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zu Bimbelim«. Seine Deutung über mich lautete:

      Horoskopisches Sonett, den Schriftsteller und Maler Hans Leip betreffend:

      Die Sonne in der Jungfrau steht

      sie hat mit Jupiter Trigon.

      Der Wirklichkeit lebendger Sohn,

      dem Glück durch Brust und Mantel weht.

      Neptun, der Phantasie Magnet –

      Der Sinne Stachel gibt Skorpion.

      Männlicher Mystik Direktion,

      darüber Mars im Aufruhr geht.

      Uran mit Venus konjugiert:

      Das gibt den kämpferisch Erregten,

      doch pflanzlich und mit Chlorophyll.

      Er jubiliert und spintisiert,

      ist einer von den Unentwegten,

      der sich gewollt, wie Gott ihn will.

      Ich bewundere, wie dieser witzige schwarzlockige Zeitgenosse und Liebchen-Verbraucher solch krause Vorgaben in so nette Reime hat schmieden können. Er hatte einen beachtlichen Roman seiner Jugend verfaßt, »Martin«, den der S. Fischer Verlag veröffentlichte, was ein Güteausweis war. Ludwig Beil entglitt dann ins Journalistische unter Hans W. Fischers Ägide. Als ich ihn nach Jahren wiedersah, war er Gerichtsberichterstatter in Frankfurt am Main. Dort hatte ich 1946 im Hochstift gelesen. Wir saßen danach bei dünnem Tee miteinander im Hause einer seiner immer noch zahlreichen Freundinnen, saßen unter Wolken wunderbarster Rosen aus deren Züchtung.

      Ergraut und müde zitierte er bekümmert den Schluß einer Kadenz meines Vortrages:

      Und eine Zeit

      fällt in die Hand der andern

      als wie ein Kleinod

      und ein Raub.

Illustration

      Unterdes einige der miteingeladenen Herren die Absatzmöglichkeiten und Verschiffungsaussichten gehorteter Wehrmachtsbestände erörterten, gedachten wir der zwanziger Jahre zwischen Jungfernstieg und Blankenese, die so arm und heiter, bedrückt und zukunftsfroh gewesen. Und plötzlich entsann er sich meines Horoskops und lächelte verkniffen: Hätte dir gern einige Finsternisse angehängt, offen gesagt ein bißchen dich beneidend um deine Bücher und Mädchen. Deine Mädchen sahen alle wie Heilige aus, und meine alle wie Huren. Das ist inzwischen seriöser geworden. Und bösartig wollte ich auch damals nicht sein. Vielleicht hat es alles sogar gestimmt. Dein Leitstern ist der Atair, der Schwebende im Sternbild des Adlers. Als du 1893 geboren wurdest, befand sich die Zeit sowieso in der Schwebe

      zwischen Romantik und Technik

      Ich stöbere nach: 1893: Fords erstes Auto. Diesels Ölmotor. Erste Antenne. Röntgenstrahlen schon fast entdeckt. Flugtechnik, Radioaktivität, Funk regen sich. Erster Film. Labour Party in England. Sozialdemokratie in Polen. Frauenstimmrecht auf Neuseeland. USA übernehmen Bau des Panamakanals von den Franzosen. Fridtjof Nansen segelte mit der »Fram« in die Arktis. Der deutsche Reichstag beschloß Verstärkung des Heeres. In Hamburg wurde die Literarische Gesellschaft eingeweiht. Von Hugo von Hofmannsthal erschien »Der Tor und der Tod«, von Tolstoj »Das Reich Gottes in uns«, von Beatrice Harraden »Ships that pass in the Night«, von Loti »Matelot«, von d’Annunzio »Odinavali«, von Rolland »Niobe«, von Engels »Entwicklung des Sozialismus«, von Korolenko »In schlechter Gesellschaft«, von Hamsun »Redakteur Lynge«. Schon liefen die ersten Rotationsmaschinen. Der sechzigjährige Johannes Brahms verliebte sich zum letztenmal (in die Liedersängerin Alice Barbi). Max Klinger widmete ihm einen Zyklus Radierungen. Richard Strauß dirigierte die Uraufführung von Humperdincks »Hänsel und Gretel«. Albert Langen aus Köln eröffnete in Paris einen Verlag und zog damit über Leipzig nach München, wo er dann die satirische Wochenschrift »Simplicissimus« gründete.

      Deren erster Jahrgang, 1896, wurde mein erstes Bilderbuch neben Schnorr von Carolsfelds »Bibel in Bildern«. Eine bezeichnende Mischung, die sich lebenslang bemerkbar machte. Als ich dann lesen konnte, entdeckte ich im Bodengerümpel mehrere Bände »Lesefrüchte auf dem Felde der Literatur«. Sie stammten womöglich aus dem Besitz Friedrich Hebbels und waren über Elise Lensing in Hamburg hängengeblieben.

      Nun wohlan! Alles Geschehen strahlt aus und wirkt unbewußt nach.

      Da waren wir schon in

      die Langereihe

      gezogen, erst in einen Keller gegenüber der Turnhalle.

      Meine Eltern betrieben dort einen kleinen Brotladen in noch vornehmer Gegend. Still nachschmeckend entsinne ich mich der Kuchendüfte. Aber die Wohnung sei – hörte ich später – feucht gewesen, und man war darum zur Erholung weiter längs auf die von Sonne bestrahlte Nordseite gleich so hoch wie möglich geflüchtet. Hausnummer 91. Das massive Gebäude hat die Bomben überdauert. Mit Vergnügen seh ich, es ist das einzige der Gegend mit einem griechischen Giebel. Und gleich darunter im 4. Stock haben wir gewohnt, runde sieben Jahre, glaube ich. Gegenüber lag ein Weinkeller mit einer Riesentraube überm Eingang, aus Metall natürlich. Als ich die erste echte zu Gesicht bekam, war ich über ihre Dürftigkeit enttäuscht, ahnte auch nicht, wie glücklich ich eines Tages sein würde, eigene Trauben von eigner Hauswand zu pflücken.

      Bevor ich die vier Treppen bewältigen konnte, horchte ich begierig in den

      Hinterhof

      in die Schlucht, wo zwischen grauen niedrigen, sonnenlosen Bauzeilen auf zumeist näßlichen Kopfsteinen Kinder im Kreis gingen und sangen. Als ich mich da drunten endlich beteiligen durfte, kannte ich die meisten Melodien schon auswendig. Weiß auch bis heute die Worte dazu, von: »Ringel rangel Rosen ...« biszu »Wer hat den Schlüssel zum Garten ...« und »Schlafe ein, du meine Rosa ...«, »Ting tang Töchterlein, wer sitzt in unserm Turm ...«, »Paul putzet seine Schuh ...«, »Gloria, gloria, sind vergangen sieben Jahr ...« Besonders gefielen mir Verse, die von zwei Gruppen des Chors dramatisch gesungen wurden: »Es trieb ein Schäfer seine Herde, Herde aus ...«, »Die fleißigen Waschweiber ...«, »Wo bist du denn gewesen, mein ziegender Bock ...«, »Adam ging und wollte sich erquicken«, »Trauer über Trauer, hab verloren meinen Ring«. Und auch »Die Meiersche Brücke, die ist so sehr zerbrochen ...«, wobei zum Schluß die schuldlosen Engel gewogen wurden auf vier zusammengefaßten Armen, die schuldigen Teufel aber dazwischen tüchtig gerüttelt, und das nach dem kaum im voraus abzuschätzenden Gutachten der Anführerin, meistens des größten der Mädchen. Knaben waren sowieso nur in Kleinformat zugelassen. Ich war sehr unglücklich, einmal ausnahmsweise

      unter die Teufel

      geraten zu sein. Das ging mir nach bis in Schulzeit und Kommiß, bis ich mir endlich den Leitsatz meines Vaters zu Herzen nahm. Ich bin erträglich damit gefahren.

Illustration

      Seltsam, alle jene Reigen lauteten hochdeutsch. Indes war die tägliche Sprache im Stadtteil St. Georg damals durchweg Plattdeutsch. Auch meine Eltern sprachen Hamburger Platt, das sich aus den unterschiedlichen Dialekten der umgebenden Landesteile gebildet hatte, gröblich, saftig und klangvoll.

      So auch im Hafen, wo daneben nur noch Englisch galt. Und da gab es noch Rahsegler und Galionsfiguren und Shanties. Zur Bastion Stintfang herüber und herauf vernahm man noch im Südwest das »Ick heff mol een Hamborger Veermaster sehn, to my hoday ...« und »Blow, boys, blow ...« beim Aufheißen der Segel. Das verband sich mit den vermutbaren Abenteuern meines Stiefonkels und den allgemein im Allerzonenduft und -dunst lauernden Süchten dieser von Ebbe und Flut und dem Abhauch des Golfstroms ruhelos benagten Welthafenstadt. Darin Engel und Teufel wie auf einem geheimen, unerforschlich getriebenen Tanzrad gleichermaßen gerüttelt und gewogen werden und sich zu halten suchen und zur Mitte streben, um nicht in die Weite oder ins Nichts geschnippt zu werden. Dennoch:

      Immer will ich dich preisen,

      grausilberne Vaterstadt,

      und

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