Скачать книгу

füllte,

      bis es überlief. Und daß an der Wand

      im ersten Schuljahr der Sandtor-Kai hing,

      wo mein Vater mit den Frachten umging.

      Überdies, wie ein Forscher ertiftelt hat,

      hieß mein Urahn vielleicht Leif Erikson.

      Ihm weihe ich ein Buddelschiff,

      weil er Amerika fand

      und es auf sich beruhen ließ.

      Der sogenannte Forscher machte sich mir telefonisch bekannt als Dr. Fritz Leip, Frauenarzt in Altona. Ehe die beabsichtigte Begegnung zwecks näherer Auskunft zustande kam, vernichtete ein Bombenangriff alles Anberaumte.

      Ob dem Mann um eine illustre Untermalung seines Ahnenpasses zu tun war? Mir schwante doch bald, der Name Leif hätte nach den Gesetzen der mittelhochdeutschen Lautverschiebung ursprünglich Lief heißen müssen, um sich in Leip zu verwandeln. Gewiß gibt es den Leiptstrom der Edda, den Lebensstrom, und es wäre allzu schmeichelhaft, mich darin zu baden. Mich deucht denn doch, eine Herkunft von wendisch lipa = Linde ist auch nicht häßlich. Denn die Vorfahren meines Namens, soweit ich kraft Kirchenbüchern es erspähen konnte, stammen aus Hannoversch-Wendland zwischen Lüneburg, Hitzacker und Dannenberg, eingedeutscht seit Heinrich dem Löwen und früher. Frau Linde ist der Lieblingsbaum des deutschen Volksliedes, der Baum der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit. Elfen und Kobolde hausen darin und darunter, und Schlangen bewachen verborgene Schätze zwischen seinen Wurzeln.

      In London und New York redete man mich mit Mister Leap an. Das bedeutet das Sprunghafte, auch Schlaftrunkene und das Federnde, das Setzen über Graben und Hindernis, sogar auch die Pirouette, das Drehen um die eigene Achse. Sieh da, da wären wir wieder beim Tanzrad.

      Wie dem auch sei, muß jeder doch zufrieden sein mit dem, was ihm von den Vorfahren als Emblem oder Stigma oder Stempel angehängt wurde. Und es zu werten trachten.

      In London beschlich mich oft der Gedanke

      wenn nicht Hamburger, möchte ich wohl Engländer sein, trotz Soho und Whitechapel. Das war damals, als Great Britannia noch »ruled the waves«. Und seinen Söhnen noch weit um den Globus die Welt zu Gebote stand, wie den Deutschen nie. Und Churchill wurde von seinen internen Gegnern noch nicht »Churchyard« und »Totengräber des Empire« genannt, das uns doch wie das Pfund als Symbol unerschütterlicher Beständigkeit gegolten hatte. Auch gab es noch wirklich das, was man unter Gentleman versteht.

      Wir wußten zu Haus wohl zu schätzen, was über den Chef der Hamburger Filiale Davenport uns gelegentlich als Mitbringsel erreichte: Chester Cheese und Strawberry Jam, auch Cake-Packungen mit der Tower-Bridge drauf und China Tea in schönen Blechdosen, auf denen Mandarine prangten. Weite Welt! Und weite Welt war auch auf mancher Postkarte einer von der Rose geheilten Patientin meines Vaters, der Kammersängerin Ernestine Schumann-Heink, mit dem Eiffelturm etwa oder der New Yorker Freiheitsstatue. Ich bestaunte die fremden Briefmarken. Ich sammelte sie, bis ein Klassenkamerad, der sich mein Freund nannte, sie sich auslieh, um sie, namentlich seltene brasilianische, seinem Vater zu zeigen, und ich sie nie zurückbekam. Das hat mich oft zu Unrecht mißtrauisch gegen sogenannte Freundschaften gemacht. Übrigens wüßte ich nicht, daß mein Vater irgendwann viel Freundschaft gepflogen hätte. Seine kargen Gefühlsäußerungen beschränkten sich auf Zitate von Bibelstellen und auf die Kosenamen, die er seinen Kindern gab. Mich nannte er Dudeldei, weil ich alle meine Spiele mit Singsang begleitete. – Er war stolz, den

      Hamburger Bürgerbrief

      zu besitzen. Heute gibt es derlei nicht mehr, sondern nur noch Einwohner.

Illustration

      Unsere Erziehung überließ er gänzlich unserer Mutter. Zu ihrem Geburtstag verfertigte er jeweils ein Gedicht. Und zeichnete eine Rose dazu, die aussah, als sei sie aus Meereswellen gefaltet. Meine beiden größeren Schwestern lächelten darüber und auch über das beigelegte Handtuch oder die billige Schürze; denn zu mehr reichte es nicht. Ich aber hätte das alles gern besser gekonnt.

      Nur einmal hab ich erlebt, daß ihn die Gelassenheit verließ.

      Da war Hein Wiggers da

      der Fliegenwirt, weithin bekannt und beliebt, rot ziegenbärtig, mein Taufpate, und meistens auch schweigsam. Ich hoffte immer, er werde beim Kartenspiel etwas von der Seefahrt erzählen, und saß stumm lauernd in der Ecke. Meine Mutter war mit von der Partie; denn es spielt sich besser zu dritt. Auch sie schwieg und legte die Karten nur leise hin, indes die Männer es nicht an hartem Knöchelschlag fehlen ließen. Viel mehr als ein: Du speelst ut! – Oder: Solo! – Oder: Trumpf! hörte man nicht. Aber plötzlich sagte mein Vater halblaut: Pik-As ... – Er blickte auf, das gezückte Kartenblatt in der Hand. Seine Augen öffneten sich starr, weißlich umrandet, so stachen sie, erschreckend anzusehen, fast schwarz in eine Unwahrscheinlichkeit. Sein Macker lachte grob: Pik-As, jo, bi dat Aas von Tünn ... Tein Doog un nix to freten, dat holl ut. Dree Doog keen Woter, und du warst mall. Djä, Marie, dor seten wi fast, un dat weiht tein Jacken, un de Brück un dat Kartenhuus wegfegt in de Brekers un de meisten mit. Un de noch dor wörn, Klüten un Ei, de hebt Soltwoter sopen, anner Woter harrn wi jo nich mehr un nix, un denn wörn se dann klöterig un jumpten aff ... – Wie wörn de letzten, fügte mein Vater ein mit geisterhafter Stimme, so klang es mir.

      Der Rotbart nickte: Un wenn Timm Pöppels nich mit sien oln Kutter sick ranwogt harr, denn seten wi nich hier, Marie. – Du speelst ut! – Ich saß atemlos geduckt und hätte gern Genaueres über die Strandung des mürben Frachters gehört.

      Mein Vater kehrte zu sich zurück und trank einen Schluck, sah nach mir hin und kaute: Un dee will na See! –

      Lot em doch! entgegnete der Wirt.

      Nee! knurrte mein Vater und hieb seine Karte auf den Tisch.

      Wieso denn nich? lachte Hein Wiggers.

      Dee is veel to wek! –

      Dat giwt sick. –

      Ick will di watt seggn, nee! –

      Meine Mutter ergänzte beklommen: So is dat! –

      Der Macker zückte einen Blick in meine Ecke, er hatte mich doch mit Seewasser taufen lassen: Na, min Söten, watt meenst du? –

      Doch nach See!

      stotterte ich.

      Da donnerte die Faust meines Vaters auf die Tischplatte, daß die drei Biergläser tanzten, und brüllte: Nee und nochmals nee und dormit basta! –

      Meiner Mutter quollen die Tränen hervor, und dann wurde weitergespielt.

      Seit den Tagen Babylons

      wird gern gefragt, unter welchem Stern jemand geboren ist. Schiebt man doch nach Bedarf gern geheimen Einflüssen zu, an Wegen und Irrwegen mitzuwirken. Sich vom Weltall gelenkt zu wissen, entlastet die eigne Verantwortung. Aber die Sterndeuterei ist leider noch fragwürdiger als das genaue Erkennen jener Himmelskörper, die zur Aufhellung von Schicksal und Charakter herangezogen werden.

      Die Astrologen berufen sich auf Gesetze aus tausendjähriger Überlieferung. Aber welche Gesetze wären nicht wandelbar? In der Praxis bedürfen diese Magier allerlei Angaben zur Person. Außerdem helfen ihnen Gedankenübertragung und Strahlungswertung. Handlinien und Ohrformen ergeben weitere Hinweise.

      Zudem ist immer ungewisser, wie sich der unaufhörliche Stemstrahlungsprall noch durch das dichter und dichter werdende Netz der Radio- und Reaktorwellen hindurchschlängeln soll, ohne beeinträchtigt zu werden. Die Gestirnspielerei behält dennoch ihre Reize und verhilft wie eh und je Schlaumeiern zur Beachtung über sonstige Leistungen hinaus und übertrifft das übliche Kartenlegen durch den Hauch höherer Sphären. Wie denn ein okkult sich gebender Spiegel zumeist doch schmeichelhafter ist als der überm Waschtisch.

      Anno 1928 veranlaßte ich den sternbewanderten Kollegen Ludwig Beil, die Mitglieder der »Hamburger Gruppe« – der Baumeister Fritz Höger, der Arzt Hans Much und der Schriftsteller Hans Henny Jahnn

Скачать книгу