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und darum zurückhaltend. Und zumeist in einer Art Dämmerzustand. Das Kollegium nahm meine bescheiden bemühten Leistungen halb mißbilligend, halb gütig hin. Einmal sollte ich eine Klassenarbeit wegen »saumäßiger Pfote« zu Hause neu schreiben. Ich bat einen Chorgenossen, der inzwischen Kontorist und dessen Schrift wie gestochen war, es für mich zu bewerkstelligen. Seine Kalligraphie lieferte ich anderntags kaltnäsig ab. Der rotborstigkropfige, zwischen Säuseln und Bullern in sich fast weichmütige und hochgescheite Pauker, der Löwe genannt, nahm die Fälschung stumm zur Kenntnis und ließ mich von da an in Ruhe.

      Eine privat musische Nebenerscheinung im Seminar war der Verein Haydn. Ich hab da manchmal mitgefiedelt. Haydns Kompositionen waren verhältnismäßig leicht zu spielen. Man wagte sich auch an Mozart, leider nie an Telemann, dessen Noten damals noch schwer zu beschaffen waren.

      Aber in allem, was da Klang gewann, spukte mir das

      Rauschen von Brandung, Wind und Gischt

      Diese zwanglose Musikgesellschaft war eine Gründung der obersten Jahrgänge, brisant geleitet von dem Dirigenten Behncke. Dessen überragende Begabung und schwarzlockige Erscheinung schien großer Laufbahn gewiß. Seine Ergänzung war der nicht weniger begabte, aber unauffälligere Schusterssohn vom Nagelsweg

      Fritz Jöde

      Alles, was nicht Streicher war, vermochte er, zwischen Piano und Harmonium auf einem Drehstuhl kreiselnd, aus der Partitur hinzuzufügen. Es war immer neu erstaunlich. Schon als Chorjunge war ich mal in dieser illustren Vereinigung gewesen, als sie gemeinsam mit Georg Aleff auf Veranlassung Pastor Kapessers Schillers »Lied von der Glocke« zu Gehör brachte, in der Vertonung des sonst vergessenen gothaischen Hofkapellmeisters Andreas Romberg.

      Behncke – ich weiß seinen Vornamen leider nicht mehr, und alle, die es noch wissen könnten, sind ihm, der als Offizier im Ersten Weltkrieg fiel, irgendwann nachgefolgt. Auch Fritz Jöde, der als der bedeutendste Anreger der deutschen, ja internationalen Jugendmusik gilt und ein reiches Werk eigener Kompositionen und sachdienlicher Schriften hinterlassen hat. Meine Schwester Gretchen gehörte zu seinem Singekreis. Als aber einmal von Mendelssohns »Meeresstille und glückliche Fahrt« die Rede ging, würgte mich die »Seesucht« und drängte auf Erfüllung.

      Kalli Töge, mein Jahrgang, war gleich nach der Konfirmation zur See gegangen und schon Matrose, während ich im zweiten Sommer die Seminarbank drückte. Eben vor den großen Ferien traf ich ihn, wie er braungebrannt-drahtig einherschaukelte.

      Na, macht das Spaß? fragte ich.

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      Kannst ja mal probieren

      meinte er herablassend und zündete sich eine süßlich duftende Zigarette an.

      Ja, in den großen Ferien. –

      Ferien? Kenn ich gar nicht mehr. Schon morgen geht’s wieder raus. – Gern? –

      No! Aber demnächst bin ich Vollmatrose und dann Bootsmann. Da könnt ihr mich alle! –

      Wo kann ich anmustern

      fragte ich.

      Hast du drei Mark? –

      Wahrscheinlich. –

      Dann rutsch damit zu Tina Pösch. Altonaer Fischmarkt. –

      Nicht Eier-Cohrs? –

      Nee, der ist teurer und schwieriger. Und zieh dir drei Hemden an und doppelt Unterhosen! –

      Warum das? –

      Fischdampfer gehn mang die Eisberge. –

      Fischdampfer? Ich will lieber auf’n Windjammer. –

      Püh! Erstens sterben die aus. Zweitens nehmen die nur welche von der

      Seemannsschule. Und drittens bist du nicht rechtzeitig wieder auf deiner Büffelschippe. –

      Und wenn ich dabeibleib? –

      Kalli zog den Hosenriemen strammer, zuckte mit der linken Achsel und paffte: Viel Glück! –

      Klang das mitleidig? Ich hielt ihn am Ärmel: Wie hast denn du angefangen? –

      Mit hundert Emm und Grips. Tjüs! Hab ’ne Verabredung. Söte Deern. Auch noch nichts für dich. –

      Ich blickte ihm nach, wie er so senkrecht und sicher wiegenden Schritts entschwand.

      Anderntags weihte ich meine Schwester Gretchen ein. Diesmal wollte ich keine Kühe hüten bei ihrer Freundin hinter Schwarzenbek, sondern auf Fischfang fahren. Das dürfe sie aber nicht verraten. Und sie pumpte mir drei Mark.

      Ich also hin zu Tina Laßmichmal, wie sie auch genannt wurde. Eine resolute Alte, der nichts fremd war, ein Laternengesicht mit rötlichen Hängewangen und forschend, fast mütterlichem Ausdruck, der aber jäh wie ein Westwind auf Nord drehen konnte, mit Pupillen wie Eisnadeln und einem Tonfall, der dem eines Bootsmannsmaaten nicht nachstand. Ich nahte ihr erklärlich schüchtern und sammelte meinen Blick auf ihre goldene Brosche, die aus den drei Symbolen Glaube, Liebe, Hoffnung gebildet war, Kreuz, Herz und Anker. Und ich hielt ihr meinen Taler hin. Schweigend schob sie ihn zurück, sah mir schief zwischen die Ohren und flüsterte merkwürdig sanft und heiser: Hatte mal ein Küken wie dich, der konnte es auch nicht lassen, war schließlich sogar Käptn auf einem P-Liner. Und kam nicht wieder. –

      Das tut mir leid, stammelte ich.

      Ein gedrungener Mann trat herzu, eleganter gekleidet als die rauhen Gestalten, die an der Theke knobelten. Statt der üblichen Schiffermütze trug er einen weichen Panama.

      Na, haben wir einen, Frau Pösch? –

      Seine Stimme war hoch und singig, beinahe weinerlich.

      Er stach mit einem umwickelten Finger nach mir: Kannst du

      Kartoffeln schälen

      Und ob! –

      In diesem Augenblick meinte ich es zu können, da ich spürte, hier sei rascher Entschluß vonnöten.

      Die Wirtin drückte den Finger des Herrn sacht hinunter und sagte unlaut, aber hart: Wohrschau, Smutje, bi düssen lot din Poten in din egen Büx! Versteihst mi? –

      Der Smutje hob wehleidig zwei nußrundbraune Augen und äußerte: Liebwerteste Patronin aller Schiffahrt. Sie sollten mich doch genauer kennen als die üblen Gerüchte! –

      Tina Pösch lachte knittrig: Pedd di man nich opn Slips, Herr Loitzikow! –

      Dann streichelte sie rasch und scheu über mein Haar: Holl di fuchtig, Jung, lot di dat verleeden, un denn mok, dat du wedder no Hus kümmst! –

      Mir war unheimlich. Der Schiffskoch schob mich zum Ausgang: Wir fahren gleich. Ich nehm dich als Passenger mit, hab mich geschnitten, brauch Hilfe. Los denn! Ab mit Eile! –

      Mir war, als sollte ich stracks Richtung Reismühle abhaun. Aber der federnde Gang neben mir, die gewählte Sprechweise, die Zusage, mir’s leicht zu machen und daß wir bestimmt Pottwale zu sehen kriegten, hielten mich neben ihm. Und auf einmal waren wir hinter langen Fischhallen, an rasselnden Kränen und dem Betrieb von Laden und Löschen mehrerer großer Trawler vorbei. Der Koch schwenkte über eine Gangplanke auf ein weniger stattliches Deck. Es dämmerte schon, und gerade wurde die Positionslampe auf Steuerbord entzündet. Hoffnungsgrün. Das kannte ich von vielem Streifen am Hafen. Und schon rummelten die Maschinen, die Gangway wurde eingezogen, die Halteleinen losgeworfen. Wir waren schon in Fahrt, als mich Herr Loitzikow schnurstracks in die Kombüse gedrängt hatte. Ich merkte, wie jemand von der Brücke herunterpolterte und eine scharfe Stimme den Koch verhörte. Der aber redete sich rasch heraus: In Ordnung, Käptn, eigene Verantwortung, private Hilfskraft ohne Heuer und Anteil. – Es klang, als sei er der Küchenchef vom »Atlantik«.

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      Ein strenges, noch nicht altes Gesicht lugte rasch durch die Tür, eine straffe Marine-Erscheinung, nickte

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