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      Natalie Meinhardt war bis zuletzt unsicher, ob die Reise mit Tobias wirklich das Richtige für sie sein würde. Die Koffer waren bereits gepackt, als sich Natalie ganz überstürzt auf den Weg zu Dr. Daniel machte.

      »Herr Doktor, ich weiß nicht, was ich tun soll«, gestand sie und wirkte dabei sichtlich nervös, dann erzählte sie von Tobias’ Vorschlag. »Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich mitfahren soll. Wenn wir nun unterwegs merken, daß es nicht geht… daß wir uns nicht verstehen… nicht miteinander leben können…« Sie stockte und zuckte hilflos die Schultern.

      Dr. Daniel betrachtete sie eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. »Sie haben keine Angst davor, daß es nicht gehen könnte, sondern vielmehr fürchten Sie, daß sich durch diese Reise Ihre Beziehung zu Herrn Scholz festigen wird. Fräulein Meinhardt, Sie haben sich schon viel zu sehr in den Gedanken verrannt, daß Sie es nicht wert sind, geliebt zu werden. Das ist natürlich blanker Unsinn, denn Sie können schließlich nichts für den groben Fehler, der Dr. Kreutzer bei der Opera-tion an Ihnen unterlaufen ist.«

      »Darum geht es nicht«, behauptete Natalie. »Ich glaube manchmal, Tobias hat die Endgültigkeit dieser Operation noch immer nicht begriffen. Vielleicht denkt er…«

      »Fräulein Meinhardt.« Mit besonders sanfter Stimme fiel Dr. Daniel ihr ins Wort. »Ich kenne Herrn Scholz nur flüchtig, aber er scheint mir doch ein Mann zu sein, der mit beiden Beinen im Leben steht. Sie können versichert sein, daß er ganz genau weiß, was es bedeutet, wenn einer Frau Gebärmutter und Eierstöcke herausoperiert worden sind. Allerdings sollten Sie einfach glücklich darüber sein, daß Herr Scholz Ihnen eine so aufrichtige, tiefe Liebe entgegenbringt.«

      Hartnäckig schüttelte Natalie den Kopf. »Er weiß doch gar nicht, was es bedeutet, mit mir zusammenzuleben. Wenn ich meine Tabletten nicht nehme, bin ich wie eine Frau in den Wechseljahren.« Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte auf. »Herr Doktor, ich habe Angst vor diesem Zusammenleben. Ich habe Angst, Tobias zu verlieren.«

      Spontan kam Dr. Daniel um seinen Schreibtisch herum und beugte sich zu Natalie hinunter. Mit sanfter Gewalt nahm er ihr die Hände vom Gesicht und suchte ihren Blick.

      »Machen Sie diese Reise mit Herrn Scholz«, riet er ihr. »Lassen Sie sich davon überzeugen, daß er Sie so liebt, wie Sie sind.« Behutsam drückte er ihre Hand. »Es wird noch eine Weile dauern, bis Sie die folgenschwere Operation verarbeitet haben, und vielleicht noch länger, bis Sie Ihren Körper so, wie er jetzt ist, akzeptieren können. Aber eines kann ich Ihnen mit absoluter Sicherheit sagen: Sie sind durch diese Operation kein Mensch zweiter Klasse geworden, und vor allen Dingen – Sie sind es wert, geliebt zu werden.«

      *

      Das Gespräch mit Dr. Daniel hatte Natalie geholfen, trotzdem war sie noch nicht restlos überzeugt, das Richtige zu tun, als sie tags darauf in den Reisebus stieg und hinter dem Fahrersitz Platz nahm. Tobias drehte sich zu ihr um und lächelte sie an. Dabei sprach sein ganzes Gesicht von Liebe, seine Augen streichelten sie, und Natalie fühlte, wie ihr unter diesem Blick ganz warm wurde.

      »Es ist ein seltsames Gefühl für mich, wieder hinter dem Steuer zu sitzen«, gestand Tobias, obwohl er eigentlich etwas völlig anderes hatte sagen wollen. Er wollte sagen, wie glücklich er war, weil sie nach der langen Zeit des Zögerns nun doch an der Reise teilnahm… ihnen beiden und ihrer Liebe damit eine Chance gab… eine Zukunft…

      »Abgesehen von ein paar Linienbusfahrten habe ich die letzten Jahre überwiegend am Schreibtisch verbracht«, fuhr er fort, während seine Augen das reinste Liebeslied sangen.

      Natalie lächelte. »Ich glaube, du bist ein guter Fahrer.« Für einen Augenblick legte sie ihre Hand auf seinen Arm. »Ich freue mich auf die Zeit mit dir.«

      Tobias’ Herz machte einen Luftsprung. Bis zuletzt hatte er damit rechnen müssen, daß sich Natalie doch noch gegen die Reise mit ihm entscheiden würde. Damit wäre klar gewesen, daß es ihr mit dem Wunsch nach einer Trennung ernst gewesen war, doch nun stand die Tür zu einer gemeinsamen Zukunft zumindest einen Spaltbreit offen.

      »Hallo, Bruderherz.«

      Mit diesen Worten stieg Patrick in den Bus, lächelte Tobias an und wandte sich dann Natalie zu. »Ihr werdet eine wunderbare Zeit haben. Warst du schon einmal in Paris?«

      Natalie schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«

      Da grinste Patrick. »Was heißt hier ›leider‹? Paris darf man nicht allein kennenlernen. Man muß es zusammen mit einem Menschen sehen, den man liebt. Und dazu muß man bei Nacht oder bei Regen dort ankommen.«

      Erstaunt sah Natalie ihn an. »Bei Regen? Na, das stelle ich mir aber nicht sehr erbaulich vor.«

      »Keine Stadt der Welt duftet so süß wie Paris im Regen«, erklärte Patrick, dann wandte er sich seinem Bruder zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Fahr’ vorsichtig, Tobias.«

      Dieser schmunzelte. »Du klingst ja wie ein besorgter Vater.«

      Patrick blieb ernst. »Der Bus ist mein zweites Zuhause, ich weiß, wie gefährlich es oft ist. Du hast keine Routine mehr, Tobias, also bitte, sei vorsichtig, ja?«

      »Keine Sorge, Patrick, ich bringe sowohl die Reisegesellschaft als auch deinen Bus heil wieder nach Hause. Im übrigen gab es auch für mich mal eine Zeit, wo der Bus mein zweites Zuhause war, und ich kann mich an die Gefahren einer längeren Busfahrt sehr gut erinnern.«

      Die Brüder verabschiedeten sich, dann fuhr Tobias los, lenkte den Bus aus der Einfahrt und steuerte die erste Haltestelle an, an der sie Reisende aufnehmen würden. Natalie lehnte sich zurück, doch sie sah nicht aus dem Fenster. Ihr Blick ruhte auf Tobias’ Händen, die so sicher auf dem riesigen Steuer des Busses lagen und von denen sie wußte, wie zärtlich sie sein konnten. Fast glaubte sie, das sanfte Streicheln zu fühlen.

      Unwillkürlich mußte sie an Dr. Daniels Worte denken. »Sie sind es wert, geliebt zu werden.«

      Allein mit seinem Blick hatte Tobias ihr bewiesen, daß er ebenso dachte, und Natalie fragte sich, weshalb sie es ihm nicht einfach glauben konnte. Mit beiden Händen berührte sie ihren Bauch, und dabei hatte sie wieder das Gefühl, als könnte sie die Leere da drin spüren. Tränen brannten in ihren Augen, ihr Herz schmerzte. Sie sehnte sich so verzweifelt nach Liebe… nach einer Ehe… einem Kind…

      Ihr Blick wanderte zum Fenster hinaus, und sie zwang ihre Gedanken in eine andere Richtung. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, daß sie mit dieser Fahrt doch einen Fehler gemacht hatte.

      *

      Am zweiten Tag ihrer Reise erreichten sie Paris. Die Nacht war bereits hereingebrochen, und wie alle anderen im Bus war auch Natalie hingerissen von der funkelnden Lichterstadt.

      »Wir werden zwei Tage in Paris bleiben«, erklärte die junge Reisebegleiterin, die in München zugestiegen war, durch das Mikrofon, während Tobias den Bus in die Tiefgarage des Hotels lenkte. »Morgen vormittag um zehn Uhr haben Sie die Möglichkeit, an einer Stadtrundfahrt teilzunehmen, der Nachmittag steht zu Ihrer freien Verfügung. Am Donnerstagvormittag unternehmen wir einen Ausflug nach Versailles und beabsichtigen, am frühen Nachmittag von dort weiterzufahren. Unsere nächste Station wird die Camargue sein.« Sie machte eine kurze Pause, dann fügte sie hinzu: »Ich wünsche Ihnen – auch im Namen von Herrn Scholz – eine gute Nacht.«

      Die Fahrgäste applaudierten, dann stiegen sie aus und ließen sich von der jungen Reisebegleiterin zur Rezeption des Hotels begleiten. Nur Natalie blieb im Bus. Lächelnd drehte sich Tobias zu ihr um.

      »Hast du noch Lust auf einen kleinen Spaziergang?« wollte er wissen.

      Natalie nickte. »Das Erlebnis, mit dir zusammen Paris bei Nacht zu entdecken, lasse ich mir doch nicht entgehen.«

      Arm in Arm verließen sie die Tiefgarage und stellten fest, daß es leicht zu regnen begonnen hatte. Ganz tief atmete Natalie ein, dann lächelte sie Tobias an.

      »Patrick hatte recht«, meinte sie. »Paris duftet bei Regen wirklich süß.«

      »So süß wie

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