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wenigstens die Möglichkeit, noch einmal von vorn zu beginnen. Bei mir ist das unmöglich.«

      Dr. Daniel zögerte. Er wollte nicht der erste sein, der das Wort »Ballett« aussprach. Diesen Schritt mußte Svenja selbst gehen. Also hakte er noch einmal bei seiner eigenen Geschichte ein.

      »Vielleicht haben Sie recht«, meinte er. »Ich habe vor kurzem tatsächlich wieder geheiratet und bin sehr glücklich – wenn auch auf andere Weise, als ich es mit meiner ersten Frau gewesen bin, aber das ist nur ganz natürlich. Kein Mensch kann durch einen anderen ersetzt werden, und ich wollte für meine erste Frau auch gar keinen Ersatz finden. Ich habe dieses zweite Mal wieder aus Liebe geheiratet und nicht, weil ich vielleicht nicht länger allein sein wollte. Allerdings kommt es gar nicht allein darauf an, was genau man nach einem schlimmen Erlebnis aus seinem weiteren Leben macht, sondern vor allem auch darauf, daß man überhaupt noch etwas daraus macht.«

      Svenja ließ die Worte in sich nachklingen, dann nickte sie. »Das ist sicher richtig, aber… ich kann nicht… ich kann einfach nicht…«

      Unwillkürlich begann sie schwerer zu atmen, was Dr. Daniel natürlich sofort bemerkte. Rasch stand er auf und holte ein feuchtes Tuch, auf das er einige Tropfen Lavendelöl geträufelt hatte.

      »Ruhig und tief atmen, Frau Birkert«, erklärte er, und allein seine Stimme vermochte die junge Frau schon ein wenig zu beruhigen. Dennoch dauerte es eine Weile, bis ihr Atem wieder normal ging.

      Erschöpft lehnte sie sich zu-rück. »Sehen Sie, wenn ich nur daran denke, habe ich schon das Gefühl zu ersticken.«

      Da legte Dr. Daniel behutsam eine Hand auf die ihre. »Wir haben Zeit, Frau Birkert. Irgendwann wird es Ihnen möglich sein, darüber zu sprechen.«

      Traurig schüttelte sie den Kopf. »So lange werde ich nicht hierbleiben können. Sie werden dieses Bett brauchen, wenn…«

      »Nein, Frau Birkert«, fiel Dr. Daniel ihr sanft ins Wort. »Wir werden Sie erst entlassen, wenn Sie gesund sind oder wenn Sie selbst es möchten.«

      In Svenjas Blick lagen Staunen und Bewunderung. »Ich hätte nicht gedacht, daß es solche Ärzte wie Sie überhaupt noch gibt.«

      *

      »Grüß Gott, Frau Rauh!«

      Gerda zuckte erschrocken zusammen, als sie so unerwartet und dann auch noch mit forscher Stimme angesprochen wurde. Sie sah den großen, breitschultrigen Mann Mitte Dreißig an und fragte sich, wie sie sein Hereinkommen hatte überhören können.

      »Raimund Brunner«, stellte er sich jetzt vor und gab ihr mit einem freundlichen Lächeln die Hand. Sein kräftiger Händedruck paßte zu seiner ganzen Erscheinung, und einen Augenblick lang war Gerda nicht sicher, ob ihr dieser resolute Krankengymnast wirklich sympathisch sein sollte oder nicht.

      »Was führt Sie zu mir?« wollte er wissen, dann warf er einen Blick auf ihren inzwischen schon sanft gerundeten Bauch und grinste. »Zwillinge, nehme ich an.«

      Gerda schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Brunner, es werden Drillinge.«

      »Alle Achtung«, meinte er, und in seiner Stimme schwang so etwas wie Bewunderung mit. »Da haben Sie sich ja ganz schön was vorgenommen. Bei wem sind Sie denn in Behandlung?«

      »Bei Dr. Daniel.«

      »Soso.« Raimund Brunner schmunzelte. »Er scheint so etwas wie der allgemeine Dorfarzt zu sein.«

      »Dr. Daniel ist ein erstklassiger Gynäkologe, darüber hinaus auch sehr rücksichtsvoll und…«

      Raimund hob beide Hände, als würde Gerda mit einer Pistole auf ihn zielen.

      »Gnade!« flehte er. »Ich wollte dem guten Doktor bestimmt nicht zu nahetreten.« Dann grinste er wieder. »Vielleicht lerne ich ihn jetzt auch endlich mal kennen. Bei Drillingen sollten wir ja doch besser Hand in Hand arbeiten.«

      »Das ist auch seine Meinung«, entgegnete Gerda, dann sah sie den jungen Mann an. »Ich frage mich nur, ob er sich das auch noch wünscht, wenn er Sie erst kennengelernt hat.«

      Raimunds Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Sagen Sie bloß, ich wäre Ihnen unsympathisch.«

      Gerda schwieg, doch das kam beinahe einer Antwort gleich.

      »Keine Sorge, da sind Sie nicht die erste«, meinte Raimund ungerührt. »Die meisten meiner Patienten haben anfangs Schwierigkeiten, sich an meine direkte Art zu gewöhnen. Ich bin nun mal ein Mensch, der gleich sagt, was er denkt, und das kommt nicht immer gut an. Allerdings habe ich mich bis jetzt noch mit fast jedem zusammengerauft, und ich denke, wir beide werden uns auch gut verstehen, wenn Sie mich erst mal ein bißchen besser kennen.«

      Er begleitete Gerda in den kleinen Raum, in dem nur ein Schreibtisch und zwei Stühle standen.

      »Bitte, nehmen Sie Platz.« Er wartete, bis Gerda saß, dann setzte auch er sich. »Sie erwarten also Drillinge. Darf ich mal einen Blick in den Mutterpaß werfen?«

      Bereitwillig reichte Gerda ihm das blaue Heft, und Raimund überflog die Eintragungen. Dann nickte er.

      »Soweit scheint ja alles in Ordnung zu sein«, meinte er. »Ich nehme an, die Babys werden mit Kaiserschnitt geholt.«

      »Ja«, antwortete Gerda. »Dr. Daniel hält bei Drillingen eine Spontangeburt für unmöglich.«

      »Da hat er absolut recht«, stimmte Raimund zu, während er Gerda den Mutterpaß zurückgab. »Atemübungen können wir uns also schenken. Wir werden in den nächsten Wochen leichte Schwangerschaftsgymnastik machen, außerdem ein paar Entspannungsübungen, die Ihnen in den letzten Wochen der Schwangerschaft sicher guttun werden.« Er lächelte Gerda an. »Wollen Sie heute gleich anfangen?«

      »Warum nicht?« entgegnete Gerda. »Wenn ich schon mal hier bin.«

      »Das meine ich auch«, stimmte Raimund zu. Er ging ihr voran in den Nebenraum und bat sie, sich auf den Boden zu legen.

      Die Übungen, die er ihr zeigte, verdienten den Namen Gymnastik allerdings nicht.

      »Ich war eigentlich immer sehr sportlich«, erklärte Gerda. »Dieses Beineanheben und -senken… nun ja… ich meine, unter Gymnastik habe ich mir eigentlich etwas anderes vorgestellt.«

      Raimund grinste wieder, und Gerda konnte nicht umhin, nun doch etwas Sympathie für ihn zu empfinden.

      »Dachten Sie vielleicht an

      Aerobic?« Er hob den Zeigefinger. »Meine liebe Frau Rauh, Sie sind schwanger, und in ein paar Monaten werden Sie gleich drei Kinder auf einen Schlag zur Welt bringen. Da ist Vorsicht angesagt. Was wir hier machen, ist gut für Ihren Kreislauf und auch für die Sauerstoffversorgung von Gebärmutter und Kind. Sie werden im Laufe der Zeit von mir Übungen lernen, bei denen Sie bewußter atmen, und damit nicht nur sich selbst, sondern auch Ihren Babys viel Gutes tun. Wichtig ist allerdings, daß Sie das, was ich Ihnen zeige, auch zu Hause konsequent für zehn bis fünfzehn Minuten täglich üben. Außerdem würde ich es sehr begrüßen, wenn auch Ihr Mann einmal hierherkommen würde.« Er grinste wieder. »Beim Kaiserschnitt ist er zwar sicher nicht dabei, trotzdem sollte er in die Schwangerschaft miteinbezogen werden. Immerhin ist er ja doch maßgeblich daran beteiligt, nicht wahr?«

      Gerda mußte lachen. »Da haben Sie recht.« Dann wurde sie ernst. »Ich muß Abbitte leisten, Herr Brunner. Ich glaube, ich habe Sie im ersten Moment ziemlich verkannt.«

      »Nicht so tragisch«, meinte er gelassen. »Wie ich vorhin schon sagte – Sie sind nicht die einzige, die mich zunächst recht unsympathisch fand.«

      »Das möchte ich gar nicht mal sagen«, entgegnete Gerda. »Sie haben mich durch Ihr forsches Vorgehen nur ein bißchen erschreckt.« Dann lächelte sie. »Ich glaube, wir werden gut miteinander zurechtkommen.«

      *

      Wie jeden Tag nach Beendigung seiner Sprechstunde machte sich Dr. Daniel auf den Weg zur Waldsee-Klinik. Gerade als er die Eingangshalle betrat, begegnete ihm der Oberarzt Dr. Gerrit Scheibler.

      »Robert,

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