezug – Stahlhelme gab es noch nicht – elegant und ragend, sagte abschätzend zu mir, und es klang wohlgemeint vertraulich: Nichts hier für unsere Figur. Die Ruskis schießen meist zu hoch für die Allgemeinheit, da trifft es uns. Nehmen Sie den kleinen Aufschub wahr! –

      Ein Feldpostbrief

      an meine Schwester verdeutlicht besser als das, was ich aus dem Dämmer der Vergangenheit hervorgrüble:

      Ers. Batl. G. F. R.

      April 1915

      Liebes Gretchen!

      Wann diese Post Euch erreicht, ist nicht abzusehen; denn wir liegen weit weg aus aller Welt im Schneeschlamm am Zwinin. Die Verbindungswege sind sehr dürftig und nur für die armen abgetriebenen Maulesel gangbar, und die bringen nur Munition und etwas Schiffszwieback (österreichischen) und kaum Post. Und nehmen, wenn’s gutgeht, die schmutzige Offizierswäsche mit zurück. Ob auch diesen Brief? Verwundete müssen auf Zeltbahnen zu Tal geschleift werden, aber meistens sterben sie vorher oder bleiben gleich sowieso im metertiefen Tauschlamm stecken, wo die, die den Winter über gefallen sind, langsam herauskommen, eine schwarze Hand erst, dann ein Knie, dann das schwarze arme Gesicht. Auf den Kleidungsstücken hält sich der Schnee länger. Die ganze Front riecht schaurig süßlich nach den Verwesenden. Es riecht wie Hamburger Aalsuppe, sagte einer aus meiner Gruppe, Möller (nicht Schalli Müller), auch aus Hamburg. Er ist gestern gefallen und war ein netter Junge. Er wollte zeigen, daß er nicht bange ist, und stellte sich auf eine M. Kiste und sah zu den Russen hinüber, die oben gut eingebaut sitzen. Und – zick – hatte er den hier üblichen Kopfschuß. Sein Gehirn spritzte uns aufs Zeug, es sah aus wie die Mettwurst, die hier einer, Bauer von Beruf, geschickt bekam und alleine ißt, und er ließ sich auch heute nicht dabei stören. Ich kann diesen Brief vielleicht selber mitnehmen nach Tucholka, wo ich zwei sibirische Gefangene abliefern soll, die viel besser ausgerüstet sind als wir und einen trefflichen Eindruck machen. Es sind Bauernsöhne, hörte ich. Jetzt sind Österreicher aus Fiume zwischen uns verteilt. Nach Fiume möchte ich auch mal, wo du ja schon einmal warst ... –

      Man merkt diesem Brief eine gewisse Dumpfheit an, wie hätte ich sonst meiner empfindlichen Schwester

      so viel Scheußliches

      berichten mögen. Wollte ich es damit von mir wegschieben? Unsere Verbündeten, Kamerad Schnürschuh, waren noch unzweckmäßiger als wir versorgt. Und deswegen ziemlich unlustig, sagten offen, sie wüßten nicht, wofür sie krepieren sollten. Es waren Kroaten. Menage und marode waren ihre gängigsten Vokabeln. Wir fühlten es ihnen nach, natürlich nicht lauthals. Sie wurden je einer zwischen zwei von uns gesteckt, weil sie verdächtig waren, nachts heimlich mit den Russen Fühlung zu nehmen und im Angebot letzter Meldungen Zigaretten zu erbetteln.

      Schnee, Schneeregen, Regen, Schlamm. Da hilft nur stumpfe Apathie, nicht in irre Ausbrüche zu geraten oder sich erledigt ins Nichts fallen zu lassen:

      Schnee, der uns bedeckt,

      Regen, der uns beweint,

      ich muß euch hassen;

      denn des Grabes Vorspann

      seid ihr wie wir.

      Blut,

      das um uns rinnt,

      brüderlich reckt

      unser Puls sich zu dir.

      Keiner sieht keinem an,

      was in ihm sinnt.

      Hüte

      die geheimste Glut!

      Wir haben das Zarte verlassen

      wie unsre Mutter, Frau oder Braut.

      Der Teufel zerhaut

      die letzte Ahnung von Güte.

      Wir verkommen in dem, was wir niemals gemeint.

      Reserveleutnant B. hatte mir drei robuste und schon abgebrühte Leute für den Transport mitgegeben. Wie der vonstatten ging, weiß ich nicht mehr, nur noch, daß wir uns eine ganze Strecke an einen Maultiertroß gehängt und so mehr komisch als militärisch talwärts schlidderten. Doch entsinne ich mich einer wärmenden Kohlsuppe mit Pferdefleisch aus einem Feldküchenkessel als ungemein wohltuend. Erst was auf dem Rückmarsch sich als unvorhergesehen ergab, ist mir noch soweit klar. Da war eine Behelfsbrücke über einer Bachschlucht. Ein Schub Artillerie hatte den Elan oder bloß den Befehl, die Kanonen mit kaum noch fähigen, brutal gepeitschten Gäulen bergauf zu bringen. Und kam auch wirklich voran. Wir, grad auf der Brücke, drückten uns ans Geländer, das heißt an einen quergelegten Fichtenstamm, ich in die Mitte, die beiden Begleiter – einer war in Tucholka verduftet – links und rechts. Bei der wilden Erschütterung, knacks, brach der morsche Halt.

      Ich stürzte rücklings

      hinunter, fühle noch, wie angenehm das jähe Schweben war.

      Kam aber bald wieder zu mir, weil mir Wasser eisig übers Gesicht sprühte. Hatte aber Neigung, trotzdem liegenzubleiben. Warum auch nicht? Ich lag am Strand bei Duhnen an der Nordsee und war ertrunken.

      Die beiden Kameraden hatten sich besser halten können, kletterten

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