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plötzlich entsetzlich dumm vorkam. Was fiel ihm ein, ins Krankenzimmer einer wildfremden Frau einzudringen – auch wenn es aus Mitleid geschah.

      »Wie heißen Sie?« wollte die junge Frau wissen, und ihre Stimme klang wie Musik in seinen Ohren.

      »Tobias«, antwortete er. »Tobias Scholz.«

      »Natalie Meinhardt«, stellte auch sie sich vor, dann betrachtete sie den jungen Mann eingehend. »Machen Sie sich immer so viele Gedanken um Menschen, die Sie gar nicht kennen?«

      Tobias schüttelte den Kopf, dann blickte er zu Boden. »Bis vor kurzem habe ich mir nicht einmal um die Menschen Gedanken gemacht, die mir am nächsten stehen. Beinahe hätte ich sie sogar sehr unglücklich gemacht.« Er sah Natalie wieder an. »Aber das ist vorbei… noch nicht ganz, aber fast.« Er schwieg einen Moment. »Ich muß jetzt zu meinem Bruder und seiner Freundin, aber… ich würde Sie gern wiedersehen. Darf ich Sie besuchen? Morgen vielleicht?«

      Natalie nickte. »Wann immer Sie möchten, Tobias.« Ein kaum sichtbares Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Ich freue mich schon auf Ihren Besuch.«

      *

      Es wurde eine große Aussprache, die zwischen Sabrina und Tobias stattfand. Patrick war als seelische Stütze für seinen Bruder mit im Zimmer geblieben.

      »Ausgerechnet Mareike«, murmelte Sabrina niedergeschlagen. »Ihr habe ich mein Leben lang am meisten vertraut.« Dann sah sie Tobias an. »Es spricht für dich, daß du gerade noch rechtzeitig die Wahrheit gesagt hast, aber… ein bißchen enttäuscht bin ich trotzdem von dir. Ich dachte immer, du magst mich, aber wenn du mich dermaßen belügen konntest…«

      Tobis schämte sich so sehr, daß er Sabrinas Blick auswich.

      »Auch wenn du es nicht glauben wirst, aber… Mareike konnte mich nur dazu überreden, weil ich dich liebte… weil es mein größter Wunsch war, dich zu meiner Freundin zu machen.«

      Völlig fassungslos starrte Sabrina ihn an, dann berührte sie seine Hand. »Es tut mir leid, Tobias. Das wußte ich nicht…«

      »Du hast gerade in der Vergangenheit gesprochen«, stellte Patrick fest. »Als du mir alles erzählt hast, war das noch nicht der Fall.«

      Tobias atmete tief durch. »Ich kann nicht erklären, was mit mir geschehen ist. Als ich mich mit Dr. Daniel unterhalten habe, kam gerade eine junge Frau in das Zimmer. Sie sah so traurig aus, und… da hat in meinem Herzen irgend etwas klick gemacht. Es ist vielleicht noch keine Liebe, aber es ist jetzt schon mehr als nur Sympathie, obwohl ich eigentlich überhaupt nichts von ihr weiß.«

      »Man muß nichts voneinander wissen, um sich zu lieben«, entgegnete Sabrina, dann lächelte sie Patrick zärtlich an. »Als ich dich das erste Mal gesehen habe, wußte ich sofort, daß du der einzige Mann in meinem Leben sein wirst.«

      Tobias stand auf. »Ich glaube, ich lasse euch besser allein.«

      Als er auf den Flur trat, begegnete ihm Dr. Daniel.

      »Sie hatten recht, Herr Doktor«, erklärte er. »Sabrina konnte mir verzeihen. Und was meine Liebe zu ihr betrifft – das war wohl nur eine Schwärmerei. Vielleicht bin ich einfach nur flatterhaft, aber im Moment weist mein Herz in eine andere Richtung.«

      Da schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Ich kenne Sie kaum, aber nach allem, was ich während unseres Gesprächs über Sie erfahren habe, halte ich Sie überhaupt nicht für flatterhaft – ganz im Gegenteil. Ich denke, Sie sind ein Mensch, der zu sehr tiefen Gefühlen fähig ist, und das wird Ihnen die Frau, die Ihr Herz einmal besitzen wird, ein Leben lang danken.«

      Tobias lächelte. »Schade, daß ich Sie nicht früher kennengelernt habe. Dann wäre uns allen vermutlich vieles erspart geblieben.«

      »Man lernt auch aus seinen Fehlern«, entgegnete Dr. Daniel.

      Er sah dem jungen Mann nach, der nun auf Natalies Zimmer zusteuerte und nach kur-zem Anklopfen darin verschwand. Dabei breitete sich ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit in Dr. Daniel aus. Die Freundschaft zu Tobias würde Natalie guttun – vielleicht sogar einmal ihr Lebensglück werden.

      Dr. Daniels Blick wanderte zu der Tür, hinter der er Sabrina und Patrick wußte. Gedämpftes, zärtliches Lachen drang heraus, das davon zeugte, daß Kummer und Leid aus dem Leben dieser beiden jungen Menschen gewichen waren. Für Sabrina hatte sich das Warten auf Patrick gelohnt, und das Baby, das sie erwartete, würde in eine Welt vol-ler Liebe hineingeboren werden. Damit hatte auch Dr. Daniel, der am Schicksal seiner Patientin immer so regen Anteil nahm, allen Grund, glücklich zu sein…

      – E N D E –

Einst ein Star - und jetzt vergessen

      Svenja Birkert war voll konzentriert. Ihr Körper glich einem gespannten Bogen, der nur darauf wartete, losschnellen zu dürfen. Sie hob sich auf die Fußspitzen und wartete auf die Kommandos der Ballettmeisterin.

      »Cambré… und passé… und fouetté… und révoltade… Eine Feder mußt du sein! Der Hauch eines Windes muß dich hochheben! Jetzt die capriole…«

      So leicht wie eine Feder im Wind schwebte Svenja über die Bühne. Ihre Fußspitzen schienen den Boden überhaupt nicht mehr zu berühren. Doch dann der Fehler… ein häßliches Knirschen im Fußgelenk… der Sturz…

      »Nein!«

      Svenja erwachte von ihrem eigenen Schrei. Das Nachthemd klebte an ihrem schweißnassen Körper, die Haare hingen in langen, feuchten Strähnen herab. Sie bebte wie im Schüttelfrost, dann fühlte sie den Druck in der Kehle. Ihre Hände fuhren in Panik an den Hals.

      In diesem Moment stürzte ihre Mutter herein.

      »Svenja, um Himmels willen, schon wieder…«, stieß sie hervor.

      »Ich ersticke! Mama, ich… ersticke…«

      Mathilde Birkert machte auf dem Absatz kehrt, rannte zum Telefon und alarmierte den Notarzt. Das gehörte für sie seit mehr als zehn Jahren zur Routine.

      Beim notärztlichen Dienst war sie ebenfalls schon bekannt.

      »Es ist also wieder mal soweit«, erklärte der junge Sanitäter, der mit seinem Kollegen die fahrbare Trage hereinbrachte. Mit geübten Griffen legte er Svenja eine Sauerstoffmaske an, dann wurde die Dreißigjährige auf die Trage gelegt und zum Krankenwagen gebracht…

      *

      Wenige Minuten später bog dieser in die Einfahrt des Kreiskrankenhauses, während das Martinshorn mit einem letzten Aufjaulen verstummte. Die Hecktüren wurden aufgerissen und die fahrbare Trage herausgezogen. Mit einem stählernen Rasseln klappten die Räder nach unten, dann schoben die Sanitäter Svenja in die Notaufnahme hinein. Der diensthabende Arzt kam sofort herbeigeeilt und warf einen Blick auf die junge Frau, deren Hände trotz der Sauerstoffmaske immer wieder ängstlich an den Hals fuhren.

      »Was ist?« fragte er knapp.

      »Sie leidet unter Atemnot«, gab der Sanitäter Auskunft, dann betrachtete er den Arzt, den er hier noch nie gesehen hatte. »Sie können gleich den Chefarzt benachrichtigen. Er kennt Frau Birkert seit Jahren.«

      Der Arzt war sichtlich erstaunt.

      »Aber die Erstversorgung…«, begann er, doch der Sanitäter unterbrach ihn.

      »Ist hier nicht nötig.« Er dämpfte die Stimme. »Die Frau ist kerngesund. Blutdruck hundertzwanzig zu siebzig, Puls achtzig. Herz- und Lungengeräusche unauffällig. Benachrichtigen Sie den Chefarzt. Er weiß Bescheid.«

      Der Arzt wandte sich der nun ebenfalls herbeieilenden Schwester zu. »Informieren Sie bitte den Chef.« Er warf einen Blick auf die Karte, die von den Sanitätern angelegt worden war und auf dem Kopfteil der Trage lag. »Svenja Birkert…«

      Die Schwester seufzte leise und flüsterte: »Schon wieder. Da wird sich der Chef freuen.«

      Währenddessen

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