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worden war, Dr. Daniel zu.

      Dieser nickte. »Das war von vornherein klar, Wolfgang. Mit den Untersuchungen wollte ich letztlich nur erreichen, daß Frau Birkert das Gefühl bekommt, ernst genommen zu werden. Ihre Lage ich schwierig genug, und sie kann sich nur verschlimmern, wenn sie ständig das Gefühl haben muß, man würde ihre Beschwerden einfach abtun.«

      Dr. Metzler seufzte. »Du hättest Psychiater werden sollen.«

      »Wenn du das in diesem Tonfall sagst, klingt es wie ein Vorwurf«, entgegnete Dr. Daniel.

      »Es soll aber kein Vorwurf sein«, verwahrte sich Dr. Metzler. »Ich meine nur… nun ja, diese Frau ist bereits an einem Punkt angelangt, wo sie wirklich psychiatrische Hilfe bräuchte. Sie gehört eigentlich in eine spezielle Einrichtung, und die ist in der Waldsee-Klinik nun mal nicht gegeben.«

      Dr. Daniel lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich gebe dir vollkommen recht, Wolfgang. Frau Birkert wäre in einer psychiatrischen Klinik tatsächlich am besten aufgehoben – vorausgesetzt, sie selbst würde das auch wollen. Das ist aber nicht der Fall. Immerhin hat Dr. Berg aus dem Kreiskrankenhaus schon einen Behandlungsversuch unternommen, der fehlgeschlagen ist, und du weißt selbst, daß Berg ein ausgezeichneter Psychiater ist.«

      Dr. Metzler schwieg, doch Dr. Daniel wußte auch so, was er dachte.

      »Sprich es ruhig aus, Wolfgang«, ermunterte er ihn.

      Der Chefarzt seufzte. »Du wirst mich wohl für herzlos halten, aber… ich bin der Meinung, man sollte Frau Birkert in eine andere Klinik überweisen.«

      »Ich halte dich überhaupt nicht für herzlos, weil ich genau weiß, daß auch dir nur das Wohl der Patientin am Herzen liegt, und du fragst dich, wie ich ihr helfen will, wenn nicht einmal Berg das geschafft hat.«

      Eine kaum sichtbare Röte huschte über Dr. Metzlers Gesicht, denn Dr. Daniel hatte mit seiner Vermutung genau ins Schwarze getroffen.

      »Zwischen Berg und mir besteht ein großer Unterschied«, fuhr Dr. Daniel nun fort. »Ich besitze das Vertrauen der Patientin.«

      »Das ist aber auch so ungefähr das einzige, was du…«

      »Es ist das Wichtigste, Wolfgang«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Und das weißt du auch ganz genau. Ohne das Vertrauen des Patienten ist der Arzt oftmals machtlos. Überdies habe ich von Frau Birkerts Mutter so viel über sie erfahren, daß ich ziemlich genau weiß, wo ich ansetzen muß.« Er schwieg kurz und warf dabei einen Blick in die Krankenakten. »Wurde eigentlich die Röntgenaufnahme gemacht, die ich angeordnet habe?«

      Dr. Metzler schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich habe Stefan damit beauftragt. Er wird die Aufnahme morgen früh machen.« Er sah Dr. Daniel an. »Was versprichst du dir eigentlich davon?«

      Der Arzt zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht genau.«

      Er lächelte. »Von uns beiden bist du der Chirurg, und es könnte sein, daß ich da gewisse Hoffnungen auf dich setze.«

      »Die Frau ist dreißig, Robert«, wandte Dr. Metzler ein. »Selbst ohne eine mehr als zehnjährige Pause wäre die Zeit des Spitzentanzens für sie vorbei.«

      »Ich weiß«, gab Dr. Daniel zu. »Darum geht es auch gar nicht. Ins Ballett könnte sie nicht mehr zurück, aber es wäre möglich, daß es ihr psychisch helfen würde. Vielleicht könnte sie ihre Fähigkeiten sogar irgendwie beruflich nutzen.«

      Dr. Metzler dachte eine Weile nach, dann nickte er. »Das ist ein Argument. Also, sobald Stefan die Aufnahme gemacht hat, werde ich sie mir ansehen.«

      »Zusammen mit Gerrit«, fügte Dr. Daniel hinzu.

      Dr. Metzler zog eine Grimasse. »Danke!«

      »Wolfgang, nun sei nicht gleich beleidigt«, erklärte Dr. Daniel besänftigend. »Gerrit ist hier Oberarzt, und das hat auch seinen guten Grund. Ihr zwei seid in der Chirurgie ein unschlagbares Team, und deshalb möchte ich, daß ihr euch gemeinsam mit dem Fall befaßt.«

      »Jawohl, Herr Direktor«, knurrte Dr. Metzler, obwohl er durch Dr. Daniels Worte längst wieder versöhnt war.

      Jetzt drohte Dr. Daniel ihm scherzhaft mit dem Finger. »Mein lieber Wolfgang, reiß dich bloß zusammen. Du weißt genau, wie ungern ich diesen hochtrabenden Titel höre, den du mir einst verpaßt hast.« Dann stand er auf. »So jetzt muß ich aber zusehen, daß ich endlich an die Arbeit komme.«

      Auch Dr. Metzler erhob sich.

      »Robert«, erklärte er sehr ernst. »Ich hoffe, daß du dieser armen Frau helfen kannst.«

      *

      Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich Svenja wieder ernst genommen. Sie hatte zu Dr. Breuer immer Vertrauen gehabt, doch in den vergangenen Jahren war seine Betreuung doch mehr und mehr zur Routine geworden. Gegen ihre Beschwerden hatte sie immer irgendwelche Spritzen bekommen, war eine Woche zur Beobachtung im Krankenhaus geblieben und anschließend entlassen worden, ohne daß die Ursache für ihre Krankheiten erforscht worden wäre.

      Hier in der Waldsee-Klinik war alles anders. Man hatte EKG und EEG gemacht, die Lunge geröntgt und auch eine Magen- und Darmspiegelung durchgeführt.

      »Guten Tag, Frau Birkert.«

      Svenja blickte auf und direkt in Dr. Daniels Gesicht.

      »Guten Tag, Herr Doktor«, erwiderte sie und lächelte dabei sogar. »Ich habe Sie gar nicht hereinkommen hören.«

      »Ich bin aber nicht wie ein Geist durch die Wand gekommen«, meinte Dr. Daniel schmunzelnd.

      Svenja mußte lachen. »Das glaube ich Ihnen aufs Wort.«

      Wie immer setzte sich Dr. Daniel auf die Bettkante. »Es ist schön, Sie einmal lachen zu sehen, Frau Birkert.«

      Erst in diesem Augenblick wurde es Svenja bewußt, daß sie zum ersten Mal seit langem wieder gelacht hatte.

      »Es ist seltsam«, meinte sie. »Seit ich hier in der Klinik bin, fühle ich mich irgendwie… leicht. Ich hatte seit Tagen keine Atembeschwerden mehr, und auch die Unterleibsschmerzen sind längst nicht mehr so schlimm.«

      Da Svenja von sich aus ihre gesundheitlichen Probleme ansprach, beschloß Dr. Daniel den Versuch zu einem ersten Gespräch zu unternehmen.

      »Dr. Metzler und ich haben Sie sehr gründlich untersucht«, begann er. »Dabei sind wir zu dem Schluß gekommen, daß Ihre körperlichen Beschwerden Ausdruck für etwas sind, was in Ihrem Kopf abläuft.«

      Verständnislos sah Svenja ihn an. »Soll das heißen, daß ich… daß ich mir das alles nur einbilde? Ja… bin ich denn am Ende schon verrückt?«

      »Nein, Frau Birkert, natürlich nicht!« verwahrte sich Dr. Daniel. »Mit Verrücktheit hat das, was bei Ihnen passiert, überhaupt nichts zu tun. Es geht vielmehr um etwas, was von Ihnen niemals wirklich verarbeitet worden ist.«

      Svenja senkte den Kopf. Sie wußte plötzlich, worauf Dr. Daniel hinauswollte, und wahrscheinlich hatte er recht. Sie hatte nie über den Unfall und ihre so jäh beendete Ballettkarriere gesprochen. Sie hatte alles nur in sich vergraben und sich geschworen, es nie an die Oberfläche kommen zu lassen. Niemals wollte sie zulassen, daß der unerträgliche Schmerz von ih-rem Herzen Besitz ergreifen würde.

      »Ich kann nicht darüber sprechen, Herr Doktor«, flüsterte sie. »Es ist einfach zu schmerzhaft.«

      Tröstend griff Dr. Daniel nach ihrer Hand. »Ich kann das sehr gut nachempfinden, Frau Birkert. Auch in meinem Leben gab es einmal ein schlimmes Ereignis, über das ich lange nicht sprechen konnte.«

      »Wirklich?« Sie betrachtete ihn aufmerksam. »Sie machen eigentlich den Eindruck, als könnten Sie mit allem fertig werden.«

      Dr. Daniel blieb ernst. »Den Tod meiner ersten Frau konnte ich nur sehr schwer verkraften, und wenn ich meine beiden Kinder und meinen besten Freund nicht gehabt hätte, dann…« Er schwieg kurz. »Es hat fünf Jahre gedauert, bis ich mit meinem Freund über den Tod meiner Frau sprechen

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