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heimkehren, und sei es nur als Wiedergänger, der uns an der Küste vertraut ist. Wie von selber formte sich da Vers an Vers und schrieb sich musiziert in den Spiegelglanz des Asphalts. Und nach mechanischer Ableistung der Vergatterung von meinem Posten erlöst, begann ich’s noch stehend ins Notizbuch zu kritzeln und setzte es auf der Pritsche des Wachlokals fort, und es war später daran nichts zu ändern und blieb, wie es entstanden war:

Illustration

Illustration

      Vor der Kaserne

      vor dem großen Tor

      stand eine Laterne,

      und steht sie noch davor,

      so wolln wir uns da wiedersehn,

      bei der Laterne wolln wir stehn

      wie einst, Lili Marleen.

      Unsre beiden Schatten

      sahn wie einer aus;

      daß wir so lieb uns hatten,

      das sah man gleich daraus.

      Und alle Leute solln es sehn,

      wenn wir bei der Laterne stehn

      wie einst, Lili Marleen.

      Schon rief der Posten:

      Sie blasen Zapfenstreich;

      es kann drei Tage kosten! –

      Kamerad, ich komm ja gleich. –

      Da sagten wir auf Wiedersehn.

      Wie gerne wollt ich mit dir gehn,

      mit dir, Lili Marleen.

      Irgendwann fand ich jenes Notizblatt wieder, es war angegilbt, die Bleistiftzeilen verblaßt und die Notenskizze meiner eigenen Melodie dazu. Nur die ersten drei Strophen waren da aufgezeichnet, die vierte nur angedeutet, die und die letzte gedachte ich zurückzuhalten, die Zauberkraft solchen Geschreibsels abergläubisch erwägend, das offen Beschwörende. Hatte ich doch die ätzende Frage nach meinem Liebes-Nachfolger eingeflochten und die Verheißung, den Raum des Grabes in nebelhafter Gestalt zu verlassen zu einem Wiedersehen so oder so:

      Deine Schritte kennt sie,

      deinen zieren Gang.

      Alle Abend brennt sie.

      Mich vergaß sie lang.

      Und sollte mir ein Leids geschehn,

      wer wird bei der Laterne stehn

      mit dir, Lili Marleen?

      Aus dem stillen Raume,

      aus der Erde Grund

      hebt mich wie im Traume

      dein verliebter Mund.

      Wenn sich die späten Nebel drehn,

      werd ich bei der Laterne stehn

      wie einst, Lili Marleen.

      So hätte es wohl sein können, aber das Schicksal änderte das abgründige Vorhaben in ein Wiedersehen mit dem Leben. Und nicht mit den beiden Mädchen. Als im Zweiten Weltkrieg eine Zeitschrift danach fahndete, meldeten sich nicht wenige und wollten es gewesen sein. Man legte mir die Fotos vor. Aber sie waren es alle nicht. Hätten es wohl sein mögen, weil das kleine, so unkriegerische, ganz private Liebeslied weit in die Öffentlichkeit gelangt war und sich zu meiner Betroffenheit auf jedwedens Liebchen ausdehnte. Entnommen meiner ersten Lyriksammlung, der »Hafenorgel«, 1937, von Norbert Schultze, ohne mein Wissen, vertont und mit seiner – nicht mit meiner im Dunkeln verbliebenen – Melodie. Von Lale Andersen gesungen, hatte es sich über den Belgrader Soldatensender um die Welt, bei Freund und Feind verbreitet. Nein, die beiden Mädchen hab ich nie wieder gesehen. Als ich die alten Stätten noch einmal aufsuchen konnte, war Frau Stolzenberg tot. Ihr Klavier gelangte später in eine Gedenkstube der einstigen Maikäferkaserne. Betty-Lili hatte nach auswärts geheiratet. Marleen war ihrem Vater ins Feld gefolgt und in Polen verschollen. Ade ... ade!

      Carlton Jackson, Historiker an der Western Kentucky University, ist dem Entstehen und der Verbreitung des Liedes Lili Marleen nachgegangen. Sein Buch darüber: »The Great Lili« erscheint demnächst. Es sei hier auch noch des Kollegen Horst Lange gedacht, Autor u. a. des Romans »Schwarze Weide«. Nach einer Begegnung in der Deutschen Akademie, Darmstadt, schrieb er mir: »Eins hab ich vergessen, nämlich Dir zu danken für Dein Lied Lili Marleen. Es war Tröstung und Einkehr für die Landser der ganzen Ostfront, zu der auch ich gehörte. Ein Friedens- und Sehnsuchtslied, ein echtes innerstes Soldatenlied ohne Vergleich.«

      So ähnlich meinte kürzlich auch die »Frankfurter Allgemeine« und noch analysierender das große Wochenblatt »Die Zeit«, fühlte sich bemüßigt zu bekräftigen, das Lied sei keine Schnulze. Dafür sei Walter Rudolf Leonhardt bedankt!

      Der Norddeutsche Rundfunk äußerte, es sei zugleich inniges Volkslied und große Dichtung. Mir persönlich bleibt es immer etwas unheimlich durch den Inbegriff des Wiedergängers, was aber wohl nur an der Küste nachgefühlt werden kann.

      Belgrad aber, sagte ein englischer Offizier zu mir, dieses Prinz-Eugen-Belgrad sollte sich freuen, noch durch etwas Freundlicheres berühmt geworden zu sein als durch Schlachtengemetzel, Partisanenmorde und Rebellion. Zumal ein serbisches Mitglied des damaligen Orchesters die einleitenden Takte geliefert hatte.

      Als im September 1978 neun österreichische und fünf kanadische Urlauber arglos – so berichtet die europäische Presse – bei abendlichem Umtrunk das noch immer nicht verwehte meistgesungene Lied des Zweiten Weltkriegs gemeinsam anstimmten, schien niemand auf der jugoslawischen Insel Korčula etwas dagegen zu haben. Auch jener nicht, der anschließend zur Polizei ging und Anzeige erstattete. Der Denunziant wurde nicht etwa beruhigt und nach Haus geschickt, man belegte vielmehr die vierzehn Gäste mit einer erheblichen Geldstrafe und verwies sie des Landes mit der Auflage, das »Staatsgebiet der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in den nächsten zwei Jahren nicht mehr zu betreten«. Die Touristen hätten die patriotischen Gefühle der jugoslawischen Bürger beleidigt.

      Eine Pressenotiz faßt zusammen: »Das kommunistische Regime in Belgrad, das solche Exzesse gegen unpolitische Ausländer ermuntert, meint offenbar, die durch Propaganda ins Land gelockten Urlauber behandeln zu können wie die eignen Untertanen. Schließlich ist es Jugoslawien, das auf die Devisen seiner zahlenden Gäste angewiesen ist – und nicht umgekehrt –.«

      Blenden wir doch einmal zurück, bis zum Anfang April 1915. Damals ergab sich noch eine kurze

      Gnadenfrist

      wenn auch nur für einen Tag. Das nötige »Transportmaterial« war noch nicht zur Stelle. So denn konnten wir zu viert richtig Abschied feiern, die beiden Hamburger, Schalli Müller und ich, und die beiden Ostfriesen, Klaas Deterts und Fritz Pridath. Und es geschah auf dem Logierzimmer bei der Stolzenberg-Witwe. Sie ließ es schweigend geschehen, und auch ihr Hündchen kläffte nicht. Schalli hatte es besänftigt mit in Bier getauchten Brocken Kommißbrot. So konnten wir ungestört uns selber besänftigen mit entsprechenden Liedern von »Morgen muß ich fort von hier ...« bis »Innsbruck, ich muß dich lassen ...«. Schalli hieb emsig in die Tasten und brillierte mit ungehemmten Träumen von großer Zukunft, von einer beifallumrauschten Laufbahn, der eines Caruso ähnlich, und ohne Ahnung oder jede Ahnung übertönend, bewies er es sich und uns, die wir begeistert ihm Glauben schenkten, mit Kosthappen aus »La Traviata«, »Carmen«, den »Hugenotten«, dem »Fidelio« und was derzeit die Opernhäuser füllte. Ein Jahr später lag er stumm verscharrt in Galizien. Nun aber genossen wir mit ihm, was sein Tenor zu bieten hatte, von keinem Andie-Tür-Klopfen gehindert.

      Als er innehielt und wir ein wenig betäubt dasaßen, da denn verlockte es mich, mein taufrisches Erzeugnis zum besten zu geben, als sei es ein längst an den Sohlen verwetztes Volksgut von irgendwoher. Man war durch Arien, Bier und innerste Verhangenheit hinreichend benusselt, somit fiel es nicht weiter auf; ich sang vor, man sang nach, und Schalli

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