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Der kristallklare See würde unweigerlich ihren Tod bedeuten.

      Nahezu zwei Stunden brauchte Sàndor, um Eva-Maria zu finden. Zitternd und frierend lehnte sie an einem Baum unweit des idyllischen Waldsees.

      »Eva-Maria, um Himmels willen, was hast du dir denn nur dabei gedacht?« fragte Sàndor mit leisem Vorwurf, aber auch un-überhörbarer Besorgnis in der Stimme.

      Eva-Maria sah zu ihm auf, dann brach sie in Tränen aus. Beschämt vergrub sie das Gesicht in den Händen.

      »Geh!« brachte sie unter Schluchzen hervor. »Ich…, ich…«

      Sàndor wartete nicht, bis sie Worte fand, sondern nahm sie kurzerhand auf die Arme, um sie zur Klinik zurückzutragen. Eva-Maria wollte sich zuerst wehren, doch Nässe und Kälte hatten ihre Gelenke steif werden lassen. Schließlich gab sie auf und lehnte ihren Kopf an Sàndors Schulter. Dabei wurde ihr zarter Körper noch immer von heftigem Schluchzen geschüttelt.

      Der Weg war weit und beschwerlich, denn der unaufhörliche Regen verwandelte den Waldboden in tiefen Morast. Nun war Eva-Maria für Sàndor zwar keine allzu schwere Last, aber dennoch war er heilfroh, als der hufeisenförmige weiße Bau endlich in Sichtweite kam.

      Dr. Daniel, der inzwischen natürlich ebenfalls informiert worden war, und Schwester Bianca nahmen sie am hinteren Eingang in Empfang. Die Krankenschwester kümmerte sich sofort um Eva-Maria und brachte sie wieder auf ihr Zimmer.

      »Du hättest auf mich warten sollen, Sàndor«, meinte Dr. Daniel mit leisem Tadel in der Stimme, dann schüttelte er den Kopf. »Einfach abzuhauen – und das auch noch in so ungenügender Kleidung.«

      »Ich hatte doch nur Angst um Eva-Maria«, verteidigte sich Sàndor.

      Dr. Daniel nickte. »Das ist auch die einzige Entschuldigung, die ich dafür gelten lasse. Trotzdem hättest du warten sollen. Mit deinem überstürzten Handeln hast du uns zum Abwarten gezwungen. Wir wußten ja nicht, wohin du dich gewandt hast, konnten also praktisch nichts unternehmen. Gerrit, Wolfgang, Jeff und ich haben zwar den Park durchsucht, aber recht viel weiter wagten wir uns nicht von der Klinik weg.«

      »Bitte, Herr Doktor, schimpfen Sie nicht mehr mit mir«, bat Sàndor zerknirscht.

      Dr. Daniel seufzte. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht – um euch beide.« Er legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter, dann erschrak er. »Meine Güte, Sàndor, du bist ja naß bis auf die Haut. Komm, ich fahre dich nach Hause, damit du dich umziehen kannst.«

      Der junge Mann nickte. »Danke, Herr Doktor, aber ich kann mich ja hier auch umziehen und dann meinen Dienst…«

      »Das wirst du schön bleiben lassen«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Willst du denn unbedingt krank werden? Ich fahre dich jetzt nach Hause, dann wirst du ein heißes Bad nehmen und dich ins Bett legen.«

      Doch davon wollte Sàndor nichts hören. Er ließ sich von Dr. Daniel zwar nach Hause fahren, zog sich dort aber nur um und kehrte dann in die Klinik zurück.

      »Du bist schon ein unverbesserlicher Dickkopf«, schimpfte Dr. Daniel, als er mittags sah, daß der junge Mann seinen Dienst versah, als wäre überhaupt nichts passiert.

      »Ich weiß«, entgegnete Sàndor. »Keine Sorge, Herr Doktor, das halte ich schon aus. Zu Hause würde mir die Sorge um Eva-Maria doch keine Ruhe lassen.« Er wurde sehr ernst. »Hoffentlich hat ihr nächtlicher Ausflug kein Nachspiel.«

      »Ich fürchte schon. Sie war naß bis auf die Haut und entsprechend unterkühlt.« Er sah Sàndor an. »Du allerdings auch, und ich fürchte, in spätestens zwei Tagen wirst du eine empfindliche Erkältung ausgebrütet haben.«

      Sàndor schüttelte den Kopf. »Ich bin zäh, Herr Doktor.«

      *

      Brigitte Klein hatte von dem Tumult, der an diesem Morgen in der Klinik stattgefunden hatte, nicht das geringste mitbekommen, daher wunderte sie sich auch, als Dr. Daniel zu ganz ungewöhnlicher Stunde zu ihr kam.

      »Wie geht es Ihnen?« wollte er wissen.

      »Soweit ganz gut«, antwortete sie. »Die Wehen haben aufgehört, aber sonst…, ich habe ein bißchen Angst, Herr Doktor.«

      »Dazu besteht im Moment kein Grund«, entgegnete Dr. Daniel. »Wir haben den Diabetes im Griff, und Ihr Baby entwickelt sich auch ausgezeichnet. In ein paar Wochen wäre es bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig – das heißt, daß dann wenigstens die Sorge um eine Fehlgeburt von uns genommen wäre, wenn wir natürlich auch weiter versuchen werden, Ihr Baby so lange wie möglich dort zu halten, wo es um diese Zeit noch hingehört.« Er schwieg kurz. »Allerdings sollten wir die Verlegung in die Sommer-Klinik nun nicht mehr allzu lange hinauszögern. Ich würde Ihnen vorschlagen, daß wir das noch in dieser Woche durchziehen.«

      Brigitte nickte. »Wie Sie meinen, Herr Doktor. Ich vertraue da ganz auf Ihr Urteil. Was Sie sagen, ist sicher richtig.«

      Dr. Daniel lächelte. »Gut, dann werde ich alles Nötige in die Wege leiten.« Er wurde wieder ernst. »Wie sieht es denn jetzt in finanzieller Hinsicht aus, wenn ich so indiskret sein darf, das zu fragen.«

      »Natürlich dürfen Sie«, bekräftigte Brigitte sofort, doch dann wurde ihr Gesichtsausdruck traurig. »Ich fürchte, wir werden verkaufen müssen. Baby und Haus sind wohl nicht unter einen Hut zu bringen. Oliver und ich haben uns ohne großes Überlegen für das Kind entschieden. Vielleicht klappt es ja später einmal mit einem eigenen Haus.«

      Doch Dr. Daniel merkte ihr an, wie schwer ihr und Oliver dieser Entschluß gefallen sein mußte. Wenn man schon einmal den Rohbau des eigenen Hauses vor sich sah und dann doch darauf verzichten mußte, war das sicher nicht ganz leicht zu verschmerzen.

      »Das mit dem Haus ist unter Dach und Fach.«

      Dr. Daniel und Brigitte blickten überrascht zur Tür, wo eine lächelnde Sarina von Gehrau stand. Jetzt sah sie Dr. Daniel an.

      »Ich werde meinen Dienst in der Praxis sofort wieder antreten, aber ich mußte Brigitte jetzt einfach die gute Nachricht überbringen.« Mit wenigen Schritten war sie beim Bett und griff nach den Händen der jungen Frau. »Ich habe nach meinem ersten Besuch bei dir meine Eltern aufgesucht und ihnen geschildert, in welcher Misere Oliver und du stecken. Für meinen Vater gab es da natürlich kein Halten mehr, und erstaunlicherweise hatte auch meine Mutter nichts dagegen einzuwenden, einem bürgerlichen Paar zu helfen.« Sie grinste schelmisch. »Erstaunlich, wenn man bedenkt, welchen Standesdünkel die Gräfin Henriette von Gehrau…, meine hochverehrte Frau Mama normalerweise hat. Kurz und gut, mein Vater hat das gesamte Darlehen samt Zinsen getilgt, und er läßt dir und Oliver so viel Zeit, wie ihr braucht, um dieses Darlehen nun an ihn zurückzuzahlen.«

      Aus weit aufgerissenen Augen starrte Brigitte sie an.

      »Von Gehrau…, die gräfliche Familie…, das bist du?« stammelte sie, dann sah sie Dr. Daniel an. »Haben Sie das gewußt?«

      Dr. Daniel schmunzelte. »Ja, Fräulein Klein, ich weiß, daß meine tüchtige Sprechstundenhilfe es eigentlich gar nicht nötig hätte zu arbeiten, weil sie eine waschechte Komteß von Gehrau ist, aber sie ist viel zu bescheiden, um mit diesem Titel anzugeben.«

      Sarina errötete auch jetzt, weil sie ihren gräflichen Stand eigentlich gar nicht liebte, doch in diesem Fall war sie sogar froh, aus einer mehr als wohlhabenden Familie zu stammen. Nur so war es ihr möglich gewesen, Brigitte zu helfen.

      »Ob nun Komteß oder nicht – wichtig ist doch nur, daß Brigitte und Oliver jetzt weiterbauen können«, meinte sie.

      Da richtete sich Brigitte auf und umarmte die junge Komteß spontan.

      »Meine Güte, Sarina, ahnst du überhaupt, was das für uns bedeutet?« flüsterte sie gerührt. »Du und deine Eltern…, ihr schenkt uns eine gesicherte Zukunft. Wie sollen wir das jemals wiedergutmachen.«

      »Werdet glücklich«, meinte Sarina schlicht.

      *

      Eva-Maria erwachte mit einem fürchterlichen Schnupfen, Hals-

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