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Das Schaurigste, was einem romantisch veranlagten jungen Menschen unter die Füße kommen kann. Es ist hier meine Absicht nicht, die bittere Notwendigkeit der Seefischerei oder gar ihre Tapferkeit zu bezweifeln. Meine Hochachtung ihren Männern allen! Was mich damals fast zur Strecke gebracht, hat mich doch auch gefestigt, gemäß der Erkenntnis des Zarathustra-Philosophen: »Was mich nicht umwirft, macht mich stärker.«

      Und wo sonst hätte ich so rasch die See wirklich erfahren können? Die gnadenlose Schaukel zwischen Himmel und Erde, den ununterbrochen zuckenden, durch Schlund und Gedärm peitschenden Horizont, den haltlos wandernden Zirkelschlag zwischen Wasser und Gestirn, die saugenden Tiefen, die lockende, würgende, ewig ungreifbare Schlinge der Meeresweite. Schaumkronen sind keine Faschingsmützen und Sturzseen keine Daunenkissen. Und das Geheul der Lüfte ab Beaufort sieben übertrifft jede Vision der Hölle. Aber der rohe Bordton und die brutale Fischschlächterei waren mir Milchsemmel doch wohl nötig, mich etwa für den Kommiß hinreichend abzubrühen und mir

      alles Sanftere desto lieber

      werden zu lassen.

      Zirpt in der Erinnerung doch auch Milderes: Gischtflocken springen über die schräge Kimm, tanzen golden in der Mitternachtssonne. Gewölk zaubert Ungeheuer und Engel. Der Wind streichelt unversehens zart und kühlend über fiebernde Stirn. Wie damals, als man noch Kind war, die Hand der Mutter und noch betörender die der Diakonin zu Duhnen, damals so nah der Brandung und der ersten Ahnung der Unsäglichkeit des Begriffs »Das Meer« ...

      Die verlassene Kammerenge – daran denkt man plötzlich – baut sich übergangslos um in urweltliche Schrankenlosigkeit. Fern über Nord kringelt, speert und wabert lautloses Polarlicht. Darunter klafft aus dem Häsigen ein schwärzlich-weißlicher Rücken.

      Ein Wal? –

      Döskopp! Die Bäreninsel

      Man weiß es noch, so sah es aus, wie sich’s nach sieben Jahrzehnten vorm Fenster gen Nord aus dem Morgennebel hebt, drüben über der diesig verhüllten Reichenau, meeresabseits der Bodansrück. Man nickt ihm gelassen zu aus unschwankem Stand, dem gelinden Spiegelbild verwehter, würgender, eisfrostiger Rauheit und Einsamkeit von einst.

      Der Koch hantierte wie ein Zirkusjongleur mit Töpfen, Eimern, Pfannen und Kannen. Mir zerbrach einiges, ich steckte Ohrfeigen ein, stemmte mich gegen Übelkeit, Schmerz und Verzagen, lernte, mich dem schlingernden Rhythmus des Untersatzes anzupassen, verbiß Tränen und Gejammer, mühte mich, Eßgeschirr und volle heiße Schüsseln – es waren meistens nur ausgediente Konservendosen – in Messe und Logis auf den Hängetisch zu balancieren; lernte die schmatzend hämischen Bemerkungen einiger der zehn Besatzungstypen ungerührt zu schlucken. Zumeist zielten sie auf den Koch, den Smutje, den Schmott, den sie manchmal Doktor, manchmal Babette nannten. Warum das? fragte ich arglos.

      Teils Hochachtung, Kleiner, weil ich die einzige Medizin verwalte, die sie schätzen, kräftiges Essen oder sogar etwas Rum. Und zum andern aber: Üble Nachrede! Dummes Geschwätz! fistelte Herr Loitzikow und leckte den Suppenschleef ab: Du bist noch zu jung, Moos, um alles zu verstehen. Ich bin nicht, wie manche denken, ein Knabenschänder. Aber ich habe Freundeswärme nötig, die ich bei Frauen nicht finde. An Bord gibt es eher so was als an Land, wahre Kameradschaft, und mehr auf kleinen Pötten, je gefährlicher, desto netter, und das wilde Schlingern hier, das Stampfen und Rollen und Geschaukel, das reine Jahrmarktsteufelsrad, das tut mir wohl, und darum bin ich hier und nicht auf den Luxusozeanern, Musikdampfern oder Seebäderkähnen, wo alles glatt hergeht und wie unter Polizeiaufsicht. Du allerdings gehörst eher dorthin. Mich rührt, wie du dich abmühst, dich hier einzupassen! Darum hab ich auch gestattet, daß nur noch Pellkartoffeln gekocht werden, weil mein Finger noch nicht heil ist und du es schlechter kannst als ein Säugling. Und wenn die da vorn auch fluchen, unser Käptn hat gesagt: Freßt die Schale man mit, da sind die Vitamine drin und das Beste, das hat schon James Cook gewußt. Und ob das nun wahr ist oder nicht, wir haben einen tüchtigen Kapitän. –

      Einmal sagte er schwermütig: Moos, hast du hier schon eine Ratte entdeckt? –

      Nein! sagte ich erleichtert.

      Freu dich nicht zu früh! Der Käptn behauptet zwar, er habe alle vergiftet. Und die letzten seien vor Angst von selbst über Bord gehüpft. Irrt euch nicht! Wenn die Ratzen das Schiff verlassen, ist es dem Untergang geweiht. –

      Man soll nicht unken

      wagte ich bänglich zu äußern.

      Der Smutje nickte feierlich: Alles Aberglaube. Unken sind kleine nützliche Tiere, fressen Mückenlarven, sind kleiner als ein Frosch oder ’ne Kröte. Als Kind hab ich damit gespielt. Im Garten meiner Eltern war ein Teich. – Seine Stimme versagte ihm. Seine Augen blickten wie irr in die Dampfspirale, die vom Suppenkessel aufquoll. Plötzlich fuhr er mich an: Los, los! Rin mit die Kartüften! –

      Flehte ich innerst um himmlische Hilfe? Ich glaube, ich schämte mich, einem Engel zuzumuten, sich in diese von mir doch freiwillig erwählte Hölle zu begeben.

      Auf Frachtern und kleinen Pötten unterscheidet sich der Koch kaum von der Mannschaft. »Babette« aber trug sich sonntags wie im Hotel: Weiße Jacke, Ballonmütze, hell karierte Hose.

      Ich zuckte hoch aus todähnlichem Schlaf. Eine nackte pendelnde elektrische Birne stach mir in die Augen. Wo war ich? Riesige Männer zwängten sich in knatterndes gelbes Ölzeug und ächzende Riesenstiefel. Steurer Fese tauchte auf, in Triefendes gemummelt, kaum erkannte ich sein Gesicht.

Illustration

      Hoch, Moos

      knurrte er freundlich barsch (den Namen hatte ich weg) und drückte ein paar lange Gummistiefel zu mir hin: Zieh die an und diesen alten Mantel. Alle Hände sind nötig! –

      Die Männer waren längst draußen. Ich bewältigte die Logistür. Wind schlug mit scharfen Spritzern herein und brüllte in den schwarzen Lüften, darin der Scheinwerferkegel schwang. Man sah die Rücken der Männer grell spiegelnd über die Reling gekrümmt.

      Den Wind überlärmend, arbeiteten die Trossentrommeln, das Netz einzuziehen. Auf einmal schwiegen sie. Nur der Sturm tobte weiter und die Brecher am Bug. Hoch am Galgen, grellrot vom Licht angeschnitten, pendelten die Scherbretter, die unter Wasser das Netz einladend auseinander halten. Nun wurde es Hand über Hand eingeholt, in triefenden, gittrigen Klumpen. Der Dampfer scherte aus, Gischt fegte über die Männer hin, die See warf das hereinschwingende Netz hoch über sie, als sollten sie alle darunter begraben sein. Aber dann hob sich das Schiff, die zurückgezuckten Fäuste krallten aufs neue zu und errafften Packen um Packen.

      Gellend schrie Fese dazwischen: Hü jo! – Gib ihm! – Hiev op! –

      Fese stand auf dem Peildeck überm Ruderhaus. Kapitän Billmann hatte selbst zuerst das Ruder übernommen und es wohl nun jemandem übergeben. Plötzlich nahm er Feses Platz ein, beugte sich weit übers Schanzkleid. Seine Stimme übertraf die seines Steuermannes.

      Hoch das Ding! schrie er.

      Ich erspähte, wie sich längsseits ein ungetümer Ballon wälzte. Vom Vormast schwebte jählings ein Hakenblock. Schwang tiefer, wurde befestigt. Die Männer wühlten durcheinander und stürzten zurück.

      Hiev! – peitschte es vom Peildeck

      Die Winde zog an. Das Ungetüm, am Flaschenzug hängend, hob sich aus der See, der ungeheure Netzsteert, prall triefend, zuckend von Lebendigem, grausig, unheimlich, stieg langsam über die Reling, ein fiebrig atmender Elefant, nein, größer als zehn Elefanten, so schien es mir, turmkuppelgroß, und nun schwang es herein, schwebte überm Vordeck. Der Kapitän hielt ständig den Scheinwerfer darauf gerichtet, schweigend beobachtend.

      Los! brüllte er nun.

      Fese ging rasch und federnd auf das Ungeheuer zu und bünzelte mit eckigen Griffen das untere Ende auf. Dann sprang er leicht und zack zurück. Das Ungeheuer platzte auseinander. Und wie ein tosender Wasserfall ergoß sich die silbrige Beute aufs Vordeck. Der reinliche Atem der Tiefe, fast metallisch würzig überwellte mich.

      Jetzt wurde

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