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waren zwischen der Rauheit der See und dem Qualm und Lärm des Hafens in der grauen Öde von Barmbek und Hammerbrook, wenn auch nicht in der heutigen, kaum weniger gefühlstoten Architektur. Ich höre beglückt, wieviel Altfränkisches im Süden den alliierten Bombern entgangen ist.

      Wir gelangten auch nach Rothenburg ob der Tauber und fühlten uns in die Ritterzeit versetzt, zu völligem Genuß noch kaum befähigt:

      Erst lag es taltief,

      dann turm- und dachreiter-gegipfelt.

      Wir trampten albhinab und empor,

      schwitzend und jung und dumm. Da rief

      ein Ortolan nach einem Vesperchor.

      Uns lechzte nach Beefsteak und Elbschloßbräu.

      Am Kobolzellertor

      wippte ein Schillerfalter.

      War hier etwa Weimar oder Schwaben?

      Nein: Fränkische Kunde und Mittelalter

      unvergraben!

      Und das gab es noch? Bürgergeborgensein

      gegiebelt, geriegelt, geerkert, bebrunnt?

      Neu

      schienen nur zwei Mädchen und ein Hund.

      Und der Wirt Zum Stern oder Stachelschwein

      (oder war’s Zum Lamm?) beschürzt, bezipfelt,

      brachte zeitlos Brot und Wein.

      Meine beiden Gefährten waren sehr unterschiedlich, aber unverdrossen heiter. Otto Tewes, blond und rank, bezirzte manch Quartierstöchterlein, sich selbst am Klavier begleitend, mit Löwes »Tom der Reimer«, ohne daß Annäherungen sich ergaben. Man war damals noch sehr spröde. Er war in Barmbek schon Leiter eines Volksheims und hatte gewiß viel Zukunft, fiel aber 1914 als Freiwilliger in Ostpreußen. Der andere, Alfred Klopsch, ein behäbiger, stiller Schneiderssohn. Er überlebte und schrieb mir nach seinem Achtzigsten, eben vorm Hinscheiden, noch im Gedenken an unsere damaligen Unbekümmertheiten und daß wir mitsammen Theater gespielt, rückblickend: »Wir alle waren damals (1912) erstaunt über Deine Leistung der Regie; wohl kaum einer hätte Dir verschlossenem Einzelgänger soviel Schwung zugetraut.«

      Unser Ordinarius (mit dem Spitznamen Jockel), dieser drahtige, großäugige, spitzbärtige, schmächtige Dinarier, gewesener Austauschprofessor in Persien, entsprechend durchlüftet, sprachenkundig und Lebensreformer, erteilte mir nur zweimal ein: Sehr gut! – und nur unter argwöhnisch gehißten Augenbrauen. Einmal für einen Aufsatz über den Ritterpoeten und Humanisten Ulrich v. Hutten. Zum andern über den Rebellen und Dichter Nikodemus Frischlin, einem Vorläufer sozusagen Freiligraths, von Behörden und Neidern verfolgt, Universitätslehrer, Hofbesinger, allzu aufrichtig, eingesperrt. Bei einem Fluchtversuch aus der Feste Hohen-Urach zu Tode gestürzt, erst dreiundvierzig Jahre alt. Er war wie ich am letzten Sommertag geboren. Theodor Jaeger glupte mich an wie ein Uhu die Maus: Bilden Sie sich nicht ein, an ein derartiges Schicksal heranzureichen! –

      Lob und Dank! Die Vorsehung hat es verhütet.

      Aber schon rumorte in mir die Neigung, wie Frischlin dramatisch mit menschlicher Größe und Schwachheit zu jonglieren. Er war vormärzlich vom Lateinischen zu seinem deutschen Schauspiel »Frau Wendelgard« gediehen, das ich aber vergebens aufzustöbern suchte. Denn ausgerechnet mir hängte man auf, ein Stück vorzuschlagen zur Feier des zehnjährigen Bestehens unserer Anstalt. Und es auch – o Himmel – zu leiten. Meine beiden Vormänner hatten nämlich abgelehnt und hofften sichtlich auf meinen Reinfall. »Frau Wendelgard«? – Nein, entschied Jaeger: Das ist eine Liebesgeschichte und paßt nicht hierher. Also bitte keine Damenrollen! –

      Schließlich geriet ich an das Fastnachtspiel von Hans Sachs:

Illustration

      Der Kaiser und der Abt

      schon wegen der beiden Titelrollen. Tewes sah sowieso aus wie der Bamberger Reiter. Und Klopsch mit dem runden Gesicht ergab mit bäuchiger Ausstopfung einen prächtigen Klosterbruder.

      Die Kostüme entlieh ich unverfroren vom Thalia Theater, zwei Schließkörbe voll mittelalterlicher Tracht nebst Zubehör, die Schar Ritter, Knappen und Landsknechte auszurüsten. Des Abtes Mundschenk spielte geschickt – wie später einmal den persischen Gesandten – Hans Podeyn, eines Straßenbahners Sohn. Zur Auflockerung ließ sich eine Tanzgruppe des Mädchenseminars herbei, hübsch in zeitloser Dirndl-Tracht. Ich verfaßte ein Landstörzerlied und einen Prolog, den ich sogar selber sprach, zeichnete das Programm, malte Plakate ... Alles gelang wie ein Puppenspiel an unirdisch gelenkten Fäden.

      Als Bühne wählte ich einen geräumigen ansteigenden Rasenwinkel in jenem Gartenlokal Groß-Jüthorn, dessen ich mich von einem früheren 1. Mai-Ausflug entsann, gleich hinter dem Wandsbeker Gehölz. Der kunterbunte Aufzug vor schütterem Laubwald, die strahlende Sonne, das eindringliche Spiel ... Der Unsterbliche des Gefildes, der Wandsbeker Bote, mag zutunlich gelächelt haben, milder als unser Professor, der sich – nie um Rat gefragt – nun als St. Jokelius spitzköpfig und ziegenbärtig auf einem Marterl prangen sah. Zum Entgelt rügte er mich, die Worte meines Prologs »Schwung« und »jung« allzu hamburgisch mit »k« gesprochen zu haben. Was tat’s! Ich hatte mich vor mir selber bewährt, zu meinem eigenen Erstaunen. Und fiel nun wieder zurück in die gewohnte Teilnahmslosigkeit und wäre fast durch die nicht mehr ferne Abschlußprüfung gerasselt.

      Beim Entlassungsabschied sagte der Direktor jedem seiner Zöglinge ein väterliches Wort. Werden Sie ein großer Künstler und ein guter Mensch! sagte er zu mir. Da war mir, als erwache ich plötzlicher als der Jüngling zu Nain. Welche Forderung: Groß und auch gut sein zu sollen! Natürlich war es gütig gemeint und war dennoch wie ein voreiliger Eingriff in einen biologischen Prozeß, in eine noch höchst ungewisse Entwicklung.

      Ab Ostern 1914 also hatte ich einen Beruf, ohne die Berufung dafür zu fühlen. Was an Jahren zuvor in gefaßter Benommenheit hin vertorkelt war, ballte sich nun zur

      Bedrängnis

      Ich sollte Schüler unterrichten, indes ich mich gerade erst jetzt als Schüler unabsehbarer Zukunfts-Ansprüche fühlte. Was hatte der zermürbte Heinrich Wolgast noch zu guter Letzt gelächelt: Werden Sie eines Tages glücklicher als ich! –

      Die Behörde wies mich in den Stadtteil Rothenburgsort. Tröstlich war das nicht. Zuviel Fabrikqualm, öd-graue Beton-Wohnkasernen, zu den Elbbrücken lärmend wachsender Autoverkehr. Der Schulleiter ein kleinlicher Pedant. Gebäude und Einrichtung nicht besser als zu meiner Kinderzeit. Die Klassen überhäuft, die Knaben, Söhne von Hafenarbeitern, Handwerkern, Zöllnern, kleinen Angestellten und Geschäftsleuten, waren zumeist brav und säuberlich, einige aber mit Recht leicht aufsässig. Denn was der Lehrplan ihnen zumutete, war noch weitab von Vorstellungen Heinrich Wolgasts. Kollegen und Kolleginnen waren nett, aber wie ich zumeist mit sich selber beschäftigt. Ich gedieh zu keiner Beziehung. Ein Fräulein Anna Jacker schien von größerem Horizont. Ich erwähnte Rothenburg ob der Tauber. Welch Gegensatz! – Sie verfinsterte sich jäh, quittierte bald den Dienst und ging nach drüben, in die USA, war dort lieber Zimmermädchen als in Hamburg Lehrerin. Wir schrieben einander bis heute, wo sie als Witwe eines Bankbeamten in Karlsruhe lebt.

Illustration

      Auch ich spielte mit Plänen endgültigen Ausbruchs, und sei es erstmal als Urwaldredakteur und Schulaufbauer in Venezuela. Der Posten war gerade angeboten. Und du willst etwa allein? – Meine Freundin Liane verbat sich überhaupt und gründlich solche Hirngespinste. Sie schien von meinen ersten verdienten Goldstücken geblendet. An meinem einundzwanzigsten Geburtstag, wo man dem Bürgerlichen Gesetzbuch nach mündig wurde, holte sie mich mit einem riesigen Rosenstrauß von der Schule ab. Sollte ich nicht gerührt sein? Schweigsam überwanden wir die lange Strecke Heidenkampsweg, Berliner Tor in die Straße Reismühle. Dort wohnte jetzt die Familie, billiger und stiller als in der Alexander Straße, wo die Mieten gestiegen waren. Der Strichund Dirnenbetrieb hatte sich von der Gegend Hauptbahnhof ausgebreitet. Noch zur Seminarszeit

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