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denn plötzlich hatte das Kleid keinen sackähnlichen Charakter mehr. Mit der sanften Wölbung, die sich darunter abzeichnete, sah es sogar hübsch aus. Melanie drehte sich vor dem Spiegel, ein glückliches Strahlen erhellte ihr Gesicht, dann schloß sie die Augen und streichelte über den Bauch, den sie sich mit Hilfe eines Kissens hingezaubert hatte. Fast glaubte sie, die Bewegungen eines Babys zu spüren… dieses sanfte Pochen, von dem Manuela während ihrer ersten Schwangerschaft erzählt hatte. Damals war ihre Welt noch in Ordnung gewesen, sie hatten über alles sprechen können, doch jetzt…

      Das Klingeln an der Haustür fiel in Melanies Gedanken. Erschrocken zuckte sie zusammen, dann lief sie zur Tür und öffnete, ohne sich daran zu erinnern, daß sie noch immer das Umstandskleid mit dem Kissen darunter trug.

      Der gut sichtbare Bauch war denn auch das erste, was Manuela Stumpe ins Auge stach. Fassungslos starrte sie ihre Zwillingsschwester an.

      »Melanie…«, brachte sie mühsam hervor, dann berührte sie mit den Fingerspitzen das Kleid. »Seit wann…«

      Ein eisiger Schauer lief über Melanies Rücken. Was sollte sie jetzt tun? Die Wahrheit sagen? Gestehen, daß sie sich Barbara Gutmann gegenüber als Manuela ausgegeben hatte… nein, nicht ganz. Sie hatte ja nur den Irrtum der Rentnerin nicht aufgeklärt. Sollte sie sagen, daß sie zusammen mit Oma Gutmann das Umstandskleid ausgesucht hatte und sich jetzt ein einziges Mal wie eine Schwangere hatte fühlen wollen? Manuela würde sie für verrückt erklären, und vermutlich war sie das ja auch.

      »Es hat endlich geklappt«, hörte sich Melanie sagen und fragte sich gleichzeitig, wie sie aus dieser Lüge jemals wieder herauskommen sollte.

      Spontan umarmte Manuela ihre Schwester.

      »Oh, Melanie, ich freue mich für euch!« rief sie, und ihr glückliches Lächeln bewies, daß sie diese Worte ernst meinte, dann glitt ihr Blick wieder zu Melanies Bauch. »Du mußt es aber doch schon länger wissen. Ich meine… nun ja, nach deinem Bäuchlein zu schließen, bist du nicht im zweiten oder dritten Monat. Ich vermute, daß wir beide in etwa zur selben Zeit entbinden werden.« Sie schwieg kurz. »Als ich dich angerufen und von meiner Schwangerschaft erzählt habe, da müßtest du es doch auch längst gewußt haben. Warum hast du nichts gesagt?«

      Wieder wurde es Melanie abwechselnd heiß und kalt. Sie war nahe daran, in Tränen auszubrechen und die Wahrheit zu gestehen, doch jetzt konnte sie sich vor ihrer Schwester erst recht keine Blöße mehr geben.

      »Komm erst mal herein, Manuela«, bat sie, dann begleitete sie ihre Zwillingsschwester ins Wohnzimmer. Sie setzten sich, und Melanie spielte nervös mit dem Saum ihres Kleides. Nur zu deutlich spürte sie den Druck des Kissens unter ihrer Seidenstrumpfhose.

      »Weißt du, ich habe absichtlich so lange nichts gesagt, weil…« Melanie stockte. Es widerstrebte ihr, Manuele zu belügen, doch sie sah keinen anderen Ausweg, ohne sich bis auf die Knochen zu blamieren. Im Moment mußte sie die Lügen durchstehen und später nach einem Ausweg suchen. Vielleicht konnte sie ja behaupten, eine Fehlgeburt erlitten zu haben.

      »Ich hatte anfangs immer wieder Blutungen«, fuhr Melanie fort und schämte sich dabei ganz entsetzlich. Warum hatte sie sich auf dieses Spiel eingelassen? Wenn sie gleich die Wahrheit gesagt… über ihren Kummer gesprochen hätte… Manuela hatte immer Verständnis gehabt.

      »Ich hatte Angst, das Baby zu verlieren«, fuhr Melanie fort, dann senkte sie den Kopf. »Karlheinz… er weiß es auch noch nicht.«

      »Wie bitte?« entgegnete Manuela überrascht. »Aber… er muß es doch sehen.«

      Melanie errötete. »Er… er hat mich verlassen – schon vor fast zehn Wochen. Seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr.«

      Manuela war erschüttert. »Er hat dich verlassen? Aber… wenn du ihm gesagt hättest, daß du ein Kind erwartest. Melanie…«

      Sie seufzte tief auf. »Es war eine schwierige Zeit, die wir hatten. Wir konnten nicht mehr miteinander sprechen, und ich… ich war so in Sorge um das Baby. Ich wollte es nicht verlieren.« Je länger sie erzählte, desto mehr rückte der Gedanke, daß es nur Lügen waren, in den Hintergrund. Wie im Gespräch mit Barbara Gutmann fühlte sich Melanie plötzlich, als wäre sie wirklich schwanger.

      »Jetzt ist diese Gefahr vor-über«, erklärte Melanie. »Der Arzt hat gesagt, daß ich in ein paar Monaten ein gesundes Kind zur Welt bringen werde.« Sie lächelte glücklich. »Damit gibt es für Karlheinz und mich sicher einen neuen Anfang.«

      Sie streichelte über die Wölbung, die sich unter ihrem Kleid abzeichnete, und fühlte das Kissen. Schlagartig wurde ihr wieder bewußt, daß sie ja gar kein Baby erwartete.

      »Nun ja… vielleicht gibt es nicht gleich einen neuen Anfang«, schränkte sie ein. »Karlheinz und ich… wir werden sicher ein bißchen Zeit brauchen, um alle Probleme, die sich in den vergangenen Jahren angehäuft haben, beiseite zu räumen.«

      »Wenn ihr euch liebt, kommt sicher alles in Ordnung«, meinte Manuela. Sie griff nach der Hand ihrer Schwester und drückte sie sanft. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich für dich freue. Du mußtest auf dieses Glück so lange warten.« Lächelnd drohte sie mit dem Zeigefinger. »Aber ein bißchen böse bin ich schon. Wir haben uns zwar wochenlang nicht gesehen, aber du hättest mich ja wenigstens mal anrufen können. Schließlich weißt du genau, wie sehr ich die ganze Zeit mit dir gelitten habe.«

      Melanie senkte den Kopf. Sie spürte das Kissen in ihrer Strumpfhose und hätte am liebsten aufgeschrien vor Qual.

      »Ich hatte Angst, darüber zu sprechen«, behauptete sie leise. »Irgendwie dachte ich… wenn ich gleich am Anfang gesagt hätte, daß ich schwanger bin… und ich hätte das Baby verloren… ich glaube, das hätte ich nicht verkraftet.«

      Da legte Manuela einen Arm um die Schultern ihrer Schwester. »Dafür habe ich Verständnis, Melanie. Ich glaube, im umgekehrten Fall hätte ich es genauso gemacht.«

      Liebevoll drückte sie Melanie an sich und fühlte sich ihrer Schwester dabei so nah wie schon lange nicht mehr. Die alte Verbundenheit war wieder da, diese unerschütterliche Liebe, dieses Einssein, das es nur bei Zwillingen gibt. In diesem Moment war Manuela vollkommen sicher, daß es nie wieder etwas geben würde, das zwischen sie und Melanie treten könnte.

      *

      Als Natalie Meinhardt das Sprechzimmer von Dr. Daniel betrat, wirkte sie noch blasser und niedergeschlagener als bei ihrem letzten Besuch vor sechs Wochen.

      »Was ist los, Fräulein Meinhardt?« fragte Dr. Daniel behutsam. »Haben Sie Schmerzen?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Jedenfalls keine körperlichen.« Dann senkte sie den Blick. »Ich werde mich von Tobias trennen.«

      Aufmerksam betrachtete Dr. Daniel sie, dann meinte er: »Sie wirken nicht so, als wären Sie überzeugt, damit das Richtige zu tun.«

      »Mein Entschluß steht fest«, behauptete Natalie, doch Dr. Daniel spürte ihre Unsicherheit.

      »Warum kommen Sie dann zuerst zu mir, anstatt die Dinge gleich mit Herrn Scholz zu regeln?« wollte er wissen. Er stand auf, kam um seinen Schreibtisch herum und griff nach Natalies Hand. »Sie wollen von mir die Bestätigung, daß Ihr Entschluß richtig ist, aber die werden Sie nicht bekommen.«

      »Ich kann Tobias nicht ein Leben lang an mich fesseln!« begehrte Natalie auf. »Er hat das Recht auf eine richtige Frau!«

      »Sie sind eine richtige Frau«, entgegnete Dr. Daniel. »Im übrigen sollten Sie Herrn Scholz selbst entscheiden lassen, ob er das, was mit Ihnen geschehen ist, akzeptieren kann. Sie haben ihm von Anfang an die Wahrheit gesagt. Er weiß, daß Sie nie in der Lage sein werden, ihm ein Kind zu schenken. Trotzdem wollte er Sie auf jeden Fall wiedersehen. Er wollte mit Ihnen zusammensein, und ich nehme an, er will Sie auch heiraten. Warum sperren Sie sich gegen die Liebe, die Ihnen zuteil wird? Warum wollen Sie unbedingt darauf verzichten? Und vor allem – warum treffen Sie eine solche Entscheidung einfach für ihn?«

      Natalie, die anfangs voller Abwehr gewesen war, wurde jetzt nachdenklich. So hatte sie das Ganze noch nicht

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