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wird nicht nötig sein«, entgegnete sie. »Fräulein Meinhardt ist die andere Patientin, die noch im Wartezimmer sitzt.« Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. »Sie sieht sehr blaß aus.«

      Dr. Daniel nickte. »Das kann ich mir vorstellen.« Doch dann gestattete er sich keinen Gedanken mehr an Natalie, sondern konzentriere sich auf die Probleme der Patientin, die jetzt bei ihm im Sprechzimmer saß. Sowohl das Gespräch als auch die Untersuchung zogen sich ziemlich in die Länge. Dr. Daniel nahm sich für jede Patientin so viel Zeit wie nötig, auch wenn es dadurch zu Terminverschiebungen kam. Als er nach beendeter Untersuchung in sein Sprechzimmer zurückkehrte, wartete Natalie dort bereits auf ihn.

      Mit besonderer Herzlichkeit ergriff er ihre Hände.

      »Fräulein Meinhardt, gut, daß Sie gekommen sind«, meinte er. »Ich habe heute schon an Sie gedacht.«

      Die junge Frau nickte. »Ich nehme an, Sie haben das Urteil auch zugeschickt bekommen.« Sie wartete Dr. Daniels Antwort gar nicht ab, sondern fuhr sich mit einer nervösen Handbewegung über die Stirn. »Eine Weile dachte ich, es wäre ausgestanden, aber jetzt… Durch das Urteil kam alles wieder hoch.« Sie schwieg einen Moment, dann setzte sie scheinbar zusammenhanglos hinzu: »Seit gestern ist Tobias hier. Er wird in Steinhausen bleiben, aber… ich weiß nicht…« Sie sah Dr. Daniel an. »Kann ich ihm das zumuten? Ein Leben neben einer Frau, die gar keine richtige Frau mehr ist?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Ihr Gedankengang ist nicht richtig, Fräulein Meinhardt. Herr Scholz liebt Sie, weil Sie so sind, wie Sie sind.«

      Natalie seufzte. »Ja, das hat er auch gesagt, aber… ich werde ihm niemals ein Kind schenken können, und wenn ich meine Tabletten vergesse, dann…« Sie legte eine Hand über die Augen und schluchzte auf. »Ich fühle mich wie eine alte Frau… so, als wäre mein Leben schon vorbei, dabei bin ich doch erst zweiundzwanzig.«

      »Ihr Leben ist noch lange nicht vorbei, Fräulein Meinhardt«, entgegnete Dr. Daniel eindringlich. »Ich habe oft genug erlebt, wie schwer Frauen eine derartige Operation verkraften, doch in all diesen Fällen war sie dringend geboten. Bei Ihnen war sie es nicht, das macht alles noch schlimmer. Trotzdem sollten Sie versuchen, Ihr Leben wieder neu zu gestalten, und ich bin sicher, daß Herr Scholz dabei eine maßgebliche Rolle spielen wird. Im übrigen haben wir Ihre körperlichen Beeinträchtigungen mit den Hormontabletten doch schon ganz gut in den Griff bekommen.«

      Natalie nickte halbherzig. »Das ist zwar richtig, aber… der Gedanke an ein eigenes Kind, das ich nie haben kann, wird immer schlimmer. Wenn ich schwangere Frauen sehe, könnte ich weinen, das Lachen und Schreien von Kindern trifft mich mitten ins Herz, und seit Sabrina… die Frau von Tobias jüngerem Bruder, entbunden hat… ich kann das Baby nicht anschauen… ich bringe es einfach nicht übers Herz. Sabrina und Patrick haben angeblich Verständnis dafür, doch ich fürchte, daß sie in Wirklichkeit durch mein Verhalten sehr gekränkt sind.«

      »Nein, Fräulein Meinhardt, das sind sie ganz bestimmt nicht«, widersprach Dr. Daniel. »Ich kenne Sabrina von Geburt an und weiß, daß sie eine sehr liebe, warmherzige junge Frau ist. Wenn sie sagt, daß sie Verständnis für Ihr Verhalten hat, dann ist das auch die Wahrheit.« Väterlich legte er einen Arm um Natalies Schultern. »Lassen Sie sich ein bißchen Zeit, Fräulein Meinhardt. Es wird mit Sicherheit noch eine ganze Weile dauern, bis Sie das, was Dr. Kreutzer Ihnen angetan hat, wirklich verkraftet haben, aber Sie sollen wissen, daß Sie in dieser Situation nicht allein sind. Wenn Sie mit mir sprechen wollen, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung – auch außerhalb der normalen Praxiszeiten.«

      »Danke, Herr Doktor«, flüsterte Natalie gerührt. »Ich bin so froh, daß ich bei Ihnen gelandet bin. Sie und Tobias sind im Moment mein einziger Halt.«

      Dr. Daniel überlegte eine Weile. »Vielleicht sollten Sie sich einer Selbsthilfegruppe anschlie-ßen. Hier in Steinhausen gibt es zwar keine, aber meines Wissens müßte so etwas in der Kreisstadt existieren.«

      Doch Natalie schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Doktor, so etwas möchte ich nicht. Es mag egoistisch klingen, aber ich habe schon genug an meinem eigenen Schicksal zu tragen. Ich glaube nicht, daß es mir helfen würde, wenn mir andere auch noch ihr Leid erzählen würden.«

      »Es klingt nicht egoistisch«, erwiderte Dr. Daniel. »Eine Selbsthilfegruppe stellt für viele Betroffene eine seelische Stütze dar, aber nicht für alle.« Wieder überlegte er eine Weile. »Vielleicht können Sie sich zu gegebener Zeit mit dem Gedanken an eine Adoption vertraut machen. Allerdings sollten Sie damit nichts überstürzen. Zuerst müssen Sie diesen tiefen Einschnitt in Ihr Leben verarbeitet haben.«

      Natalie nickte.

      »Ich werde darüber nachdenken«, versprach sie, dabei war sie jetzt schon überzeugt davon, daß eine Adoption für sie nicht in Frage kommen würde. In ihren Augen war es unmöglich, daß ein fremdes Kind ihr auch nur annähernd so viel bedeuten könnte wie ein leibliches, und eine Adoption könnte sie auch nie darüber hinwegtrösten, daß ihr eigene Kinder für immer versagt bleiben würden…

      *

      Es war ein stiller Sonntagvormittag. Melanie Probst stand am Herd und bereitete das Mittagessen zu, während Karlheinz hinter ihr am Tisch saß. Das Rascheln von Papier, das in regelmäßigen Abständen ertönte, bewies, daß er sich mit der Zeitung beschäftigte, doch als sich Melanie umdrehte, sah sie, daß er blicklos vor sich hin starrte.

      Bereits während des Frühstücks war ihr ohnehin karges Gespräch völlig versiegt. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen, und wieder einmal wurde Melanie bewußt, daß das, was sie führten, längst keine Ehe mehr war, doch seltsamerweise berührte es sie nicht einmal. Karlheinz war die Liebe ihres Lebens gewesen, doch dann waren die Jahre vergangen, und ihr sehnlichster Wunsch hatte sich nicht erfüllt. Mit der Zeit war ihr Karlheinz immer gleichgültiger geworden. Ihre ganzen Gefühle hatten sich um ihren unerfüllten Kinderwunsch gesammelt; für einen Mann war da kein Platz mehr. Melanie lebte in einer eigenen Welt, die aus Kummer und Sehnsucht bestand und in die sie Karlheinz keinen Zutritt gewährte.

      »Melanie, wir müssen miteinander sprechen.«

      Karlheinz’ Stimme fiel in ihre Gedanken. Sie starrte ihn an wie ein Wesen von einem anderen Stern. Für einen Augenblick hatte sie seine Anwesenheit völlig vergessen, und fast nahm sie es ihm übel, daß er sich durch seine Worte wieder in Erinnerung brachte.

      »Ich muß kochen«, entgegnete Melanie lakonisch und widmete sich angelegentlich dem Topf, den sie auf dem Herd stehen hatte.

      »Das Geschnetzelte kocht von allein«, hielt Karlheinz dagegen, dann stand er auf, nahm seine Frau bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Bitte, Melanie.« Er schwieg und wartete auf eine Erwiderung, doch als diese ausblieb, fügte er hinzu: »Wenn dir unsere Ehe jemals etwas wert war, dann solltest du nicht versuchen, diesem Gespräch auszuweichen.«

      Melanie seufzte. »Laß mich in Ruhe, Karlheinz.«

      Etwas wie Schmerz zeichnete sich bei diesen Worten auf seinem Gesicht ab, als ihm bewußt wurde, wie lange Melanie ihn schon nicht mehr liebevoll »Kalle« genannt hatte.

      »Ich werde dich verlassen.«

      Karlheinz sprach die Worte aus, ohne es wirklich gewollt zu haben. Er hatte doch eigentlich über das Gegenteil reden wollen… über eine Chance für ihre Ehe.

      Melanies Blick war gleichgültig. Desinteressiert zuckte sie die Schultern.

      »Wenn du meinst.«

      Völlig fassungslos starrte Karlheinz sie an. »Ist das alles, was du dazu sagst? Melanie, ich spreche nicht von einer Geschäftsreise oder einem Wochenende, das ich mit Freunden verplant habe. Ich werde dich verlassen, ich meine das vollkommen ernst. Ich gehe – vielleicht für immer.«

      Melanie nickte. »Ich bin kein kleines Dummchen, Karlheinz. Ich habe deine Worte ganz richtig verstanden, und meine Antwort darauf ist, daß du gehen kannst, wenn du es für richtig hältst.«

      Resigniert ließ Karlheinz den Kopf sinken. »Irgendwie dachte ich, unsere Ehe wäre dir etwas mehr wert… zumindest eine Reaktion,

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