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Und hier eine Frau, die unter dem Kindersegen ihrer Schwester litt und eine Schwangerschaft vortäuschte, um… ja, warum eigentlich? Um ihren Mann zu halten? Sie mußte doch gewußt haben, daß dieser Schwindel in absehbarer Zeit auffliegen würde.

      Dr. Daniel seufzte. Er war immer bestrebt, seinen Patientinnen zu helfen… und gelegentlich auch den Menschen, die nicht unbedingt zu seinem Patientenkreis gehörten. Allerdings mußte auch er gelegentlich erkennen, daß es nicht immer möglich war zu helfen. Natalie Meinhardt war das beste Beispiel dafür. Er konnte ihr die Fruchtbarkeit, die der gewissenlose Dr. Kreutzer ihr in einer fehlerhaft durchgeführten Operation genommen hatte, nicht zurückgeben, sondern nur versuchen, ihr beizustehen, damit sie irgendwann in der Lage sein würde, ihr Leben so zu meistern, wie es jetzt war.

      Sein Blick wanderte wieder über Melanies Gesicht, in dem es noch immer wie im Schmerz zuckte. Dabei hoffte er inständig, daß er ihr würde helfen können… daß ihrer Kinderlosigkeit ein Problem zugrunde lag, das er beheben konnte.

      *

      Natalie und Tobias hatten zwei zauberhafte Tage in Paris verbracht, und dabei fiel die Tatsache, daß Tobias als Busfahrer ziemlich eingespannt war, überhaupt nicht ins Gewicht, denn Natalie hatte ja Gelegenheit, ständig mit ihm zusammen zu sein. Wenn er am Steuer saß, war sie direkt hinter ihm und brauchte nur eine Hand auszustrecken, um ihn berühren zu können. Sie tat es oft, wenn auch heimlich, weil sie nicht wollte, daß die Damen und Herren der Reisegesellschaft und auch die junge Reisebegleiterin zuviel von ihrer Liebe zu Tobias mitbekamen. Diese Liebe, die von Stunde zu Stunde wuchs, sollte etwas sein, was ihr und Tobias ganz allein gehörte.

      An dem freien Nachmittag hatte Tobias ihr »sein« Paris gezeigt. Hoch oben auf dem Eiffelturm hatte er ihr die Stadt der Liebe zu Füßen gelegt. Spätestens seit dieser Stunde, die sie über den Dächern von Paris zugebracht hatten, gab es für Natalie keinen Gedanken mehr an Trennung. Sie und Tobias gehörten zusammen – auch ohne Kind. Den Problemen, die sich daraus vielleicht ergeben würden, würde sie sich erst stellen, wenn es soweit war. Das hatte sie sich fest vorgenommen.

      Dann kehrten sie Paris den Rücken und fuhren weiter Richtung Süden. Am Donnerstagabend erreichten sie Orange, eine lebhafte Kleinstadt in der breiten Rhôneebene. Hier übernachteten sie und brachen am nächsten Morgen zu einem der reizvollsten Abschnitte ihrer Reise auf. Es ging quer durch die Camargue; die Ursprünglichkeit dieses Fleckchens Erde rührte Natalie an.

      Am frühen Vormittag stieg die gesamte Reisegesellschaft aus, als ein Schwarm Flamingos in einer rosaroten Wolke über den Bus hinwegzog. Wenig später wurden sie von der jungen Reisebegleiterin erneut aufgefordert auszusteigen, denn sie hatte einige Gar-

      diens auf den Bus zukommen sehen, die auf ihren Pferden eine Herde schwarzer Stiere vor sich hertrieben. Das alles war so urwüchsig, so voller Natur, daß die meisten Mitglieder der Reisegesellschaft nur dastanden und Reiter, Pferde und Stiere entzückt beobachteten.

      Dann erreichten sie den riesigen Étang de Vaccarès, auf dem sich Reiher und buntschillernde Enten tummelten. Wieder stiegen die Reisenden aus, gingen zu Fuß des Rest des Weges bis hinunter zum See und bewunderten Vögel, die sie noch nie im Leben gesehen hatten, während der über den Lagunen stehende Leuchtturm le phare de la Gacholle wie ein einsamer Wächter zu ihnen herüberzugrüßen schien. Eine sanfte Brise trug den Salzgeruch des Meeres bis hierher.

      Ein wenig abseits der Reisegesellschaft waren Tobias und Natalie stehengeblieben. Trotz der vielen Leute fühlten sie sich hier, als wären sie allein auf der Welt. Zärtlich griff Tobias nach Natalies Hand und drückte sie sanft.

      »Man nennt die Camargue das Land ohne Zeit«, erklärte er leise. »Sie besitzt keinen Horizont… alles scheint unendlich zu sein – auch die Liebe.« Er schwieg kurz. »In diesem Land wünscht man sich, eine Wurzel zu sein, damit man nie wieder von hier weggehen muß.«

      Natalie bedachte ihn mit einem langen Blick. »Es wäre schön, wenn wir einfach hierbleiben könnten.«

      Tobias sah zu der Reisegesellschaft hinüber. »Das geht leider nicht.« Dann lächelte er Natalie wieder an. »Aber es steht uns ja frei, zurückzukommen.«

      Da seufzte Natalie leise.

      »Steht es uns wirklich frei?« fragte sie, schüttelte den Kopf und gab die Antwort gleich selbst. »Wir haben Verpflichtungen, Tobias – du noch viel mehr als ich.«

      »Was zählen Verpflichtungen in einem Land ohne Zeit?«

      Wieder versanken ihre Blicke ineinander, und erst der warnende Schrei eines über sie hinwegziehenden Reihers riß sie in die Wirklichkeit zurück. Als letzte bestiegen sie den Bus und fühlten sich einander dabei so nah wie nie zuvor.

      Nach einem echt provencalischen Mittagessen, das sie in der traditionsreichen Stadt Arles einnahmen, setzten sie ihre Fahrt Richtung Marseille von dort an der Küste entlang fort. Sie passierten St. Tropez, Cannes, Antibes und erreichten gegen Abend schließlich Nizza. Hier wollte Tobias den Zauber vom Vormittag wieder einfangen.

      »Ich möchte noch einen kleinen Ausflug mit dir machen«, erklärte er, als die Reisegesellschaft ausgestiegen war. Die meisten verschwanden noch in der kleinen Hotelbar, einige unternahmen einen abendlichen Spaziergang über die Strandboulevards, doch für Tobias war das alles nicht romantisch genug.

      Natalie lächelte ihn an. »Heißt das, der Bus gehört jetzt nur uns beiden?«

      Tobias mußte schmunzeln. »Ich weiß schon, für einen romantischen Ausflug ist ein Reisebus nicht das passendste Gefährt, aber im Augenblick habe ich nichts anderes zur Verfügung.« Er verbeugte sich theatralisch. »Darf ich bitten, Mademoiselle?«

      Natalie mußte lachen, und dabei fiel ihr wieder auf, wie fröhlich sie in der vergangenen Woche geworden war. Tobias und Dr. Daniel hatten recht gehabt: Diese Reise tat ihr wirklich gut. Sie hatte seit der Abfahrt so viel Schönes erlebt, und die Liebe zu Tobias füllte sie so sehr aus, daß ihre Gedanken immer seltener um die schicksalsschwere Operation kreisten, die nun schon seit mehr als einem Jahr hinter ihr lag.

      Es war keine weite Fahrt, die Tobias geplant hatte. Sie ging nur bis zu dem beschaulichen Ferienort Villefranche, hier kannte Tobias ein gemütliches kleines Bistro. Als er wieder Champagner bestellte, schmunzelte Natalie.

      »Ich dachte, es wäre nur in Paris eine Sünde, etwas anderes als Champagner zu trinken«, neckte sie ihn.

      »Nicht nur in Paris«, entgegnete Tobias, »sondern überall in Frankreich, wenn man eine schöne Frau bei sich hat.«

      Er wartete, bis der Ober den Champagner serviert hatte, dann zog er mit einer feierlichen Geste ein kleines Päckchen aus der Innentasche seines Jacketts.

      »Ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um dir eine Frage zu stellen«, begann er, während er das Päckchen über den Tisch zu Natalie schob. »Ursprünglich wollte ich mir das für Venedig aufheben, doch ich halte es nicht länger aus. In den vergangenen Tagen habe ich gespürt, was mit uns passiert ist, und ich glaube, dir geht es genauso. Ich wußte bereits vor der Abfahrt, daß ich ohne dich nicht mehr leben will, und so wie ich dich in der vergangenen Woche erlebt habe…« Er beendete den Satz nicht, sondern schob das Päckchen noch ein bißchen näher zu Natalie hin. »Mach es auf.«

      Mit zitternden Fingern öffnete sie das schmale Band und nahm schließlich das Geschenkpapier mit den winzigen Veilchen ab. Zum Vorschein kam ein schwar-zes Kästchen. Als Natalie nach kurzem Zögern den Deckel aufmachte, konnte sie einen leisen Ausruf des Entzückens nicht unterdrücken. Auf tiefblauem Samt lag ein zarter goldener Ring,

      den ein herzförmiger Diamant schmückte.

      »Wenn wir zu Hause sind, möchte ich, daß du meine Frau wirst«, fuhr Tobias jetzt fort, dann nahm er den Ring heraus und steckte ihn Natalie an den Finger, doch danach ließ er ihre Hand nicht wieder los, sondern hielt sie fest, während seine Augen in den ihren zu lesen versuchten. »Bitte, Natalie, sag ja.«

      Ein sanftes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Wie sollte ich da nein sagen können?« Dann wurde sie ernst. »Ich habe noch immer Angst vor diesem Zusammenleben, Tobias, aber in einem

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