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      dessen, was das Herz gemeint.

      Ich war mächtig ernüchtert. Aber diese

      Entengelung

      hat mich später doch oftmals bewahrt, bei so mancher geschickten Darbietung, zumal in der Politik, mehr zu erwarten als gut geölten Trick. Ich begegnete dem mit Achselzucken. Der Taschenspielerei der Welt hinter die Schliche zu kommen, ist das Vergnügen derer, die selber derlei machen. Denn bis in die Unerforschlichkeit hinauf ist man vor Überraschungen nicht sicher und muß sie hinnehmen als Erprobung oder Gnade.

      Einer der Prediger meiner Chorjungenzeit war Alfred Kapesser, eine kraftvolle Erscheinung, erlauchter Redner und Sänger. Obwohl den Buben zwischen zehn und vierzehn die Seelenhirten weniger zu bieten haben als damals etwa die Buffalo-Bill- und Nick-Carter-Hefte, so horchte doch hin und wieder eins der Drachenkälber auf, wenn der Verehrte mit seinem Mühlsteinkragen hoch über dem Altar in der Kanzelgrotte erschien. Und manches Wort leuchtete herüber auch zu uns, die wir im Hintergrund der Orgelempore die Roßhaarbänke bevölkerten. Eins blieb mir bis heute gegenwärtig:

      Das Heilige, meine Freunde, ist das, was man weder mit Du noch mit Sie ansprechen kann. Man kann es nur in stiller Scheu von weitem ahnen und es achten. Dann darf man gewiß hoffen, bei anständiger Haltung auch ohne fordernde Gebete in guter Hut zu sein. –

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      Zur Konfirmation gab mir dieser Aufrechte mehr zufällig als gezielt den Spruch Matthäus 7, 7:

      Klopfet an, so wird euch aufgetan

      Das war mir genehmer als die beiden zugehörigen Stellen: Suchet, so werdet ihr finden! – Und: Bittet, so wird euch gegeben! – Es klingt mir hanseatischer. Wenn hanseatisch bedeutet, nicht lange suchen zu müssen, um das Rechte zu erkennen, sich auch nicht lange mit Bittschön aufzuhalten oder gar mit demütiger Rückenkrümmung. –

      Im letzten Chorjahr erwarb ich mein zweites Honorar. Unser schneidiger Stimmgabelschwinger (er benutzte sie als Taktstock) hatte uns zu einem Tagesausflug an die Ostsee gelenkt und auf dem Wege dahin ins Rathaus zu Lübeck. Für einen Bericht darüber verhieß er einen blanken Taler. Ich gewann ihn. Und schenkte ihn meiner Mutter.

      Als ich doppelt so alt war, erkannte mir ein geborener Lübecker einen rund dreihundertmal höheren ersten Preis zu, Thomas Mann, für meinen Piratenroman »Godekes Knecht«. Das schöne Stück Geld vertat ich in Paris und auf Seereisen. Für den Rest, dreihundert Mark, erstand ich eine alte Lüneburger Bibel mit den Kupfern des Barockmalers Matthias Scheits. Das war alles, was aus den theologischen Sehnsüchten meiner Mutter geworden war.

      Vom Auferweckten zum Aufgeweckten ist nur ein Plankenstudium. Denn Planken und Mauern erweisen sich seit je als öffentliche Fibel der Aufklärung. Auch mir wurde langsam klar, was da so dürftig hingeschmiert in Wort und Zeichnung gemeint war. Und gereichte zu

      Freud und Leid

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      Was seit Sigmund Freud von allen Jugendbeschnüfflern als allgemein erotisches Frühstadium betrachtet wird, hat bei mir keine Rolle gespielt. Es beschränkte sich auf freigebige Küsse, vor denen selbst die rauhe Wange meines Vaters nicht sicher war, ohne Verlangen, Lippen zu küssen oder selber geküßt zu werden. Die reinliche Aura meiner Eltern wirkte sichtlich auf die ganze Familie. Das Hereinbrechen der Außenwelt geschah nur allmählich. Da war zum Beispiel in Wolgasts Schule ein sitzengebliebener Gastwirtssohn mit hemmungsloser Fähigkeit, Federhalter, Federkasten, Bleistiftspitzer und Radiergummi in kitzligen Szenen agieren zu lassen. Dem sah ich in mancher Pause mit Genuß und Gruseln zu, ohne mich einmischen zu können oder zu wollen.

      Etwas gewählter, ja, fast literarisch, erging es sich im Treppenhaus der Alexander Straße. Da deklamierte der stramme Gymnasiast Julius Hansen lange Gedichte wie: Liebesbrief eines Kesselflickers. – Oder: Pastors Hochzeitsnacht. – Dessen letzte Zeilen lauteten: Nimm meinen Samen/ in Gottes Namen/ Amen.

      In der Seminarschule vermißte ich geradezu solche Talente. Ich war mit zwölf dahin gelangt. Aber einer, der am harmlosesten aussah, wußte von einem Landaufenthalt zu berichten; eine sonst ganz kindlich wirkende Bauerndeern habe ihn unmißverständlich attackiert und dann gesagt: Längern hest nich, beeter kanns nich, denn mok dien Büx man to un sech, ick heff nich wullt! –

      Auf Ferienausflügen, zu deren Betreuung man sich als junger Seminarist melden sollte, sammelten sich meistens ärmere Kinder, die nicht verreisen konnten. Da entfiel der Respekt vor der amtlichen Lehrmacht, und man vernahm aus unbedarften Mündern, ob Knaben, ob Mädchen, Lieder, Verse und Witze, die in ihrer Saftigkeit eher in eine Ulanenkantine gepaßt hätten. Man sieht, es ging auch ohne die heute so eifrig betriebene behördliche Aufklärung.

      Dergleichen schleust sich nicht nur ins Ohr. Obschon mich vor allem die ausgewogene Klanghaftigkeit erfreute, wie sie dem plattdeutschen Volksmund besonders eignet. Natürlich entging ich nicht dem Reiz und der Plage, was irrtümlich laut 1. Mos., Kap. 38 dem Treiben des Judassohnes Onan unterschoben wird. Solche Selbstbehandlung war damals verfemt und mit schweren Ängsten belastet. In Kadettenanstalten oder sogar in der Lichtwarkschule soll manchem passiert sein, von übelwollenden Mitschülern »geschwächt« zu werden, namentlich vor Turn- und Sportstunden oder vor Mathematikarbeiten. Es blieb mir erspart. Wehe dem, der da petzen wollte! Ich hielt mich von all diesen Brüdern fern, immer versponnener,

      als Einzelgänger abgestempelt

      weniger geachtet als nicht beachtet.

      Zwei ähnliche Außenseiter hielten sich halbwegs zu mir, blieben aber nicht lange. Der eine, begabter Musiker, schwenkte ab als Cafégeiger. Ein andrer, Sohn einer Hebamme, übernahm ausgerechnet die Grabsteinfabrik eines Onkels in Minnesota. Ein dritter, Ulrich Nabel, war, weil sitzengeblieben, uns ein Jahr voraus. Er wurde später als Kunstwissenschaftler Begründer des Althamburger Bürgerhauses. Schon früh bekannte er sich freimütig und zum Entsetzen Professor Jaegers zu Erlebnissen mit Prostituierten und in den Bordellen St. Pauli-Altonas. Neugierig versuchte dann eines Nachmittags auch ich, meine Erkenntnisse zu bereichern. Es mißlang ziemlich und wurde nie wiederholt.

      Große und Kleine Freiheit

      hießen zwei Straßen gleich hinter der Altonaer Grenze. Hier hatten vormals Handwerker ohne Zunftzwang siedeln können. Das hatte sich nun in allgemeinere Zwanglosigkeit gewandelt. Ausgespart war nur die barocke Fassade eines Gotteshauses, düster abwartend, umbrandet vom Neonlicht halbweltlicher Reklamen, die über eine unablässig flutende Menge hin das irdische Vergnügen ohne Gott meinten.

      Zwei stille Straßen zweigten ab, niedrige lauernde Schlüfte, fast unbeleuchtet, die Marien- und die Peterstraße. Ihre sakralen Namen betteten sich unbefleckbar in die ewige Verzeihlichkeit, indes der flüchtige Kundendienst dessen weder sicher war, noch sich wohl darum sorgte. Ehe ich beherzt um die Ecke bog, verharrte ich doch lieber eine Weile in »Des Australischen Professor Woinke sein Museum«, wie ein Eingangsschild es nannte. Die hexenhafte Kustodin zeigte mir unter krächzender Erläuterung einige teils ausgestopfte, teils in Spiritus bewahrte Monstrositäten, einen Hund mit Doppelkopf, ein Kalb mit fünf Beinen, einen mühlsteingroßen Rattenkönig, alles mehr geeignet, die Träume eines verfolgten Mörders zu schmücken, als mein Vorhaben zu begünstigen. Auch ein meterhoher Eiffelturm, »hergestellt in jahrelangem Fleiß aus den Brotresten eines begnadeten Insassen der Irrenanstalt Friedrichsberg«, wirkte eher beklemmend. Vielleicht würde die »Katakombe« erbaulicher wirken. Ich zahlte die Sondergebühr. Und was war? Vor einem Altar aus Papierblumen standen sieben graue Kindersärge. Die Hexe hob die Deckel einen nach dem andern. Es lagen bräunlich verschrumpfte Totgeburten darin.

      Ich hatte mir eine bessere Anregung erhofft und gönnte mir nun meinen allerersten Schnaps (Ausschank nur gegen bar), und die Inhaberin genehmigte sich auch einen auf meine Kosten. Er brannte mir fürchterlich im Schlunde, aber er schob mich doch glimpflich an den ausgehängten Vorlagen des Tätowierers Fincke vorbei.

      Ich raffte mich zusammen, ein Mann zu sein und dem dicken Klassenkameraden Uli nicht nachzustehen. Halte dich in der Mitte der

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