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      »Guten Morgen«, flüsterte Eva-Maria. Sie scheute sich davor, ihn einfach Sàndor zu nennen, hatte aber auch nicht den Mut, nach seinem Nachnamen zu fragen.

      Mit geübten Griffen legte Sàndor die Manschette um Eva-Marias Oberarm, pumpte auf und drückte dann das Stethoskop in ihre Armbeuge. Dabei berührten seine Fingerspitzen ihre Haut, und obwohl die Berührung an sich nichts Intimes ausdrücken sollte, klopfte Eva-Marias Herz so laut, daß sie das Gefühl hatte, Sàndor müßte es hören.

      Mein Blutdruck muß jetzt mindestens bei zweihundert liegen, dachte Eva-Maria.

      »130 zu 70«, erklärte Sàndor, und das junge Mädchen hätte am liebsten die Augen geschlossen, um seine tiefe, weiche Stimme in sich nachklingen zu lassen.

      Er griff nach ihrem Handgelenk, um den Puls zu zählen, und nun konnte Eva-Maria ihr Vibrieren nicht mehr unterdrücken. Erstaunt sah Sàndor sie an.

      »Sie zittern ja«, stellte er fest, dann lächelte er. »Sie werden doch wohl keine Angst vor mir haben, Fräulein Neubert.«

      »Nein«, hauchte Eva-Maria und wurde über und über rot. »Es ist nur…, diese ganze Atmo-sphäre hier im Krankenhaus…, das alles macht mich ein bißchen nervös, und…, ich fühle mich auch nicht besonders gut…«

      Aufmerksam sah Sàndor sie an. »Soll ich Frau Dr. Reintaler Bescheid sagen? Oder lieber Dr. Daniel?«

      Hastig schüttelte Eva-Maria den Kopf. »Das ist sicher nicht nötig. Ich…, ich brauche bestimmt nur etwas Ruhe.«

      »Ich bin gleich fertig«, erwiderte Sàndor.

      »Nein, so war das nicht gemeint«, entgegnete Eva-Maria rasch. Sie wollte seine Gesellschaft doch so lange wie möglich auskosten.

      »Sàndor!« Schwester Bianca schaute zur Tür herein. »Beeil dich. Wir müssen Frau Gerber aus dem Aufwachraum holen, sonst wird Dr. Parker giftig.«

      Sàndor lächelte, was Eva-Maria erneut völlig dahinschmelzen ließ.

      »Das kann ich mir bei ihm gar nicht vorstellen«, meinte er, während er schon seine Sachen zusammenräumte und sich mit einem freundlichen »bis heute mittag« von Eva-Maria verabschiedete.

      »Täusch’ dich nicht«, erwiderte Bianca. »Dr. Parker hat gerade zum zweiten Mal hier oben angerufen und gefragt, wo wir bleiben. Der Aufwachraum ist nicht so groß, daß…«

      Mehr hörte Eva-Maria nicht mehr, weil sich die Tür nun hinter Bianca und Sàndor schloß. Sehnsüchtig blickte sie ihm nach. »Bis heute mittag«, hatte er gesagt und dabei gelächelt.

      Eva-Maria seufzte. »So wird er alle Patienten anlächeln.«

      Sie warf einen Blick auf die Uhr. Noch fast vier Stunden würden vergehen, bis sie ihn wiedersah. Er würde ihr das Mittagessen bringen, Puls, Blutdruck und Temperatur kontrollieren und dann wieder gehen.

      Eva-Maria runzelte die Stirn. Wenn irgend etwas vorfallen würde, was ihn länger in ihrem Zimmer hielt…

      Ich könnte einen Schwindelanfall vortäuschen, dachte sie. Dann müßte er sich doch um mich kümmern. Oder noch besser – eine Ohnmacht.

      Sie lächelte vor sich hin. Heute mittag würde sie ihn jedenfalls länger in ihrem Zimmer gefangenhalten.

      Doch Dr. Daniel machte ihr, ohne etwas von ihren zärtlichen Gefühlen für Sàndor zu ahnen, einen Strich durch die Rechnung. Der junge Mann hatte gerade das Tablett auf dem fahrbaren Nachttischchen abgestellt, als Dr. Daniel mit einem fröhlichen Gruß ins Zimmer trat.

      »Nun, Eva-Maria, wie fühlst du dich?« fragte er, während sich Sàndor diskret zurückziehen wollte. Doch Dr. Daniel wandte sich ihm noch einmal zu. »Warte draußen auf mich. Ich möchte mich ein bißchen mit dir unterhalten.«

      »Ja, Herr Dr. Daniel, gern«, stimmte er zu und lächelte – ein Beweis für Eva-Maria, daß Sàndor tatsächlich zu jedem so freundlich war wie zu ihr.

      »Entschuldige, Eva-Maria«, erklärte Dr. Daniel nun. »Es gehört sich eigentlich nicht, eine Frage zu stellen und sich dann mit jemand anderem zu unterhalten, aber ich wollte verhindern, daß mir Sàndor wieder durch die Lappen geht. Schon seit Tagen versuche ich vergeblich, ihn zu treffen.«

      »Kennen Sie ihn denn?« wollte Eva-Maria wissen.

      Dr. Daniel nickte. »Ja, fast so gut wie dich. Er ist hier in Steinhausen aufgewachsen.«

      »Komisch«, murmelte Eva-Maria. »Ich habe ihn nie zuvor gesehen.«

      »Das ist nicht weiter verwunderlich. So ein kleines Dorf ist Steinhausen ja heute auch nicht mehr. Außerdem ist Sàndor in den vergangenen Jahren in München zur Schule gegangen und hat in seiner Freizeit viel gelernt.« Er schwieg kurz. »Aber wir wollten eigentlich nicht über Sàndor sprechen, sondern über dich. Also, mein Kind, wie fühlst du dich?«

      »Ganz gut«, meinte Eva-Maria. »Ich habe keine Schmerzen mehr, und Frau Dr. Reintaler hat bei der Visite gesagt, mein Zustand wäre mehr als zufriedenstellend.«

      Dr. Daniel nickte und warf einen Blick in die Krankenakte, die er sich mitgebracht hatte, dann lächelte er Eva-Maria an.

      »Ich glaube, wir können uns bald über deine Entlassung unterhalten.« Er überlegte eine Weile. »Übers Wochenende möchte ich dich noch hierbehalten, aber ich denke, am Montag kannst du dann wieder nach Hause.«

      »Das ist schön«, behauptete Eva-Maria und versuchte ihr Entsetzen über diese Nachricht zu verbergen. Nach Hause! Das bedeutete für sie – weg von Sàndor. Nein, sie wollte nicht nach Hause! Nicht jetzt schon!

      Irgend etwas muß mir einfallen, damit ich diese Entlassung verhindern kann, dachte sie verzweifelt. Irgend etwas…

      *

      Sarina von Gehrau erschrak zutiefst, als sie Brigitte Klein sah. Blaß und schmal lag sie in ihrem Bett, starrte blicklos vor sich hin und erweckte den Eindruck, als wäre sie schwer krank, jedenfalls aber keine werdende Mutter.

      »Brigitte«, sprach Sarina sie leise an.

      Die junge Frau hob den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln, das ihr kläglich mißlang. Spontan setzte sich Sarina auf die Bettkante und griff nach Brigittes Hand.

      »Dr. Daniel hat gesagt, daß es dir nicht gut geht«, erklärte sie.

      Brigitte seufzte. »Das ist noch untertrieben, Sarina. Ich fühle mich miserabel. Ich habe Schwangerschafts-Diabetes – so schlimm, daß ich Insulin spritzen muß.« Mit einer fahrigen Handbewegung wischte sie sich über die Augen. »Oliver ist so lieb zu mir…, er will mir helfen, dabei sehe ich ihm an, wie schwer er selbst unter der ganzen Last trägt. Ich bin schwanger, zuckerkrank, und er steht mit den vielen Schulden allein da. Sarina, ich wünschte, Dr. Daniel hätte einer Abtreibung zugestimmt.«

      Doch Sarina schüttelte ernst den Kopf. »Das hättest du niemals wirklich gewollt. Erinnerst du dich noch, wie wir uns einmal über dieses Thema unterhalten haben?«

      Wieder seufzte Brigitte. »Natürlich erinnere ich mich. Ich habe gesagt, wenn Mutter und Kind gesund sind, dann gibt es immer einen Weg, und dieser Ansicht bin ich auch jetzt noch, aber…, ich bin nicht gesund, und ich weiß nicht, ob mein Kind es sein wird.«

      »Das kann Dr. Daniel feststellen, und wenn für dich oder das Kind auch nur die geringste Gefahr bestehen sollte, dann würde er einer Abtreibung zustimmen, das weißt du so gut wie ich.«

      Ein wenig verlegen senkte Brigitte den Kopf. »Er ist so gut…, so fürsorglich zu mir, und ich danke es ihm so schlecht.«

      »Dafür hat er Verständnis«, versicherte Sarina. »Er weiß genau, in welch schlimmer Situation du steckst, und ich glaube, er macht sich große Sorgen um dich.«

      »Aber wirklich helfen kann er mir leider auch nicht«, entgegnete Brigitte niedergeschlagen, und Sarina wußte, daß sie dabei nicht so sehr an den medizinischen Aspekt dachte.

      »Ist

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