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goldenen, grünen, apfelsinenfarbenen, gestreiften, gefleckten oder geflockten Flanken, ihre azurnen oder rubinfarbenen Augen, ihre rosig glitzernden Flossen, ihre fleischroten Kiemen, alles war wunderbar einzeln herausgemalt und gezeichnet, als wolle die der Verborgenheit entrissene

      luftfremde Schönheit

      prangend um Erbarmen flehen.

      Doch im Nu waren die Männer drüber her. Rutschend und fluchend stürzten sie sich mit gezücktem Messer in den wimmelnden Haufen großer und kleiner Fischleiber. In wenigen Minuten war alles von Blut überschmiert, Hände, Stiefel, die silbrige Beute. Das Gebrüll und Ächzen der Schlächter wurde fast vom Gebrüll und Ächzen der See, des Sturms und des Schiffes verschlungen, es wurde eins damit in entfesselter Mordgier, angehetzt durch die hilflose Notwehr der stummen Kreatur, deren Glitschigkeit, Stacheln und nadelspitze Zähne den roh zupackenden Händen im rollenden Schwell elend zu schaffen machten.

      Das alles nahm ich auf. Atemlos entsetzt und gefangen, verklammert um eine Windhuze, starrte ich in den Blutrausch.

      Nun sprang auch der Koch hinzu

      ohne Ölzeug, in seiner weißen Jacke und Schürze und in Pantoffeln, als handele es sich um Kuchenbacken, und begann wie ein Berserker zu wüten, im Augenblick blutüberfleckt wie ein Schlachthofmetzger. Er, den sie Babette nannten, der sonst so weich, so wehleidig, so betulich schien, warf sich gerade auf die größten der Fische und schlitzte ihnen, ohne sie erst zu kehlen, die Bäuche auf, riß ihnen die Eingeweide heraus, sortierte sie mit wirbelnden Fingern – ohne den noch immer verbundenen zu schonen – und warf die grüne Leber in ein bereitstehendes Faß. Es war Sonntag.

      Dorschleber! betonte er später: Darauf bin ich Spezialist. –

      Immer wieder durchgellte Feses Stimme den höllischen Aufruhr; er feuerte die Leute an, wie man Hunde anhetzt.

      Der Kapitän, über die Reling des Peildecks gepreßt, blickte gespannt in das Gemetzel. Die Leute, mit der Achselhöhle über eine der kreuz und quer gespannten Leinen geklemmt, wurden von einer Seite auf die andere geschüttelt. Brecher fegten herein und über sie hin. Aber sie ließen nicht nach. Sie waren auf Tempo, gepackt von uralter Wollust des Mordens, die nötig ist, das Fischkehlen bei schwerem Wetter zu bewältigen. Außerdem waren sie alle am Ertrag beteiligt.

      Schließlich, als der Orkan abflaute, mußte ich selber mit ran. Drunten im Lukenloch, wo die Fische, die übers Süll herunterprasselten, nach Sorte in Kisten zwischen Eis verpackt wurden. Schellfische erst, dann Lengfische, dann Rotzungen, dann Barsche, dann Kabeljau, dann Seelachs.

      Stacheln, Flossen, Schuppen, Zähne, die toten Geschöpfe der See bissen in meine erstarrenden Hände, bissen mir ins Herz. Und rächten sich mit Verwesungsdunst. Meine Lunge verkrampfte sich. Ich rang dagegen an. Ich wollte ein Kerl sein und mich in die brutale Besatzung klaglos einfügen. Wie in einer ungeheuerlichen Nebelschaukel versuchte ich, gezielt ins Erforderliche zu greifen.

      Von irgendwo heulte Feses Stimme:

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      Netz ist wieder draußen

      Und Heizer Kludas knatterte: Alles verstaut! Twee Stünn Tied. Hau di hen, Moos!

      Nach zweiundzwanzig Tagen landeten wir wieder an der Altonaer Pier. Die ergiebige Fracht wurde sofort gelöscht. Nichts als weg! dachte ich; nicht noch einmal Geschirr spülen müssen in dem Wasser, darin zuvor der Koch seine seidene Unterwäsche zu säubern pflegte, indem er mir bedeutete, frisch Wasser sei rar; man könne ihm nicht zumuten, es umgekehrt zu machen. Jetzt sah er mich traurig an: Hatte gehofft, endlich mit dem verrosteten Schloren abzusaufen, darum hatte ich dich heimlich Jonas getauft! Verdrück dich, eh es zu spät ist, und werd glücklich! –

      Sie auch! murmelte ich beklommen.

      Er winkte trübe ab.

      Ich wandte mich zur Gangplanke. Meine Füße begriffen noch nicht recht den unschwanken Boden; ich rutschte aus auf dem schmierigen Brett. Jemand fing mich auf:

      Hoppla, Bubi! –

      Der Kapitän höchstselber, schnittig in Blau und vergnügt. Einige Papiere in der Hand waren etwas zerknittert bei dem Zugriff. Er achtete es nicht und drehte sich zu seinem Steuermann, der mit einem Auge die Entladung überwachte, die aus dem Vorluk erfolgte, mit dem anderen das Einbunkern von Eis und Kohlen achtern. Ich geh eben ins Kontor, Fese. Bis Mitternacht alles klar! –

      Ay ay, Käptn, Klock twölf allns klor. –

      Ich stand noch da wie schlaftrunken.

      Gehn gleich wieder raus. Willst noch mal mit? fragte er im Davoneilen.

      Nicht gleich! – stotterte ich

      Da war er schon um die Ecke der Fischhalle. Schien aber was vergessen zu haben, kam zurück, holte etwas aus der Hosentasche, gab mir ein kleines Goldstück und lächelte: Anspruch hast ja nicht, aber anständig gehalten. – Und nun entschwand er wirklich.

      Die zehn Mark reichten für eine Hin- und Rückfahrkarte Schwarzenbek. Von dort zu Fuß erreichte ich den Bauernbetrieb, wo ich das Jahr zuvor geholfen. Die Freundin meiner Schwester meinte besorgt: Du hast wohl selbst in den Ferien zuviel studiert, so hohlwangig siehst du aus. –

      Und hast wohl nur Hering gegessen, das soll ja das Gehirn stärken, schnupperte Heinrich Stehr, ihr Mann: Nu sollst du dich aber die letzte Woche noch ein bißchen rausfuttern. –

      Zu Haus dann konnte ich den

      forschenden Augen meiner Mutter

      begegnen und bestätigen: Ja, ich hab wieder Kühe gehütet. –

      Aber den hunderttausend Ohren des Hafenbetriebs scheint nichts zu entgehen.

      Nach geraumer Zeit meinte mein Vater mal so im Vorbeischlurfen: Na, hest de Nees nu vull? –

      Ich schwieg betroffen. Er kam aber nie wieder darauf zurück.

      Eine Weile noch plagten mich nächtens scheußliche Visionen: Das grausige Plumpsklosett, obschon die meisten sich in Lee über Seite entleerten. Riesige Kakerlaken, Mief und Schmauch und Unflätigkeit im engen Mannschaftslogis (sprich Loggis), wo ich trotzdem in der engen, stinkigen Koje wie ein Toter schlief. Am bedrohlichsten jedoch der Goliathskloben von Bootsmann (hieß er nicht Piggel?). Der schlug sein Wasser ohne Umschweif in seine hohen Stiefel ab als Mittel gegen Frostbeulen. Gelegentlich, dem Nachschub Platz zu machen, goß er sie rücklings über seine Schulter aus und möglichst dorthin, wo ich mich gerade befand.

      Das ist alles, was ich mir von jenen Vorgängen heraufzaubern kann aus dem vagen Zwielicht der jungen Tage. Alles weitere ist fiebrig verwischt und durchflutet von ungestalt flüchtigen Schemen, die ich anderweitig nur mit angekurbelter Phantasie gestalten konnte. Ich denke aber, das Heraufbeschworene genügt, die Meinung meines Vaters bekräftigt zu finden, Seefahrt sei nicht das Richtige für mich.

      Mein Schattentheater hatte mich früh von einigem Spuk erlöst, durch Sichtbarmachung beschworen und gebannt. So ähnlich geschah es ohne viel Überlegung auch diesmal. Indem ich mich wieder den Büchern zuwandte, schuf ich mir mein

      erstes Exlibris

      Es war auch das erste Mal, daß ich ein Schnittmesser ansetzte. Mein erster Linolschnitt entstand, nur 7 mal 5 cm groß. Und was stellte er dar? Einen Fischdampfer.

      Alles Abgetane neigt zum Gegenteil. In den nächsten Sommerferien jedenfalls folgte ich dem Vorschlag zweier Klassenkameraden, zu denen ich sonst kaum Verbindung gefunden, mit auf Fahrt

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      gen Süden

      zu gehn. Wir durchstreiften Rhön und Spessart, Schwäbische Alb, Taubertal, Neckar, Schwarzwald, Odenwald, Bergstraße und Vogelsberg auf die damals beliebte Art des Zupfgeigenhansls. Und lernten dort jenseits des Mains das Idyllische kennen, das uns Küstenknaben bis dahin nie vors Gemüt gekommen war, das Malerische des Katholischen, die wunderliche Spanne, Spange

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