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mir blieb, hier und da eine Fahrt mitzumachen. Ich habe sogar eine » Segelanweisung für eine Freundin« verfaßt. Ermuntert dazu hat mich Rudolf G. Binding, Verfasser der »Reitvorschrift für eine Geliebte«. Es war in den dreißiger Jahren. Er hatte in der Musikhalle gelesen, und wir waren danach bei einem musischen Arzt zu Gast und saßen einem Bildnis Napoleon Bonapartes gegenüber. Da sagte der vormalige Husarenoffizier: Geritten wie gesegelt, wird immer irgendwo gelandet, und was heute ausgetrabt hat oder versunken scheint, hängt morgen in der guten Stube überm Vertiko. (Das zielte sicher auf Hitler.) Wer kann unsereinem verdenken, das möglichst freundlich aufzuzeichnen, was uns Vergnügen gemacht hat und so auch zu anderer Vergnügen dienlich sein kann? –

      Der joviale Hausherr, dick, blond und humorgewiegt, setzte hinzu:

      Horizont oder Kimm,

      Klamauk und Klimbim,

      immer gut in Trimm

      ist alles man halb so schlimm. Prosit! –

      Am Rande der See

      Ein geheilter Rose-Patient meines Vaters, Senator Roosen, saß im Kuratorium eines Erholungsheimes für Kinder, der Christian-Görne-Stiftung. Durch seine Vermittlung war ich dort viermal zur Behebung meiner großstädtischen Blässe, und das jeweils im Mai, außerhalb der Schulferien. Welch ein Vorzug! Meine Mutter überzeugte die Schulleitung jedesmal von der Notwendigkeit. Wie ich das Versäumte nachholte, sogar noch in der Seminarschule, bleibt mir ein Rätsel. Ich schlidderte mehr träumend als wachend immer eben mit durch.

      Im evangelischen Hamburg war man mit Luther gern einig, allein durch den Glauben selig zu werden. Das war billiger als die geforderten guten Werke der anderen Konfession. Immerhin setzte man dem Hauptbuch der Firma ein »Mit Gott!« vorauf. Aber ob der ungefragt ernannte stille Teilhaber mit allem einverstanden sein konnte, was darauf folgte, mochte manchmal als allzu vertrauensvoll gelten. Darum schien geraten, vom Überschuß, der über die hohe Kante zu schwappen drohte, gelegentlich ein Gelindes abzuschöpfen und es steuerfrei abzubuchen. Es diente zur Unterstützung oder gar Versorgung derer, die weniger fett im Geschäft der Kontinente ernteten. So denn entstanden Einrichtungen für Alte und Bedürftige. Und die

      Christian-Görne-Stiftung

      gehörte dazu. Sie lag als stattlicher Backsteinbau hinter Cuxhaven am Strand des Dorfes Duhnen.

      Gleich das erste Mal dort fühlte ich mich angeregt, ein vielgesungenes Wanderlied ins Lokale umzuformen. Mit zehn Jahren fällt es leicht; da kommt es nicht drauf an. Wir wurden von einem ältlichen Fräulein betreut, Emma Schweitzer, entfernt verwandt mit dem Urwaldarzt Albert Schweitzer, der damals noch als Theologe und Orgelmusiker unter der wachsenden deutschen und europäischen Bedrängnispolitik litt und erst 1913 nach Afrika auswich. Fräulein Emma, leicht säuerlich fromm, verstand nicht schlecht, uns zum Bemalen von Muscheln und zum Musizieren und Szenenspiel anzuregen. Dreißig Jahre später schickte sie mir ihre Tagebuchnotizen, darin sich auch Folgendes fand:

      30. Mai 1904

      »Den Abend brachten wir Frl. Eckolt

      ein Ständchen

      indem wir ein von einem unserer Knaben verfaßtes Gedicht sangen nach der Melodie ›Ein Ränzlein auf dem Rücken ...‹, das sehr niedlich von unserm Leben und Treiben hier handelt. Frl. E. war ganz gerührt und versprach den Knaben für den nächsten Abend einen Pudding nach Wunsch, was natürlich großen Jubel erregte. So ist hier alles auf gegenseitige Liebe gestimmt – möchte es immer so bleiben! –«

      Fräulein Eckolt war die Heimleiterin, schon füllig, betagt und sehr vornehm nasal sprechend. Nebenbei malte sie eindrucksvolle Seelandschaften in Öl, das hatte ich bald erspäht und bewundert. Der Geist Lichtwarks war bis in die steifen Villen Pöseldorfs gesäuselt und hatte zumal die sitzengebliebenen Töchter ermuntert, sich künstlerisch zu trösten. Hier war noch eine ausfüllende Betreuungstätigkeit hinzugekommen. Von Herzensgüte leuchtend, belohnte mich die ungemein Respekt einflößende Dame, die sich übrigens nicht scheute, gegen Unbotmäßige auch mal den

      Teppichklopfer zu zücken

      mit einem Sonderklacks Grießpudding und Himbeersoße.

      Die Ehrung geschah sogar in ihren eigenen Räumen, wo die Wände mit ihren Ölgemälden behängt waren und die Erklärungen dazu, etwa: Ablaufendes Watt – oder: Abenddämmerung bei Flaute – oder: Kutter bei aufkommender Westbrise, mir haften blieben. Und selten hat mir ein Honorar so gemundet wie dieses unversehens erste. Bezüglich solcher Anerkennung piepste den Abend ein Fips aus seiner Wolldecke hervor: Der kriegt noch wann ein Denkmal! –

      Alle lachten. Ich auch. O Jugend! O Einfalt! –

      Und draußen die berauschte Luft.

      Es schrillt

      und faucht

      über Ziegel und Sände

      von See her.

      Spricht eine Stimme

      den aufhorchenden Kleinen

      vom wachsenden Grimme

      irdischer Unzulänglichkeit?

      Ach, meilenweit

      sind sie schon davon, ausgebraucht

      in die Schachteln der Stuben geknufft,

      aus grenzenlosen Bereichen anderer gestillt,

      wo über leuchtenden Kieselsteinen

      Trauer und Weinen und Wind

      und Milch und Meer

      und die Jahreszeiten und Weltbrände

      und alle Gelächter selbstverständlich sind.

      Ich fädelte mich einigermaßen in die fremde Horde ein, spielte aber selten mit, las abseits und spähte umher, aß bedenkenlos, was vorgesetzt wurde, trottete mit zum Brockeswald, wo mittendrin ein weißer Perückenkopf ragte, der des Ratsherrn, nach dem das Gehölz hieß, so sagte das Aufsichtsfräulein, und er habe ein Buch geschrieben vom »Irdischen Vergnügen in Gott«. Das gefiel mir. Den Titel hab ich mir gemerkt, sozusagen als Devise.

      Auf dem Galgenberg, einer merkwürdigen Erhebung in der platten Landschaft, horchte ich vergebens nach grusligen Erläuterungen. Zu sehen war da weiter nichts, aber ich malte mir aus, was da vormals an Seeräuber-Hinrichtungen sich mochte ereignet haben. Sah auch im grau-jagenden Gewölk wilde Reiter kämpfen.

Illustration

      Beim Musizieren von Vater Mozarts Kindersinfonie blies ich die Kuckucksflöte. Aber all das wurde überdeckt vom Geprassel und Donnern der Brandung. Oft entwich ich dahin, stemmte mich gegen den Wind und gaffte verhext in die heranrollende Unendlichkeit. Was war dagegen das eingeschränkte Gedröhn und Gekeife des Hafens? Hier hatte es seinen Ursprung und seine Erfüllung. Aber hier begann auch ein unfaßbares Erschauern und Grauen, herübersickernd von dort, wo Himmel und Wasser fern, fern einander begegneten. Das Unsägliche begann und eine bedrängende Ehrfurcht. Luthers Frage im Katechismus: Was ist das? – Und die Antwort: Wir sollen Gott fürchten und lieben! – schwenkte für meinen Bedarf über in alles, was See und Seefahrt heißt, und in die würgende Süße der Ferne.

      Aber allzu begierig hatte ich die Schärfe der Luft in mich gesogen, die großstadtfremde Frische und salzige Kühle. Meine Mandeln meuterten. Mit Halsweh und Fieber mußte ich zu Bett. Und war allein in einem Zimmer abseits der riesigen Säle. Schön still war es hier und nichts als das Rauschen strandher. Ich glaubte, sterben zu müssen, und hatte nichts dagegen. Noch war ich fromm wie meine Mutter, auch gesänftigt vom Jenseits-Schimmer des Kindergottesdienstes beim apfelrunden Pastor Hoeck. Und die mich betreuende Diakonin sah sowieso wie ein Engel aus, der mich sicher ins Paradies geleiten würde. Natürlich war ich gleich in sie verliebt. Ihre Haube und Schleife wuchsen zu Flügeln. Unter ihren liebreichen Augen wandelte sich der gräßliche Duft essigsaurer Tonerde in Vanille und Zimt. Und ich genas.

      Da denn erbat ich ihren Bleistift, mit dem sie meine Fieberkurve aufgezeichnet hatte; das sah aus wie Berge und Täler oder

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