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stieg, turnvereins-behende und zielsicher, die beiden Treppen mit hinauf. Doch vor der Wohnungstür zögerte sie. Ich klingelte.

      Meine Mutter öffnete und sagte sanft: Kommen Sie gern herein! –

      Aber Liane drückte ihr den Strauß in beide Hände und enteilte.

      Meine Mutter neigte sich über die üppige Duftfülle, blickte dann zu mir auf undnickte: Noch sind es Rosen ... Bemüht lächelnd vollendete sie den Satz nicht. Sie wollte mir keine Dornen weissagen. Aber dann äußerte sie leise wie zu sich selbst: Sie hat kalte Augen. –

      War es das? Die übergroßen grauen, schwarz bewimperten, die mich von einem Karussellrappen herab blitzartig betört hatten? Und seitdem wie Polypententakeln an mir sogen? Die anfangs maßlos Geliebte und Liebende, sie ahnte, ich, der unreif Versponnene, begann, ihr zu entgleiten. In drei Jahren bist du pensionsberechtigt, sagte sie eisig: Dann wird geheiratet. Das hast du mir versprochen! –

      Wie mir dabei zumute war, spiegelt sich in ein paar Strophen, entstanden das Jahr zuvor auf einer einsamen Ostseefahrt:

      Schon sinken lilablaß geflacht

      der Ufer bunte Würfelbecher,

      schon trink ich Meerwind, ein gelaunter Zecher,

      mein Blut erschallt, mein Ferntraum ist erwacht.

      O Traum von Ferne, wo die Palmen pfeilern

      bei Zelten, weiß an Halden aufgestaut,

      von unerhörter Sonne steil umblaut,

      in Nacht gepfercht, wo grell die Dünste meilern.

      O Traum von Ferne, wo die Wüsten schauern,

      verknirscht der Fuß dem Sande angezäumt,

      das Blut in Fremdheit einsam sich verschäumt,

      in weiter Welt eng in des Körpers Mauern.

      O Traum von Ferne, wilder Tage Traum,

      o Manneskampf mit blitzenden Gefahren,

      o Jagd und Faustrecht nach dem Wunderbaren,

      o aufgeschleudert Herz! O ungeheurer Raum!

      O Traum von Ferne, ungehemmte Fahrt!

      Verwettert und gebrannt in scharfen Falten,

      verfemt, ruhlos, in hunderten Gestalten,

      vergottet und verludert. Irgendwo verscharrt.

      Die Wolken reigen, wie wenn Gott befiehlt.

      Es taumeln ihre Farbenschmetterlinge

      den Wellen zugespielt in gleitend ewigem Ringe.

      So bin ich dir, o Ferne, zugespielt.

      Das eisige Fischdampfererlebnis war umgeschlagen in die uralt nordische Sehnsucht nach Sonne und rücksichtsloser Entfaltung, terroristisch überheblich bis zur Selbstzerfetzung. Ungegoren romantisch, nicht wahr? Oder auch vorahnend die einsetzende allgemeine Zerrüttung der Welt?

      Inzwischen war Krieg

      Mein Gestellungsbefehl schob weitere Erörterungen hinaus. Als Bürger meiner Vaterstadt hätte ich im Infanterie-Regiment 76 einrücken können, hütete mich aber, der Vorsehung den Weg zu verlegen, und folgte der Einberufung zur Garde nach Berlin. Hoffte zudem, im Strahlungsbereich des Generaldirektors der dortigen Museen und Galerien, Exzellenz Wilhelm v. Bode, wenn nicht dem guten Menschsein, so doch dem Künstlerischen näher zu rücken, obschon beides in einem Feldzug kaum Platz hat. Lichtwark war im Januar verstorben. Hamburg war ärmer ohne ihn. Ich kannte die Reichshauptstadt noch nicht. War sie auch nicht die ganze weite Welt, so doch ein Zipfel davon.

      Kommiß

      das galt in Hamburg noch weniger als das, was Kunst heißt. Senator, Konsul, Kapitän, das waren Titel, die jeden militärischen Rang weit hinter sich ließen. Der Geist von Potsdam machte halt vor unserem geschlossenen Wappentor und spukte draußen als Popanz und Gespenst. Kriege, das waren doch nichts als piratische Greuel, an denen zu verdienen man keineswegs abgeneigt war, nüchtern das Risiko bedenkend.

      Wohl hatten wir Jungs (bis 1914) jeden 2. September unsere Ehrenpforten gebaut, einen Sandhaufen mit eingesteckten Pappsoldaten, und Pfennige zusammengebettelt für ein Feuerwerk zu Unehren eines bei Sedan gefangenen französischen Kaisers. Kindlich glorreiches Schlachtenkrach-Echo. In der Schule hatten wir entsprechende Lieder gelernt: »Der Hauptmann, er lebe/ er geht uns kühn voran/ Wir folgen ihm mutig/ auf blutger Siegesbahn ...« Oder: »Drei Kolonnen Fußvolk, vier Batterien, wir haben sie niedergeritten ...« Oder: »Wie Grummet sah ich unsre Leute/ der Türken Glieder mähn ...« Oder: »Kein schönrer Tod ist in der Welt/ als wer vorm Feind erschlagen ...« Und, zur Unterbindung jeglichen Disziplinvergehens, Chamissos »Es geht bei gedämpftem Trommelklang ...«

      Solche frühen Anregungen zu einem mörderischen Heldentum nahm man als Knabe hin, ohne viel dabei zu denken. Ihre Nachwirkungen erleichterten manchem das erzwungene, das gesetzliche Soldatseinmüssen, für das die Kirche und ihre Feldprediger auch noch den Segen hergaben. Als im Spanischen Bürgerkrieg der jüngere Bruder des Cellisten Casals eingezogen werden sollte, verhalf ihm die Mutter zur Flucht über die Grenze. Und sie sagte: Ich hab meinen Sohn nicht zur Welt gebracht, damit er zum Mörder werde oder selber auf scheußlichste Weise ermordet wird. –

      Europa hatte lange Ruhe gehabt, und die Regierungen hatten Unmengen des Volksvermögens in Thronglanz, Kolonienschröpfung, Prahlerei und Regierungsangst in Kasernen, Armeen, Schlachtflotten und Aufrüstungen vergeudet, nicht ohne die Pläne auszuarbeiten für etwaigen Ernstfall. Alles Gelernte drängt zur Anwendung, so auch der gelernte Massenmord. Militär bedeutet lauernde Tragik. Das allgemeine Wettrüsten deutet auf Weltuntergang. Wenn auch teilweise kärglich, hatte doch jeder Arbeitswillige zwischen Nordkap und Gibraltar sein Brot gehabt. Die lauter werdende Forderung nach Gleichheit des Lebensstandards dämpfte sich nun eine Weile in der Gleichheit des Massengrabes.

Illustration

      O schöner Soldatentod

      sang schon im voraus der ehemüde Hermann Löns. Es war auf Südwest-Afrika gemünzt, für dessen Schutztruppe er als untauglich zurückgewiesen war. Es ging ja nun auch näherbei.

      Wir sangen es gerührt mit, noch besonnt vom Heldentalmi des Spiels mit Bleidragonern und zierlichen Kanonen, die, wenn’s hoch kam, mit Erbsen schossen. Wie sollten wir ahnen, was dahintersteckte an Qual, Elend und Scheußlichkeit.

      Die Menschheit war von patriotischem Haber gestochen, der so gern die Form von Geschossen und Granat- und Bombensplittern annimmt.

      Hurra denn! Hurra! Und Marschmusik in allen Lüften.

      Aber dem

      Haßgesang gegen England

      des rührigen Ernst Lissauer vermochte ich nicht beizustimmen. Zwischen Elbe und Alster lag uns das von Fontane angekreidete Kattun-Christentum der Vettern jenseits der Nordsee wesentlich näher als den Spree-Athenern. Bestürzend aber wirkte auf mich die eben erschienene Vision des heimischen Schulmeisters Lamzsus, »Das Menschenschlachthaus«, unparteiischer geeignet, das hereingebrochene Unheil zu kennzeichnen. Meine Phantasie zögerte nicht, sich dem anzuschließen. Zugleich aber wuchs mein Entschluß, der Sachlage nicht auszuweichen, sondern sie als Vorwurf anzusehen, sie zu betrachten wie der Maler sein Objekt, als etwas im doppelten Sinne Vorgeworfenes, es zu bewältigen, zu widerlegen und darzustellen. Laß werden, was will, sagte ich mir: Du bist Betrachter und enthältst dich des lauten Urteils. – Sicher aber kannst du dem Vaterland lebendig besser dienen als durch Metzelei oder als Krüppel oder tot.

      Es ist leichter, brav zu sterben, als wertvoll zu leben.

      Indes ein Drückeberger wollte ich auch nicht sein. So denn überließ ich mich dem Kurs des Schicksals.

      In Berlin wurde ich dem Ersten Gardegrenadier-Regiment zugeteilt, den wegen ihrer weißen Beschläge so genannten Mehlsäcken. Die Garnison in Potsdam lag mir zu weit ab der ersehnten Galerien, und ich hatte

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