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Das Tanzrad oder Die Lust und Mühe eines Daseins. Hans Leip
Читать онлайн.Название Das Tanzrad oder Die Lust und Mühe eines Daseins
Год выпуска 0
isbn 9788711467145
Автор произведения Hans Leip
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Schalli, als könne er Gedanken lesen, ergänzte: Das eventuelle Massengrab. –
Da schwieg selbst Fifi und wandte sich zur Küche.
Ein andermal sahen wir uns noch auf jener Bude, die Schalli mit seinem Ostfriesen Pridath innehatte. In Gesellschaft weiterer Mädchen. Marleen saß unbeteiligt im eifrigen Geplänkel. Plötzlich versagte die Gasbeleuchtung. Man suchte nach Groschen für den Stundenautomaten, der sich im Keller befand. Alle, bis auf uns beide, stürmten hinunter, wollten auch frisches Bier holen oder so was.
Marleen schluchzte an meiner Schulter, untröstlich, unansprechbar. Wir gingen betrübt von dannen, eh es wieder hell wurde. An der Bushaltestelle sagte sie gefaßt: Ade solange! – Und fügte jäh heiter auflachend hinzu: Nein, nein, keine Sorge! Leb wohl! Die blasen gleich Zapfenstreich. –
Ich konnte sie nicht begleiten. Denn auch die nicht Kasernierten mußten um zehn Uhr abends die Straße räumen. Ich stand im Drill und hatte tatsächlich den Ehrgeiz, nach soviel Schinderei die niedersten metallischen Achselstücke zu gewinnen. Ade solange?
Schon
anderntags
standen die Kursusteilnehmer zu feldmarschmäßigem Appell angetreten, an die vierzig Mann, Studenten, Kandidaten aller Sparten und Fakultäten in tadelfreier Linie zu einem Gliede. Der Etatmäßige, füllig wie eine Dranktonne und an der unteren Grenze des Gardemaßes, nahm stramm Erläuterungen einer abseits lauernden Inspektionsgruppe entgegen, uneingeschüchtert durch die hohen Ränge, deren Mäntel hell waren wie die dem Volke verheißene Zukunft. Die silbrig blitzenden, überlangen Helmspitzen stachen wie Blitzableiter ins Weltgewitter und ritzten doch nur den grauen Zenit und unsere Besorgnis.
Endlich löste sich der Spieß. Zügig wie auf Trommelstöcken schnüffelte er unsere Reihe entlang. Die suchen einen Dummen, zischte neben mir Klaas Deterts durch die Zähne. Da kam der Depot-Gewaltige zurück und schmetterte: Flügelmann, vortreten! –
Ich bin’s zwar nicht gewesen, sagte ich mir, aber der Bibelspruch: Wer denn hat größere Liebe, als daß er sein Leben lasse für seine Freunde ... durfte auch auf dem Schindanger des Exerzierreglements gelten.
Weiter unten im Gliede ward noch jemandem befohlen, drei Schritt ins Ungewisse zu tun. Auch dort mochte geflüstert worden sein. Dann trommelte der Dicke sich dicht zu mir heran, blickte mich starr an und knatterte: Ihr Vater? –
Schauermann, Herr Feldwebel! antwortete ich mit dem berechtigten Stolz meiner Welthafen-Herkunft.
Er zuckte seine von Silberlitze eingerahmte doppelt beknopfte Achselklappe und stöckelte zu dem anderen Vorgeprellten, einem fast mädchenhaft hübschen angehenden Juristen. Wir hörten den beklommen erwidern: Fabrikbesitzer, Herr Feldwebel. –
Die hohe Kommission beriet sich mit abschätzenden Seitenblicken. Dann wurde mir bedeutet, mich ins Glied zurückzuscheren. Dem andern aber, mit seinen Sachen ins Lager Döberitz abzuschwirren, zur umgehenden Erklimmung der untersten Offiziersstufe, also ohne vorhergehende Feldbewährung.
Er kam sehr bald an die Ostfront, ein Leutnant wie aus dem Modeheft, und fiel beim ersten Sturmangriff. So erzählte mir Schalli später. Und erzählte auch, daß nun endlich das noch 1870/71 übliche säbelgezückte Vorneweg der Zug- und Kompanieführer nicht mehr statthaft sei. Zu viele Offiziere waren auf diese Weise ausgeschieden als beliebtestes Ziel des Feindes oder, wenn bei den Leuten verhaßt, von hinten abserviert.
Uns aber war damals noch eine zufällige Gnadenfrist gegönnt. Es fehlte an Transportraum. Klaas griente: Noch einmal aufgespart. Hätte Lust, stante pede zu den Sozis abzuhaun, linker Flügel Liebknecht! –
Das war eine Redensart wie manches. Wir von der Wasserkante wünschten nichts als unsere persönliche Freiheit. Kommiß oder Partei? Uniform war beides. Eines genügte.
Die Nacht hatte ich Wache
vom 3. auf den 4. April 1915 am Seiteneingang der Kaserne, Kessel-Straße, wo auch das Kasino lag. Und man gewöhnlich aus dem Präsentieren der Knarre nicht herauskam. Jetzt aber wurde hinter den erleuchteten Fenstern Abschiedsmahl gefeiert. Ab und an erbebten die Scheiben von zündenden Trinksprüchen und Hippras. Mir war nicht danach. Denn als ich pünktlich die Stolzenbergsche Wohnung verlassen hatte, war ich im Treppenhaus auf Betty-Lili gestoßen. Sie wollte wohl hinauf zu Klaas. Jäh aber umhalste sie mich, küßte mich und flüsterte: Bleib hier! Bleib hier! – Und war entwetzt.
Da stand ich nun, mit dem Schießeisen locker über. Um mich herum lauer April, regenfeucht. Von der Chausseestraße her dunsteten Autobus und Siel, vom Invalidenpark keimfrohes Erdreich und aufbrechendes Buschwerk. Der näßliche Bürgersteig spiegelte den Schein einer Laterne. Goldenes Vlies, dachte ich: Wo bleibst du, sagenhafte Helle, darauf mit mir ins ewige Vergessen zu flüchten? – Und ich sagte Marleen und dachte an Lili und sagte Lili und dachte Marleen. Und vergaß fast die Achtungsbezeigung, als der Morgenspieß heraustrat. Leutselig stach er einen Wurstfinger gegen meine sich vorschriftsmäßig wölbende Brust und gackerte: Männeken, bin ooch nur aus janz eenfache Vahältnisse, vastehn Se? –
In diesem Augenblick ging Marleen vorüber, auf ihrem Weg zum Nachtdienst. Sie spähte zu mir hin, verhielt den für ihre Statur so zieren Schritt und kam dann nahe herzu. Ihre Augen irrten wie an einer Klippe entlang, weit weg, ohne meinen Vorgesetzten zu beachten, der genüßlich wartete, meine eingefuchste Haltung eigenmächtig entspannt zu sehen.
Den Gefallen tat ich ihm nicht. Ich sog begierig Marleens fast tonlose Stimme ein. Was war es denn? Sagte sie dasselbe, was da ein paar Tage zuvor mit dem abrasselnden Bus verweht war? Ade solange? –
Schon tipptappte sie auf ihren hohen Absätzen über das Laternen-Vlies davon.
Der Spieß zwinkerte mir zu wie ein Nilpferd, das einen Apfelbaum begutachtet.
Prinzessin Schwanenweiß
knäckelte er. Und ohne Überleitung: Saan Se mal, watt is Schauermann eejentlich fürn Jewerbe? –
Löscht Schiffe, Herr Feldwebel. –
Dacht ick mir doch, nickte er: Wissen Se, Feuerwehr, det is nich satisfraktionsfähig, vaschtanden? –
Jawoll, Herr Feldwebel! – Krachend schlugen meine eisenbeschlagenen Hacken zusammen. Und er entstöckelte mit fast kameradschaftlichem Gruß dem nächtlichen Rumor Berlins entgegen. Ich hatte ihn mal beim Bajonettieren, in das er schwadronierend eingegriffen, weidlich in die Enge getrieben. Sein Groll darüber war sichtlich verraucht. Prinzessin Schwanenweiß... Vielleicht war der Titel des Strindbergschen Märchenspiels von einer Litfaßsäule in sein sonst strikt unmusisches Gemüt geträufelt. Nicht mal ich war darauf gekommen.
Wie beglimmert starrte ich auf die golden sickernden schmalen Fußstapfen in der
Laternenspiegelung
Ade solange! – So lange! Wie lange? –
Mich überrann eine dumpfe Todesahnung. Und stieg mir in die Gurgel. Verdimmichte Beulenpest! In solchen Fällen neigt man zu Galgenhumor oder zur Ergebung in höheren Schutz und Willen.
Dazwischen aber liegt eine dritte Notwehr, die sogar den Moritaten des Bänkelsangs das Grausige nimmt, die das Erwürgende bannt und das Zerstörende verkleidet in Form und Klang: das Schöpferische.
Es erleichterte sich mir zu Gesumme im Gleichmaß der Schritte, die ich zwischen den grauen Torpfosten hin und her pendelte. Der von Kindheit geläufige Singsang rankte sich um die beiden Namen, die mir zugeflogen waren hier in der Fremde Berlins, und als sei daran mein Halt und Talisman. Sie verschmolzen in eins und wurden fast gestaltlos zu einer einzigen Lust und Bedrängnis, liebreich neugeboren zu einer vereinten Erscheinung, nicht Lili, nicht Marleen, sondern Lili Marleen.
Da schwand vor mir der ganze Wust aus Verängstigung und Bängnis. Mir wurde bewußt, ich lebte noch und vermochte nachzuschmecken, was mir so freundlich gespendet worden war. Als seien das die rechten Lockspitzel