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fühlte den feinen Stich und umklammerte Sàndors Hand impulsiv ein wenig fester. Das Gesicht des jungen Mannes begann sich vor ihren Augen zu drehen. Sie hatte das eigenartige Gefühl, hier im Untersuchungsraum zu liegen und gleichzeitig unendlich weit weg zu sein. Sie fühlte einen glatten, runden Gegenstand in ihrem Mund und mußte würgen, dann glitt sie in eine tiefe Benommenheit.

      »Merkt sie davon denn gar nichts?« fragte Sàndor, der mit wachsendem Unbehagen zusah, wie Dr. Scheibler den gleitfähig gemachten Gummischlauch in Eva-Marias Mund schob. Das Mädchen würgte, und ihre Hände zuckten, als wolle sie den Schlauch herausziehen, doch ihre Bewegungen waren zu unkoordiniert.

      »Sie spürt, daß sie etwas in den Mund geschoben bekommt, aber das Beruhigungsmittel, das Dr. Parker ihr gespritzt hat, ist so stark, daß sie es nicht als unangenehm empfindet«, antwortete Dr. Scheibler, während er den Schlauch weiter in die Speiseröhre schob und dabei auf dem Monitor den Weg des Gastroskops verfolgte.

      »Sàndor, erschrecken Sie nicht, wenn die Kleine noch mal würgen muß«, erklärte Dr. Scheibler. »Ich erreiche jetzt gleich den Mageneingang, da ist das ein ganz natürlicher Reflex.«

      Unwillkürlich begann Sàndor Eva-Marias Hand zu streicheln, obwohl er wußte, daß sie das ebensowenig spüren würde wie die Magenspiegelung.

      »Das gibt’s doch nicht«, murmelte Dr. Scheibler, während er das Bild verfolgte, das ihm aus Eva-Marias Magen gesendet wurde.

      Sàndor erschrak. »Ist es etwas Ernstes?«

      Doch der Oberarzt schüttelte den Kopf. »Eben nicht. Ich kann überhaupt nichts finden. Kein Geschwür, keine Entzündung – nichts.«

      In diesem Moment kam Dr. Daniel atemlos herein. »Es tut mir leid, Gerrit, aber ich mußte dringend zu einer Patientin mit vorzeitigen Wehen.«

      »Nicht so tragisch«, meinte Dr. Scheibler, dann lächelte er. »Mit Sàndors Hilfe hat Eva-Maria die Beruhigungsspritze ganz gut überstanden, und abgesehen von dem unangenehmen Würgegefühl merkt sie nichts von der Untersuchung.«

      »Und?« wollte Dr. Daniel wissen. »Was ist jetzt mit ihrem Magen?«

      »Nichts«, antwortete Dr. Scheibler achselzuckend. »Es ist der schönste Magen, den ich seit langem gesehen habe.«

      Dr. Daniel runzelte unwillig die Stirn. »Hat sie etwa doch simuliert?«

      »Sieht so aus, wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, aus welchem Grund sie das tun sollte.« Er schwieg kurz. »Tatsache ist außerdem, daß sie sich zweimal übergeben mußte.«

      Dr. Daniel dachte über diese Worte nach. »War jemand dabei?«

      Erstaunt sah der junge Oberarzt ihn an. »Wie meinen Sie das, Robert?«

      »Nun ja, eventuell könnte sie das Erbrechen auch irgendwie herbeigeführt haben. Immerhin haben sämtliche Untersuchungen, die wir durchgeführt haben, ergeben, daß sie völlig gesund ist.«

      Zügig, aber dennoch mit der gebotenen Vorsicht zog Dr. Scheibler den Schlauch heraus, dann wandte er sich Sàndor zu. »Bringen Sie die Patientin wieder auf ihr Zimmer. Ich werde dann gleich nach ihr sehen.«

      »Nicht nötig«, entgegnete Dr. Daniel. »Ich bleibe bei ihr, bis sie wieder zu sich kommt.«

      Das dauerte nur wenige Minuten.

      »Ist es… vorbei?« flüsterte Eva-Maria.

      Dr. Daniel nickte. »Ja, mein Kind, du hast es überstanden, allerdings sind wir dem Grund für deine Schmerzen damit leider keinen Schritt nähergekommen.« Er bemerkte die leichte Röte, die über Eva-Marias Gesicht huschte. »Nach den Untersuchungsergebnissen kannst du eigentlich weder von Magenschmerzen noch von Übelkeit geplagt sein. Du bist vollkommen gesund, Eva-Maria.«

      »Aber ich mußte mich übergeben«, beharrte das junge Mäd-chen. »Ich hatte kaum gegessen, da kam alles wieder hoch.«

      Dr. Daniel wurde erneut unsicher. Eva-Maria brachte das alles mit solcher Sicherheit hervor, daß er versucht war, ihr zu glauben. Andererseits sprachen die Untersuchungsergebnisse ja für sich.

      »Wir haben dich von Kopf bis Fuß durchgecheckt«, meinte Dr. Daniel, dann kam ihm plötzlich eine Idee. »Heute abend kannst du wieder etwas zu essen bekommen. Ich werde dir dabei Gesellschaft leisten.«

      Eva-Maria erschrak. Wenn Dr. Daniel bei ihr bleiben würde, würde er schnell merken, daß ihr keineswegs übel wurde.

      Irgend etwas muß mir einfallen, dachte sie verzweifelt. Wenn ich in den nächsten Tagen wieder alles vertragen kann, dann wird man das meiner fortschreitenden Genesung zuschreiben, aber wenn Dr. Daniel erkennt, daß meine ganze Krankheit nur erfunden war, dann…, dann wird sich Sàndor von mir abwenden. Ein Mann wie er will bestimmt keine Lügnerin zur Freundin haben.

      *

      »Herr Doktor, haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?«

      Dr. Daniel drehte sich um und sah sich Sàndor gegenüber.

      »Natürlich habe ich Zeit für dich«, erklärte er lächelnd. »Worum geht’s denn?« Er wurde ernst. »Du fühlst dich hier in

      der Klinik doch hoffentlich wohl, oder?«

      Sàndor nickte. »Die Arbeit macht mir sogar großen Spaß, und die Ärzte und Schwestern sind furchtbar nett. Darum geht es auch gar nicht.« Er zögerte einen Moment, dann gestand er: »Wissen Sie, ich…, ich glaube, ich habe mich verliebt.«

      Dr. Daniel bemerkte, daß Sàndors Blick an ihm vorbei zu einer bestimmten Zimmertür ging.

      »In Eva-Maria«, vermutete er.

      Sàndor errötete ein wenig, dann nickte er. »Sie hat mich vom ersten Augenblick an bezaubert. Ich kann sie einfach nicht vergessen.« Verlegen senkte er den Kopf. »Der Chefarzt hat mir schon am ersten Tag klipp und klar gesagt, daß er es nicht gern sieht, wenn Personal und Patienten…, na ja, Sie wissen schon.« Er seufzte. »Deshalb habe ich es auch noch nicht gewagt, Eva-Maria meine Gefühle zu gestehen, aber jetzt…, ich halte es einfach nicht länger aus. Deshalb dachte ich, wenn ich mit Ihnen sprechen würde…, ich bin nicht auf ein Abenteuer aus. Das mit Eva-Maria sitzt viel tiefer.«

      »Du kennst sie doch noch gar nicht«, wandte Dr. Daniel ein.

      »Das ist richtig«, gab Sàndor zu. »Trotzdem spielt mein Herz vollkommen verrückt, wenn ich nur in ihrer Nähe bin. Heute, bei der Magenspiegelung…, am liebsten hätte ich die ganze Prozedur über mich ergehen lassen, nur um sie ihr zu ersparen. Sie hat mir so leid getan, und wenn ihr irgend etwas Ernsthaftes fehlen würde…« Er beendete den Satz nicht, doch Dr. Daniel verstand auch so, was er sagen wollte.

      »Im Augenblick sieht es aus, als würde ihr überhaupt nichts fehlen«, meinte er. »Ich habe sogar den starken Verdacht, daß Eva-Maria lügt – aus welchem Grund auch immer.«

      Heftig schüttelte Sàndor den Kopf. »Das glaube ich nicht. Sie ist so zart und unschuldig…, sie könnte doch überhaupt nicht lügen.«

      Dr. Daniel spürte, wie enttäuscht Sàndor sein würde, wenn sich herausstellen würde, daß er mit seinem tiefen Glauben an Eva-Maria falsch lag.

      »Vielleicht hast du recht«, räumte er ein, obwohl er nicht daran glaubte. Andererseits – welchen Grund sollte Eva-Maria haben, so hartnäckig zu lügen?

      In diesem Moment fiel es Dr. Daniel wie Schuppen von den Augen. Sàndor! Nur er konnte der Grund für alles sein! Ihre Übelkeit und die angeblichen Magenschmerzen hatten angefangen, als von Entlassung aus der Klinik die Rede gewesen war. Aber allem Anschein nach wollte Eva-Maria gar nicht entlassen werden, und das lag sicher nicht daran, daß sie sich in der Waldsee-Klinik inzwischen so heimisch fühlte.

      »Sàndor, du entschuldigst mich bitte einen Moment«, erklärte Dr. Daniel. »Ich muß mich mit Dr. Scheibler unterhalten.«

      Der junge Mann nickte, warf noch einen Blick zu der Tür, hinter der er Eva-Maria wußte, und sah dann Dr. Daniel wieder an.

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