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war, und schrieb auf die Rückseite, so sauber ich konnte, als Überschrift:

      Der Jüngling zu Nain

      Den kannte ich von der Sonntagsschule her, über den hatte Pastor Hoeck ausgiebig berichtet. Nun fühlte ich wie jener Knabe mich gleichfalls auferweckt und faßte es ohne viel Federlesens in Vers und Reim.

      Die Schwester kam, das Blatt wegzuräumen, erblickte mein Machwerk, las, lächelte engelhaft und fragte: Woher hast du denn das? –

      Ich wußte nichts zu antworten, errötete wahrscheinlich, fühlte mich ertappt, etwas mir erlaubt zu haben, was mir nicht zustand, nämlich den medizinischen Zettel für meine Krähenfüße zu benutzen. Gern hätte ich das Gedicht mit nach Haus gebracht. Aber es entschwand. Und auch die Diakonin erschien nicht mehr. Ich hatte nun zu wandeln und mich wieder einzureihen. Dennoch blieb ein Hauch der Engelsstimme insgeheim in mir haften, als habe darin ein Glitz Erstaunen, ja, Zustimmung gesäuselt, hinreichend, für immer Trost und Ansporn zu sein.

      Bald darauf hieß es, die Goerner Knaben sollten ein Spalier bilden. Wieso und für wen? Eine Senatskommission war beauftragt, wie alljährlich den äußersten Außenposten Hamburgs, die Insel Neuwerk, zu besichtigen. Und wir sollten die Stadtväter ehrenvoll begrüßen. Zu dem Zwecke wurden wir in blaue Anzüge gesteckt, in solche, wie sie früher die Hamburger Waisenkinder getragen und sich auf den Goerner Speicherboden verlagert fanden. Und es gehörte ein flacher weißer Umlegekragen dazu nebst einer blauen Schlipsschleife. Ich sollte eigentlich nicht mit; ich sei vom Fieber noch zu schwach, aber schließlich hatten die »Fräuleins« Mitleid. Doch ergab sich, daß die blauen Schleifen alle schon vergeben waren. Ich mußte mich mit einer roten begnügen.

      Wir standen dann also aufmarschiert vorm Strandhotel, von wo aus die Herren auf hochrädrigen Wattwagen zur Ebbezeit übers dann freie Seegelände gen Neuwerk kutschieren wollten. Wir sangen »Stadt Hamburg an der Elbe Auen, wie bist du stattlich anzuschauen ...«. Die Herren ließen die Weile höflich halten, auch den Geringsten unter ihrer Verwaltung also Wohlwollen bekundend. Einer der Großmächtigen beugte sich aus seiner Hoheit von seinem Sitz herab, deutete belustigt auf mich, winkte mich heran und tippte lächelnd auf meine rote Schleife. Ist dein Vater in der Partei? fragte er leutselig.

      Ich wußte nicht, was er meinte. Da lud er mich ein mitzufahren. Und Fräulein Eckolt erlaubte es mit einem Knicks. Hü! Los ging’s vierspännig über das graugrün naß schimmernde Watt, über krachende Muschelbänke und durch spritzende Priele, und die Seeschwalben mit ihrem Kyriegeschrei begleiteten uns, weil einer der Herren zum Spaß ein paar Frühstücksbrocken in die Luft warf. So denn gelangte ich

      zum ersten Mal auf eine Insel

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      Wir wanderten dort deichlängs zwischen Schafen und Gänsen zu dem Leuchtturm, der mir dicker und höher schien als alles, was ich bisher gesehen. Einer der Herren hielt einen Vortrag. Man erfuhr, wie viele Jahrhunderte schon diese hansischen Ziegelmauern den Elementen und Ereignissen getrotzt. Unterdes sah ich einen schmächtigen knebelbärtigen Mann still über den kopfsteingepflasterten Turmhof gehen. Ich hätte wohl lieber eine der massigen Seeräubergestalten erblickt, die hier gehaust haben sollen. Der Freundliche, der mich eingeladen, hatte derlei gruselig geäußert. Nun hielt der vortragende Herr Syndikus ein wenig inne, als erwarte er zumindest einen Gruß von dem Vorbeigänger. Der aber schien unsere Versammlung überhaupt nicht zu bemerken. Und als nun jedermann dem Davongehenden wohl etwas erstaunt nachblickte, sagte jener Joviale, der mich mitgenommen, in den Kreis seiner Kollegen wie zur Entschuldigung:

      Es ist ein Dichter

      meine Herren, der hat Eigentümlicheres zu bedenken als die nüchterne Gegenwärtigkeit, und sei sie noch so hoch behördlich ...

      Und er nannte auch den Namen. Alle lächelten verzeihend und nahmen es nicht wichtig. Mir jedoch war es seltsam, daß ein Mann nicht nur Rainer, sondern auch Maria mit Vornamen heißen konnte. Und mehr noch, wie jemand vermocht habe, an einer so gewichtigen Vertretung von Regierungsmacht und Weltgeltung, der ich mich stolz eingefügt fand, achtlos vorüberzugehen. Eine unbehagliche Ehrfurcht wehte mich erstmals an vor dem, der sich leisten konnte, ohne Blick auf andre und wie im Traum ungestört seinen Weg zu schreiten. Er hat schöne Gedichte gemacht, sagte jemand. Sicher waren es Verse, die meine übertrafen. Gern hätte ich einiges davon gehört. Aber die lieben Damen, die uns zu Duhnen betreuten, kannten Rilke noch nicht.

      Als ich dann meinen eigenen Versen noch nachgrübelte, fiel mir eine andere und allererste scheinbare

      Engelsbegegnung

      nebst Verliebtheit ein, zwei Jahre zuvor auf dem Hamburger Dom, inmitten des gewaltigen Buden- und Rummelzaubers zu Weihnachten auf dem Heiligengeistfeld. Dom? – Tatsächlich besaß meine Vaterstadt bis 1805 einen großartigen mittelalterlichen Dom, der aber dem Erzstift zu Bremen gehörte und erst durch den Reichsdeputationshauptschluß, Aufhebung der geistlichen Fürstentümer, an Hamburg gefallen war. Schon lange nicht mehr hatte er kirchlichen Zwecken gedient, sondern Tischlern und Drechslern zur Werkstatt und auch für etlichen Jahrmarkt, besonders zu Weihnachten. Der Senat, die Kosten für eine Instandsetzung des ehrwürdigen Bauwerks scheuend, ließ es als »papistisches Überbleibsel« gnadenlos abreißen. Wertvolle Kunstschätze wurden verschleudert, zerteilt (wie der wundervolle Altar Meister Frankes) oder vernichtet, die Grabplatten in Siele verbaut, die Bibliotheksbestände dem Pöbel und der Müllabfuhr ausgeliefert. O schändliche Dummheit, schnöder Krämergeist!

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      Das einzige, was von all den mittelalterlichen Steinmetzarbeiten erhalten blieb, war eine der Törichten Jungfrauen vom Reigen des Lettners. Sie hat allen Grund, bitterlich zu weinen (im Museum für Hamburgische Geschichte).

      Die große Glocke Celsa des Meisters Geert van Wou 1487 wurde nach Altengamme verkauft. Von der leidvollen Madonna darauf besitze ich einen Bronzeabguß. Die Bezeichnung Dom erhielt sich für einen wochenlangen jährlichen adventlichen Hochbetrieb auf einer ehemaligen Exerziersweide des Bürgermilitärs, dem Heiligengeistfeld, Überbleibsel eines anderen Sakrilegiums, des Hospitalis sancti spiritus. Und besteht mit irdisch gewandeltem Spiritus noch immer im Juhu steigender Technik des Karussell- und Schaustellergewerbes. Als ich sieben war, ging es einfacher zu, doch für mich noch betörend genug. Und dort war es, was sich später in Verse faßte und in der »Hafenorgel« anfindet:

      Meine erste Liebe war

      eine Dame auf dem Dom,

      und sie kam wie jedes Jahr

      als das Schwebende Phantom ...

      Ein schwarzlockiger, schnurrbärtiger, hagerer Veranstalter in Frack und Zylinderhut ließ ein zartes Fräulein, das in langem lila Gewand auf einem Diwan ruhte, wie von seinen weiß behandschuhten Händen magisch gelenkt, waagerecht bis in Augenhöhe der Zuschauer emporschweben.

      ... und ein Reifen, den er frei

      über ihren Körper zog,

      war Beweis, wie echt es sei ...

      Ob sie wohl ein Engel war?

      Ich war gleich in sie verliebt.

      Mancher glaubt mit sieben Jahr,

      daß es wirklich Engel gibt ...

      Ich wartete dann hinter der Schaubude in der Hoffnung, die Wunderbare plötzlich zum Himmel aufsteigen zu sehen, wohin sie gehörte. Statt dessen kam sie mit einer Ölkanne heraus, diese in ihrem Wohnwagen neu zu füllen. Denn die Scharniere, so verriet sie mir, auf denen sie, mit dem langen Kleide sie verdeckend, ruhte, mußten tüchtig geölt werden, damit sie nicht verräterisch quietschten. Und gerührt von meiner Treuherzigkeit, die ihr nicht verborgen blieb, gab sie mir einen Kuß. Ich erschauerte, aber weniger vor Andacht, sondern weil sie nach saurem Rollmops schmeckte und eben nicht nach Nektar und Ambrosia. Da sie mich auch darin durchschaute, erklärte sie, sie dürfe fast nichts als Hering und Schnittlauch essen, sonst würde sie zu dick und das Gestänge könne sie nicht mehr heben.

      Erde ist der Augen Preis,

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