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wich seinem Blick aus. »Es ist mir vollkommen egal, ob es steif wird oder nicht. Ich betrachte diesen Fuß nur noch als ein lästiges Anhängsel… er ist mir mehr als zuwider.«

      »Weil er deine Karriere beendet hat?«

      Svenja zuckte zusammen wie unter einem Schlag.

      »Was fällt Ihnen ein, mich zu duzen!« fuhr sie Raimund an, dabei war es nicht das vertraute Du, das sie so erschreckt hatte, sondern die Tatsache, daß dieser Fremde etwas wußte, was sie noch niemandem gesagt hatte… was sie nicht einmal sich selbst eingestand.

      »Laß dir helfen, Svenja«, bat er leise.

      »Gehen Sie!« verlangte die junge Frau. »Gehen Sie und kommen Sie nie wieder hierher!«

      Ihre harten Worte verletzten ihn, doch das ließ er sich nicht anmerken.

      »Das wird nicht möglich sein«, entgegnete er mit scheinbar unerschütterlicher Ruhe. »Ich bin verpflichtet, meine Arbeit zu tun.«

      »Aber nicht gegen meinen Willen!«

      »Muß es denn unbedingt gegen deinen Willen sein?« fragte Raimund, dann setzte er sich ohne weitere Umstände auf die Bettkante und stützte sich mit der rechten Hand über ihre Beine hinweg auf der anderen Seite des Bettes ab. Sein Blick war sehr eindringlich. »Svenja, dieser verletzte Fuß gehört zu deinem Körper, und auch wenn du das ignorieren willst, wird sich daran nichts ändern.«

      Svenja wollte nicht länger in diese herrlichen blauen Augen schauen, doch es gelang ihr auch nicht, den Blick einfach abzuwenden. Einem Mann wie ihm war sie noch nie begegnet – abgesehen davon, daß sie in den vergangenen zehn Jahre eigentlich überhaupt keinem Mann begegnet war… die vielen Ärzte, bei denen sie gewesen war, einmal ausgenommen.

      Und nun saß da dieser Raimund Brunner und schien sie mit seiner bloßen Anwesenheit zu hypnotisieren. Sie wollte ihn ungehobelt und flegelhaft finden, doch in Wirklichkeit war er ihr auf Anhieb sympathisch gewesen. Er war groß und kräftig gebaut – ein Mann, an den man sich anlehnen, in dessen Armen man Schutz und Geborgenheit finden konnte.

      Das Hemd, das er trug, spannte ein wenig um Schultern und Oberarme. Dichte dunkelblonde Locken drehten sich widerspenstig nach allen Seiten und umrahmten ein scharfgeschnittenes, markantes Gesicht, in dem die tiefblauen Augen dominierten. Der schmale Mund verriet Sensibilität, was von seinen Augen noch unterstrichen wurde. Alles in allem war er ein Mann, den man zwar nicht als gutaussehend hätte bezeichnen können, der aber vermutlich trotzdem so manches Frauenherz für sich einnahm, und Svenja spürte, daß das auch für sie galt.

      »Raimund«, murmelte sie, dann schüttelte sie den Kopf. »Das paßt eigentlich gar nicht zu dir. Du solltest einen Namen haben, der deiner Erscheinung gerecht wird.« Sie schwieg kurz. »Du bist doch stark wie ein Baum.«

      Raimund zeigte nicht, wie erleichtert er war, weil sie nicht weiterhin darauf bestand, daß er gehen sollte.

      »Danke für das Kompliment«, meinte er und brachte dann sogar sein unwiderstehliches Grinsen zustande. »Weißt du, ursprünglich wollte ich ja Sportler werden – Zehnkämpfer oder so etwas in der Richtung, aber dann…« Er zuckte die Schultern. »Ich glaube, es macht mir mehr Spaß, anderen Menschen zu helfen.«

      Abrupt wandte Svenja den Kopf zur Seite. »Ich brauche keine Hilfe.«

      »Nein, Svenja, du bräuchtest tatsächlich keine Hilfe«, erklärte Raimund. »Du bist eine starke, selbstbewußte Frau. Du würdest es auch allein schaffen.«

      Svenja, die mit einer völlig anderen Erwiderung gerechnet hatte, sah ihn erstaunt an. Da lächelte Raimund.

      »Du brauchst meine Hilfe nicht«, wiederholte er. »Aber du könntest mir wenigstens die Illusion geben, daß ich es war, der dir geholfen hat.«

      »Stark und selbstbewußt«, flüsterte Svenja mit gesenktem Kopf, dann richtete sie den Blick ihrer traurigen Augen wieder auf Raimund. »Glaubst du wirklich, daß ich das bin?«

      Er nickte ohne zu zögern. »Ich glaube es nicht nur, ich weiß es. Wenn du nicht stark und selbstbewußt wärst, hättest du dich niemals bis an die Weltspitze vortanzen können.«

      Wieder zuckte Svenja zusammen, als hätte er sie geschlagen.

      »Daran erinnert sich doch kein Mensch mehr«, erwiderte sie mit gepreßter Stimme.

      »Doch, Svenja, ich erinnere mich daran«, korrigierte er, dann griff er impulsiv nach ihrer Hand. »Mag sein, daß andere dich vergessen habe, aber ich… ich erinnere mich noch daran, wie du über die Bühne geschwebt bist, als wäre es erst gestern gewesen.« Er schwieg kurz, dann fügte er leise hinzu: »Ich weiß, wie gut du warst, Svenja.«

      Tränen stiegen in ihre Augen.

      »Du… weißt…«, stammelte sie, dann vergrub sie das Gesicht in den Händen. »Hör auf damit! Es tut mir nur weh! Hör auf!«

      Doch Raimund sprach unbeirrt weiter.

      »Ich war gerade zwanzig, und von dem Augenblick an, an dem ich dich das erste Mal tanzen sah, hatte ich nur noch einen Gedanken: Ballett. Meine Freunde lachten mich aus, als ich es ihnen erzählte, doch das war mir egal. Sollten sie doch ruhig jede Woche ins Fußballstadion oder zu Boxkämpfen gehen, ich wollte nur noch ins Theater. Zehnmal habe ich mir Schwanensee angeschaut, und dabei wurde ich nicht müde, dir zuzusehen.« Sein Blick richtete sich auf Svenja. »Ich bin kein Ballettmeister, aber ich sehe sehr wohl, ob jemand schlecht, mittelmäßig oder gut ist.« Er machte eine Pause. »Du warst erstklassig, Svenja.«

      Die junge Frau begann verzweifelt zu schluchzen. Seit zehn Jahren hatte sie das Wort Ballett nicht mehr an sich herangelassen. Niemand durfte es in ihrer Gegenwart auch nur erwähnen. Und nun hatte Raimund sie in den Abgrund gestoßen, an dessen Rand sie jahrelang balanciert war. All die ungeweinten Tränen brachen aus ihr heraus… Sie hatte das Gefühl, als würde sie hier in diesem Bett einfach zerfließen.

      »Warum tust du mir das an!« stieß sie unter Tränen hervor. »Warum schickst du mich auch noch in die Hölle?«

      Impulsiv nahm Raimund sie in die Arme und streichelte tröstend ihren bebenden Rücken.

      »Im Augenblick mag es dir wie die Hölle vorkommen«, erklärte er. »Aber am Ende dieser Hölle wartet auf dich das Licht… das Licht eines neuen wundervollen Lebens.«

      *

      Völlig niedergeschlagen lag Svenja in ihrem Bett. Vor fünf Minuten war Raimund gegangen. Seine Patienten warteten auf ihn, doch er hatte versprochen, sie später noch einmal zu besuchen.

      Svenjas Augen brannten vom vielen Weinen, und noch immer hatte sie das Gefühl, als würde sie in einem langen dunklen Tunnel stecken… in einem Tunnel, aus dem es kein Entrinnen… keinen Ausgang mehr gab. Sie hatte sich so lange dagegen gewehrt, sich mit ihrem Schicksal auseinanderzusetzen, weil sie sich immer vor dieser undurchdringlichen Finsternis ihrer Erinnerungen gefürchtet hatte, und nun steckte sie plötzlich mittendrin. Alles, was sie so lange verdrängt hatte, wurde jetzt an die Oberfläche geschwemmt und verursachte ihr fast unerträgliche Schmerzen… Schmerzen, die kein Ende zu nehmen schienen.

      »Ich muß es wieder vergessen«, flüsterte sie sich zu, dabei wußte sie, daß ihr das nicht möglich sein würde. Raimund hatte die Vergangenheit zum Leben erweckt… eine Vergangenheit, in der Svenja ein Star gewesen war. Fünfzehn Jahre war sie damals gewesen, eine zarte Elfe, die sich mit Spitzentanz auf den Weg rund um die Welt gemacht hatte. London, Mailand, New York… überall hatte ihr das Publikum zugejubelt – drei Jahre lang. Sie hatte als Ballettänzerin an der Weltspitze gestanden, doch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere hatte sie sich dann das Fußgelenk gebrochen…

      Energisch schüttelte Svenja diese Gedanken ab. Sie wollte sich nicht mehr daran erinnern! Es tat einfach zu weh!

      Um sich abzulenken, griff sie nach der Zeitung, die ihre Mutter bei ihrem letzten Besuch hiergelassen hatte. Fünf Tage war sie alt, doch das interessierte Svenja nicht. Sie wollte sich nur ablenken, und dafür taugte diese Zeitung allemal noch.

      Svenja

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