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wurde tatsächlich ein bißchen verlegen. Voller Innigkeit drückte er zuerst Gerdas, dann Ferdinands Hand.

      »Wir haben zusammen einen langen Weg zurückgelegt«, meinte er. »Und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, daß ich Ihnen zu diesen drei gesunden Babys verhelfen konnte.«

      *

      Seit Wochen betrachtete Mathilde Birkert mit wachsendem Staunen die Veränderung ihrer Tochter.

      »Sie haben an Svenja ein Wunder vollbracht«, erklärte sie, als sie Dr. Daniel in der Eingangshalle der Waldsee-Klinik begegnete. »Ich erkenne sie kaum wieder. Fast zwölf Jahre lang ist sie immer depressiver geworden, aber jetzt… gestern hat sie sogar wieder gelacht.«

      »Diesen Dank verdiene ich nicht«, entgegnete Dr. Daniel bescheiden. »Er gebührt eigentlich Herrn Brunner, dem Krankengymnasten, der Ihre Tochter betreut.«

      »Raimund.« Mathilde Birkert nickte. »Wir haben uns schon kennengelernt. Er ist ein… wie soll ich sagen? Ein sehr resoluter Mensch, und es wundert mich ein wenig, daß Svenja ihn mag.«

      »Das liegt wohl daran, daß es zwischen Herrn Brunner und Ihrer Tochter eine Gemeinsamkeit gibt: Sie lieben beide das Ballett.«

      Mathilde Birkerts Gesicht wurde wieder sehr ernst. Dar-über wollte sie seit dem schrecklichen Unfall mit niemandem mehr sprechen.

      Inzwischen hatten sie Svenjas Zimmer erreicht und traten nach kurzem Anklopfen ein. Die junge Frau wandte den Kopf zur Tür, dann huschte ein Strahlen über ihr Gesicht.

      »Mama! Herr Doktor!« Sie stand auf und kam ihnen entgegen, umarmte ihre Mutter und reichte Dr. Daniel die Hand. »Ich freue mich, daß Sie mich noch mal besuchen, bevor ich entlassen werde.«

      »Dr. Metzler hat mir gestern schon gesagt, daß ein längerer Aufenthalt in der Waldsee-Klinik nicht mehr gerechtfertigt wäre«, erklärte Dr. Daniel. »Das kann ich selbst nur bestätigen. Sie haben in den vergangenen Wochen große Fortschritte gemacht und das nicht nur in körperlicher Hinsicht.«

      Svenja nickte glücklich. »Ich hatte keine Erstickungsanfälle mehr, und die Schmerzen in meinem Fußgelenk sind auch endlich weg. Ich fühle mich wie neugeboren.«

      »Das freut mich zu hören«, meinte Dr. Daniel, dann betrachtete er Svenja prüfend. »Was ist denn mit Ihrem Herzrasen?«

      »Auch das ist weg.« Sie errötete ein wenig. »Nun ja, nicht immer, aber… ich fühlte mich nicht krank deswegen.«

      Dr. Daniel schmunzelte. »Ich nehme an, dieses heftige Herzklopfen tritt nur noch in ganz bestimmten Situationen auf.«

      Svenja nickte, dann wurde sie plötzlich traurig. »Raimund war seit fast zwei Wochen nicht mehr bei mir.«

      »Die Krankengymnastik ist nicht mehr nötig«, erläuterte Dr. Daniel. »Jedenfalls aus medizinischer Sicht.«

      »Das heißt, ich werde ihn nicht mehr sehen, bevor ich die Klinik verlasse.«

      Dr. Daniel hörte den traurigen Unterton sofort heraus, und im Grunde erstaunte es ihn, daß sich Raimund Brunner zu keinem Besuch bei Svenja entschlossen hatte, auch wenn er als Krankengymnast nicht mehr gebraucht wurde. Irgendwie hatte Dr. Daniel damit gerechnet, daß sich zwischen den beiden jungen Menschen etwas anbahnen würde. Sie waren so oft zusammengewesen und hatten offenbar über vieles gesprochen. Sein jetziges Fernbleiben paßte eigentlich nicht zu dem beinahe schon innigen Verhältnis, das sie zuvor verbunden hatte.

      »Ich muß sowieso noch mit Herrn Brunner telefonieren«, erzählte Dr. Daniel. »Bei dieser Gelegenheit kann ich ihm dann sagen, daß Sie sich noch von ihm verabschieden möchten, bevor Sie nach Hause zurückkehren.«

      Ein Lächeln huschte über Svenjas Gesicht. »Das wäre sehr nett von Ihnen, Herr Doktor.« Sie zuckte die Schultern. »Ich würde ihn ja selbst anrufen, aber leider weiß ich nicht, wo ich ihn erreichen könnte. Wenn er hier war, haben wir meistens nur über mich gesprochen. Über ihn weiß ich eigentlich gar nichts.«

      »Ich denke, das wird sich ändern lassen«, meinte Dr. Daniel, dann ließ er Mutter und Tochter allein und machte sich auf den Weg zu seiner Praxis. Bis zum Beginn der Nachmittagssprechstunde hatte er noch ein bißchen Zeit, und die nutzte er, um Raimund Brunner anzurufen.

      »Daniel«, gab er sich zu erkennen. »Ich habe gute Nachrichten für Sie. Frau Rauh wurde vor fast zwei Wochen von Drillingen entbunden.« Er schwieg kurz. »Eigentlich hätte ich Sie gleich anrufen sollen, aber ich wollte abwarten, bis alle drei Babys wirklich über den Berg sind.«

      »Gab es denn Probleme?« wollte Raimund wissen.

      »Sie kamen drei Wochen zu früh, und überdies war der kleine Junge ein bißchen schwach im Vergleich zu seinen beiden Schwestern, aber inzwischen hat er für seine Verhältnisse schon ganz gewaltig aufgeholt.« Dr. Daniel lächelte. »Es sind drei gesunde, kräftige Kinder, auch wenn sie im Moment noch ein bißchen kleiner sind als andere Neugeborene.«

      »Das freut mich ganz besonders. Es wäre für Frau Rauh schrecklich gewesen, eines der Babys zu verlieren«, erwiderte Raimund, doch Dr. Daniel hörte sogar durchs Telefon, daß ihn etwas anderes noch mehr beschäftigte.

      »Frau Birkert wird morgen aus der Klinik entlassen«, betonte Dr. Daniel, weil er genau wußte, wo Raimunds Gedanken waren. »Sie würde sich vorher gern noch von Ihnen verabschieden.« Er schwieg kurz. »Im übrigen war sie ein wenig erstaunt darüber, daß Sie sich nicht mehr bei ihr haben blicken lassen.«

      »Ihrem Fuß ging es gut, die Krankengymnastik war nicht mehr nötig«, behauptete Raimund, doch seine Stimme klang dabei nicht so sicher wie sonst. Er zögerte. »Wenn sie entlassen wird… grüßen Sie sie bitte von mir. Ich selbst habe leider keine Zeit, um nach Steinhausen zu kommen.«

      »Wie Sie meinen.« Dr. Daniel schwieg einen Moment. »Frau Birkert wird aber ziemlich enttäuscht sein.«

      »Daran kann ich nichts ändern«, entgegnete Raimund, verabschiedete sich knapp und legte auf.

      Dr. Daniel schmunzelte. »Mein lieber Mann, den hat’s ja ganz gewaltig erwischt.«

      Er konnte sich denken, weshalb Raimund der Klinik ferngeblieben war, und weshalb er nun auch den Abschied von Svenja scheute. Vermutlich hatte er Angst, seine Gefühle könnten nicht erwidert werden, und wollte sich weitere Schmerzen, denen er durch ein erneutes Wiedersehen mit ihr ausgesetzt sein würde, ersparen.

      »Wenn diese jungen Männer doch nur ein einziges Mal die Augen aufmachen würden«, murmelte Dr. Daniel kopfschüttelnd. »Das sieht doch ein Blinder, wie sehr sie ihn liebt.«

      Und dann kam ihm plötzlich eine Idee, wie er in diesem Fall vermitteln könnte.

      *

      Der Koffer war gepackt. Svenja sah sich in dem Zimmer um, das sie so viele Wochen bewohnt und in dem sie ihr Leben wiedergefunden hatte. Der Gedanke ans Ballett schmerzte noch immer ein wenig, doch Svenja war entschlossen, ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben. Jetzt, da ihr Fußgelenk nicht mehr schmerzte, gab es vielleicht die Möglichkeit, in einer Ballettschule zu arbeiten, um anderen Mädchen das weiterzugeben, was sie einst gelernt hatte. Dieser Gedanke verlieh ihr Auftrieb, doch er konnte den ziehenden Schmerz in ihrem Herzen nicht beseitigen.

      »So, Frau Birkert, nun sagen Sie uns also Lebewohl.«

      Svenja drehte sich um und lächelte, als sie Dr. Daniel erblickte.

      »Nein, Herr Doktor, ein Abschied für immer wird es sicher nicht. Ich komme wieder, aber dann nur zu Besuch.«

      »Das hoffe ich«, betonte Dr. Daniel. »Als Patientin möchte ich Sie hier auch nicht mehr haben, es sei denn…« Er schmunzelte. »Nun ja, auf der Gynäkologie habe ich sehr oft auch glückliche Patientinnen.«

      Svenja lächelte ebenfalls. »Ich verstehe schon, was Sie meinen, aber ich kann nicht garantieren, daß ich jemals ein Baby bekommen werde. Wünschen würde ich es mir allerdings schon.« Ihr Gesicht wurde ernst. »Raimund war nicht mehr hier, oder… konnten Sie ihn nicht erreichen? Weiß er vielleicht gar nicht,

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