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Namen nennt.«

      Dr. Daniel betrachtete ihn einen Moment und kam zu dem Schluß, daß er ziemlich resolut sein mußte – ein Mann, der sein Ziel grundsätzlich auf dem direktesten Weg ansteuerte. Dabei wirkte er keineswegs unsympathisch… ganz im Gegenteil.

      »Ich würde vorschlagen, daß wir uns in meiner Praxis weiter unterhalten«, meinte Dr. Daniel. »Hier draußen wird es allmählich doch etwas ungemütlich.«

      Raimund nickte. »Mir pfeift der kalte Herbstwind tatsächlich schon eine ganze Weile um die Ohren.«

      »Warum haben Sie denn nicht geklingelt und oben in der Wohnung auf mich gewartet?« wollte Dr. Daniel wissen, während er die schwere eichene Eingangstür aufsperrte.

      »Ich habe geklingelt«, stellte Raimund richtig. »Aber als ich erfuhr, daß Sie nicht zu Hause sind, wollte ich Ihre Frau nicht weiter stören. Ich habe also noch einen kleinen Spaziergang durch den Ort gemacht und wollte jetzt gerade wieder heimfahren.« Er grinste. »Allerdings bin ich ganz froh, daß ich Ihnen doch noch begegnet bin.«

      »Ich nehme an, Frau Rauh war bereits bei Ihnen.«

      Raimund nickte und grinste wieder. »Sie war anfangs nicht sehr angetan von mir.« Dann wurde er ernst. »Sehen Sie Probleme für die Drillinge?«

      »Schwer zu sagen«, meinte Dr. Daniel. »Eine einfache Sache sind Mehrlingsgeburten nie, vor allem, wenn es auch noch mehr als zwei Kinder sind. Die Gefahr liegt besonders im geringen Geburtsgewicht der Babys, und ich will ganz offen sein – bei Drillingen ist es nicht ausgeschlossen, daß uns zumindest eines der Kinder wegsterben wird.«

      Raimund runzelte besorgt die Stirn. »Das wäre für Frau Rauh sehr schlimm. Sie freut sich so sehr auf ihre Babys.«

      Dr. Daniel nickte. »Das weiß ich, und deshalb habe ich Sie auch zu Ihnen geschickt. Ihre ganz spezielle Schwangerschaftsgymnastik, gepaart mit den Entspannungsübungen, hat sich immer sehr gut auf die werdenden Mütter und auch auf die Babys ausgewirkt.« Er lächelte. »Wenn ich das auch immer erst hinterher erfahren habe.«

      »Na, jetzt schmeicheln Sie mir aber«, erwiderte Raimund und wurde tatsächlich ein biß-chen verlegen.

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Mit Schmeicheln hat das nichts zu tun. Ich habe mir kürzlich die Zeit genommen und meine Unterlagen im Hinblick darauf überprüft. Dabei kam mir zugute, daß ich mir nachträglich noch Notizen gemacht habe, in welchen Fällen Sie die Schwangerschaftsgymnastik durchgeführt haben. Bei keiner einzigen Patientin erfolgte eine Frühgeburt. Mehr als neunzig Prozent der Zwillinge kamen sogar durch eine Spontangeburt zur Welt.« Er lächelte. »Ich denke, wenn wir beide mit Frau Rauh eng zusammenarbeiten, müßte es uns gelingen, die Drillinge gesund auf die Welt zu holen.«

      Mit einem verlegenen Grinsen fuhr sich Raimund durch das dichte dunkelblonde Haar. »So viele Komplimente habe ich ja mein ganzes Leben noch nicht bekommen.« Er zuckte die Schultern. »Wissen Sie, ich will ganz ehrlich sein, bisher habe ich den Kontakt zu den hiesigen Ärzten eher gescheut.« Für einen Moment senkte er den Blick. »Ich habe mal ziemlich schlechte Erfahrungen in dieser Richtung gemacht.« Er sah Dr. Daniel wieder an. »Das war in den beiden Jahren, bevor ich hier in die Kreisstadt gezogen bin.« Wieder zuckte er die Schultern. »Wahrscheinlich lag das daran, daß ich in meinem Heimatort gearbeitet habe und mich die meisten der dort praktizierenden Ärzte schon als kleinen Jungen gekannt haben. Irgendwie wurde ich von ihnen nie für voll genommen.«

      Dr. Daniel nickte verständnisvoll. »Das ist gut möglich.« Er dachte an Dr. Metzler, den er ja auch schon kannte, seit er neun Jahre alt gewesen war. »Es ist manchmal nicht leicht, sich daran zu gewöhnen, daß ein Mensch, den man von klein auf kennt, plötzlich erwachsen und ein Fachmann in seinem Gebiet geworden ist.«

      Aufmerksam sah Raimund ihn an. »Mir scheint, Sie sprechen da aus Erfahrung.«

      »Das ist richtig«, räumte Dr. Daniel ein. »Ich habe gelegentlich auch Mühe, in einem meiner Kollegen, mit dem ich eng zusammenarbeite, den erstklassigen Arzt zu sehen und nicht den Lausbuben von einst.« Er lächelte den jungen Mann an. »Allerdings denke ich, daß Sie sich in dieser Beziehung keine Sorgen machen müssen. Die hiesigen Ärzte werden über die Zusammenarbeit mit Ihnen sicher sehr froh sein.« Unvermittelt fiel ihm Svenja Birkert ein. »Sie arbeiten doch auch als ganz normaler Krankengymnast, oder?«

      Raimund nickte. »Ja, warum fragen Sie?«

      »Weil ich vielleicht noch eine Patientin für Sie habe. Allerdings muß ich da erst mit ihr selbst sprechen.«

      »Scheint ja ein schwieriger Fall zu sein.«

      Dr. Daniel zögerte, dann nickte er. »Ja, in gewisser Weise schon.«

      Ein Lächeln zeigte sich auf Raimunds Gesicht. »Ich habe eine ganz besondere Vorliebe für schwierige Fälle. Wissen Sie, ich bin kein Mensch, der Tag für Tag dasselbe tun will. Ich möchte gefordert werden, und mit meinem eigenen Ehrgeiz stecke ich meine Patienten oftmals an.«

      Dr. Daniel ließ die Worte in sich nachklingen. Ehrgeiz. Das war genau das, was Svenja im Moment fehlte – der Ehrgeiz, aus ihrem Leben etwas zu machen. Aber vielleicht ließ sich dieser Ehrgeiz ja wieder wecken, wenn durch die Operation erst mal die Schmerzen in ihrem Fuß verschwunden waren.

      *

      »Das war wirklich im letzten Moment«, stellte Dr. Wolfgang Metzler fest, als er einen ersten Blick auf das Operationsfeld werfen konnte. »Zwei Monate später, und das Gelenk wäre endgültig verloren gewesen.«

      Dr. Scheibler nickte zustimmend.

      »Es ist schon seltsam«, meinte er. »Da hat sie sich ständig wegen irgendwelcher eingebildeter Krankheiten in Kliniken aufgehalten, aber über ihre wirklichen Schmerzen hat sie kein Wort verloren.«

      »Vermutlich hat Robert wieder mal recht gehabt«, entgegnete Dr. Metzler. »Sie empfand die Schmerzen als Strafe für ihren Fuß, nicht aber als ihre eigene Krankheit. Es ist schwer nachvollziehbar, aber anscheinend betrachtete sie ihren Fuß nicht mehr als ihren Körperteil.«

      Dr. Scheibler seufzte. »Schade, daß sie nicht damals schon in die Waldsee-Klinik gekommen ist. Gleich nach dem Unfall hätte man ihr vielleicht wirklich helfen können.«

      Dr. Metzler sah ihn über den grünen Mundschutz hinweg an. »Vor zwölf Jahren, als das passiert ist, gab es die Waldsee-Klinik noch nicht. Ich war damals gerade in Amerika und du Assistenzarzt bei Thiersch. Ich glaube, wir beide hätten für dieses arme Ding damals nicht viel tun können.«

      »So direkt habe ich das ja auch gar nicht gemeint«, erwiderte Dr. Scheibler. »Sie tut mir nur schrecklich leid. Es muß schlimm sein, wenn man einen Beruf, den man so sehr liebt, plötzlich nicht mehr ausüben kann.«

      Dr. Metzler nickte, dann beendete er seine Arbeit an Svenjas Fußgelenkt.

      »So, das war’s«, meinte er. »Der Weg zu einem normalen Leben steht ihr jetzt wieder offen, aber wenn sie ihren Fuß weiterhin wie ein Stiefkind behandelt, dann wird sie in ein paar Jahren erneut hier liegen. Und irgendwann werden auch wir nichts mehr für sie tun können.«

      *

      Gerda Rauh war ziemlich blaß, als sie Dr. Daniels Sprechzimmer betrat. Dunkle Schatten unter den Augen zeugten von schlaflosen Nächten.

      Besorgt kam Dr. Daniel ihr entgegen. »Frau Rauh, was ist denn los? Fühlen Sie sich nicht wohl?«

      Gerda schüttelte den Kopf. »Seit ein paar Tagen habe ich ganz fürchterliche Kopfschmerzen. Zweimal habe ich Tabletten genommen, aber das will ich nicht ständig tun. Schließlich möchte ich den Babys nicht schaden.«

      Beim Stichwort Kopfschmerzen schrillte für Dr. Daniel sofort eine Alarmglocke. Natürlich kam es während einer Schwangerschaft immer wieder zu diesen und jenen Beschwerden, aber massive Kopfschmerzen, wie Gerda sie hatte, waren äußerst ernstzunehmen.

      »Da hätten Sie eigentlich gleich zu mir kommen sollen«, meinte Dr. Daniel.

      Gerda zuckte die Schultern. »Das wollte ich zuerst auch, aber dann… ich dachte, wegen

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