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das einzige, was er die Woche über rauchte. Nie hat er etwas gewonnen. Auch nicht beim Kartenspiel.

      Das alles betrübte mich sehr, meiner lieben Mutter wegen, die stumm leidend Pfennige zählte; denn auch das Gehalt ihrer Ältesten reichte nicht, vier unmündige Geschwister mit satt zu kriegen. Mein großer Bruder Willy hatte in der Senatsdruckerei gelernt, war aber nun Soldat in Metz.

      Ich schwor mir, niemals zu wetten oder Spielkarten anzurühren, und hab es bis heute gehalten und pfeife auf alles, was sich Toto, Roulette, Lotto oder Lotterie nennt. Mir ließ ich zugebilligt sein, nur durch Arbeit das zu verdienen, was ich brauchte oder als Entgelt mir zustand. Mein erstes Monatsgehalt aber betrug eine runde Reichsmark. Die bekam ich als

      Chorjunge

      unter der goldenen Drachenfahne der Barockkirche St. Georgs. Meine Mutter träumte, ich würde Pastor. Das galt in ihrer dörflichen Heimat als das höchste neben dem lieben Gott. Aber woher das Studiengeld nehmen? Zumal es in Hamburg noch keine Universität gab. Als Vorstufe des Unmöglichen erschien ihr immerhin der Kirchenchor. Ich überwand meine Schüchternheit und sang trotz der blitzenden Kneifergläser des Kantors ein paar von ihm angeschlagene Töne nach. Sein Tafelklavier wirkte anheimelnd. Und Herr Aleff verfügte in allen Lagen über eine unglaubliche Skala Charme und Liebenswürdigkeit. Ich war zehn und sang bis zum Stimmbruch runde vier Jahre bei ihm, anfangs zweiten Sopran, dann Alt. Und wurde aufgeriegelt für die Musik von Bach bis Reger. Dafür bin ich ewig dankbar.

      Kantor Georg Aleff (sein Vorname glich dem des Kirchenpatrons), rundum musikalisch gebildet, vormals Fagottbläser im Orchester des Stadttheaters, der späteren Staatsoper, war durch und durch ein Gentleman – es gibt keine rechte Verdeutschung dieses noch immer sehr englischen Begriffs. Auch äußerlich vornehm, von mittelschlanker Figur, gelöst beweglich, gepflegt, das Gesicht angenehm geformt mit dunklen Augen, die auch ohne die dünn schwarzgerandeten Brillengläser mitsamt den Spitzen des flotten Wilhelm-II.-Bartes Blitze zu schießen vermochten. Darüber die schwarze Tolle, oft mit unnachahmlich brillanter Geste zurückgekämmt. Er sang einen vorzüglichen Tenor, mühelos bis zum Bariton hinab, griff auch, wenn’s nottat und unsere Stimmen abzusinken drohten, mit lichtem Diskant ein. So denn stand er in gemessener Achtung selbst bei den biederen, weniger umfangreich befähigten vier Herren, die sonn- und festtags antraten, unseren glashellen Chor markig zu untermalen.

      Im ersten Sopran gab es bei uns wahrhaftige Wunderkinder, von Aleff Kanonen genannt. (Einige glänzten später im Funk.) Er war ein geistreicher Bändiger unseres zusammengewürfelten Haufens und brachte uns eine anständige Aussprache bei, soweit solches im niederdeutschen Raum möglich ist. Das gewohnte scharfe »st« merzte er geduldig aus, indem er uns oft das britische Wort »shipchandler« wiederholte.

      Er stammte aus guter Uhlenhorster Familie. Auch sein Vater war geborener Hamburger, Opernbariton und Korrektor am Stadttheater, und hatte dem Sohn eine tadellose Sprechweise und Haltung beigebracht. Und hatte ihn anno 1870 sicherlich und nachwirkend in deutscher Siegesstimmung gezeugt.

      Er war unverdrossen höflich zu uns, anfeuernd, und selbst, wenn ein seltenes »Raus!« einen gar zu Unbotmäßigen vor die Tür setzte, geschah es ritterlich. Gewiß wäre ihm das Amt an einer wohlbestallteren Kantorei gemäßer gewesen, zu Leipzig, Regensburg oder Wien, wo es berühmter oder lohnender war seit alters her. Oder doch an einer der fünf Hamburger Hauptkirchen, die ihre Chöre aus den staatlichen Fonds der Realschulen und Gymnasien zusammenstellten. Er mußte nehmen, was sich für dürftiges Kleingeld aus den ärmeren Schichten an Begabung ersieben ließ. Es war zudem ein Eiertanz, im gottlosen Norden erwachsene Männer zur Untermalung unserer Stimmen, zum Singen von Motetten und Chorälen zu bewegen gegen einen Obolus, der kaum ein Abendbrot deckte. Einer dieser Herren, zumeist Schulmeister, stand bäuchig und bierdunstend hinter mir auf der Orgelempore und ließ seinen Baß genüßlich über meinen Scheitel rollen. Und er war es, der uns mehr von oben herab denn gütig:

      Drachenkälber

      nannte, Abkömmlinge des Untiers, das der Nothelfer und Ritter Sankt Georg unablässig in der Wetterfahne der Turmspitze erlegte.

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      Meine Schwestern hielten unseren eleganten und temperamentvollen Dirigenten für einen Schwerenöter, obwohl sie ihn nur von weitem kannten. Sie hatten mal beobachtet, wie er in knarrenden Lackschuhen mit weißen Gamaschen, scharf gebügelter Hose, gelb flauschigem Covercoat und hellem Filzhut zur Probe eilte, schon unterwegs die edlen Glacéhandschuhe abstreifend.

      Schorschi kümmt! – Mit diesem Warnruf vom Schlagballspiel aufgescheucht, stürmten wir dann ihm voraus ins Küsterhaus, in den muffigen Gemeindesaal, der zu seinem Leidwesen stets nach Katzendreck roch.

      Ich, mit ähnlich prüder Nase geplagt, stieß Fenster und Läden auf und verweilte tiefatmend einen Wimperzuck lang im Anblick weiter Gärten, die zu den Villen der Patrizier am Alsterufer gehörten.

      Seinen Mantel durfte ich oft behutsam auf zwei Stühle betten, das seidene Futter nach oben, das nach Havannas duftete und nach den Wässern des Friseurs.

      Nur einmal sah ich ihn später wieder, da war er Repräsentant der Pianofirma Steinway & Sons, Filiale Hamburg, sehr vornehm am Jungfernstieg. Und ich war soweit, an einen Ersatz für unser so lang entschwebtes Tafelklavier denken zu können. Sein Haupt war fast kahl, der Schnurrbart gefallen, der schwarzgerandete Kneifer durch eine Goldbrille ersetzt. Mich erkennend, rief er ungebrochen lebhaft aus: Meister, Sie sind’s? Ach, wo sind die jungen lieblichen Tage von einst! –

      Zur Dreieinigkeit

      hieß es, wo ich Chorjunge war

      in Hamburg-St. Georg

      zwischen Hafen und Alster vor den Kriegen

      inmitten rostender Zeit.

      Damit wir während der Predigt schwiegen,

      lasen wir Cooper und Gerstäcker

      und waren in Texas und Buitenzorg

      unbedenklich unter Dach.

      Wer erkennt seine Erwecker?

      Wo blieb das Ergründete

      aus den Hinterhofspielen?

      Noch verehrte ich Elise Averdiek.

      Die Drachentöterfahne kündete

      windwechselnde Gefahr.

      Ich spann den Segeln nach,

      die unter dem Taifun der Orgelmusik

      im Uferlosen zerfielen.

      1949 gedachte ich im Roman

      Drachenkalb singe

      meiner Chorjungenzeit.

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      Meine erste Beziehung zu Segeln ergab sich noch in der Langenreihe. Wenn ich dort im Nordzimmer aufs Fensterbrett kletterte, erspähte ich über Gärten, Dächer und Schornsteine hin manchmal die Spitzen weißer Segel.

      Die gehören den Söhnen reicher Kaufleute, sagte meine große Schwester, die da in den weißen Villen wohnen, wo es immer nach Butterküche aus den Kellern duftet, weil die Dienstmädchen jeden Tag Beefsteak braten müssen. –

      Warum singen die so traurige Lieder? fragte ich.

      Wohl, weil die Söhne des Hauses eines Tages am Kongo oder Amazonas segeln wollen und den Eingeborenen billige bunte Tücher andrehn, ein Meter Kattun gegen ein Meter Elfenbein oder zehn Riesenschlangenhäute. –

      Was solln denn die mit dem Kattun, die laufen doch nackt herum? – Das ist es ja eben, das ist unanständig, haben ihnen die Missionare erzählt, und dann kommt man in die Hölle, und dort ist es dreimal so heiß wie in Afrika. –

      Aber ich hörte kaum mehr hin, allzu gefangen von den geheimnisvoll gleitenden weißen Dreiecken. Bis ich eines Tages mal unter den voll besetzten Rahen einer Viermastbark stand und hinaufstarrte in das schwindelhoch gleißende wölbende

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