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– sie war schwanger, vermutlich verheiratet… glücklich verheiratet.

      Allein dieser Gedanke schnitt Andreas ins Herz, und sekundenlang war er versucht, einfach wieder nach Hause zu fahren, aber dann betrat er die Klinik doch und sah sich suchend um. Ein großer blonder Mann mit gütigen blauen Augen, dessen weißer Kittel ihn als Arzt auswies, kam auf ihn zu.

      »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er mit einem freundlichen Lächeln.

      »Ja… das heißt, ich weiß es nicht«, antwortete Andreas und wurde dabei sichtlich verlegen. Er kam sich in dieser Situation schrecklich dumm vor. »Ich suche jemanden… eine junge Frau.« Er fuhr sich mit einer Hand durch das dichte, dunkle Haar. »Oh, verdammt…«

      Aufmerksam sah der Arzt ihn an, dann deutete er auf die Bank, die an der linken Wandseite stand.

      »Kommen Sie, setzen wir uns erst mal«, schlug er vor. »Ich glaube, wir sollten uns etwas eingehender unterhalten.« Er wartete, bis Andreas Platz genommen hatte, dann setzte auch er sich. »Ich bin Robert Daniel, der hiesige Gynäkologe und Direktor diese Klinik.«

      »Andreas Korda«, stellte der junge Mann sich nun ebenfalls vor. »Ich wohne seit einem knappen Monat hier in Steinhausen, und… nun ja, vor ein paar Tagen… ich war gerade auf dem Weg zur Arbeit. Ich bin Lehrer in der Kreisstadt und hatte die ersten beiden Stunden frei. Ansonsten bin ich ja immer früher unterwegs…« Er stockte, weil er fühlte, wie er begann, sich in seinen eigenen Worten zu verheddern. »Das wird Sie alles wohl kaum interessieren.«

      »Mich interessiert es durchaus, was Sie mir erzählen«, entgegnete Dr. Daniel ruhig. »Ich glaube nämlich, daß Sie damit auf einen ganz bestimmten Punkt zusteuern.«

      Andreas nickte. »Ich fuhr gerade an dem kleinen Gemischtwarenladen vorbei, als eine Frau auf dem Gehsteig ausrutschte und schwer stürzte. Sie war schwanger und…« Er zuckte die Schultern. »Es geht mich zwar nichts an, aber… ich kriege die Erinnerung daran nicht mehr aus dem Kopf. Ich… ich möchte eigentlich nur wissen, ob es ihr gutgeht… ich meine… immerhin war sie ja schwanger, und…« Wieder fuhr er sich durch die Haare. Dieses ganze Drumherumgerede stimmte doch gar nicht. Er machte sich keine Sorgen um die junge Frau… doch, er machte sich schon Sorgen, aber aus einem völlig anderen Grund. Es gelang ihm einfach nicht, das zarte Gesicht zu vergessen. Sein Herz spielte schon verrückt, wenn er nur daran dachte, dabei kannte er die Frau überhaupt nicht, und noch vor wenigen Wochen hatte er sich über so etwas wie Liebe auf den ersten Blick lustig gemacht. Er hatte nie daran geglaubt, daß es so etwas geben könnte, und nun war es ihm selbst passiert.

      »Ich weiß allerdings nur, daß sie Katharina heißt«, fügte er leise hinzu. »Besser gesagt… ich hätte es gar nicht gewußt, aber Frau Hauser…« Er verstummte. Was mußte diese Dr. Daniel eigentlich von ihm denken?

      »Katharina ist noch hier in der Klinik«, erklärte Dr. Daniel. »Seit gestern liegt sie überdies auf der normalen Station, das heißt, daß ich nichts dagegen einzuwenden habe, wenn Sie ihr einen Besuch abstatten möchten. Dann können Sie sie selbst fragen, wie es ihr geht.«

      Andreas schluckte. »Sie kennt mich ja gar nicht. Wissen Sie, sie war bewußtlos. Ich kann doch nicht einfach…« Wieder brachte er den Satz nicht zu Ende.

      Da stand Dr. Daniel auf. »Kommen Sie, Herr Korda, ich begleite Sie, dann können wir die ganze Sache leicht aufklären, und ich bin sicher, daß sich Ka-tharina über so viel Besorgnis sehr freuen wird.«

      Andreas folgte ihm, doch als Dr. Daniel vor einer Zimmertür im ersten Stockwerk stehenblieb, hielt er ihn davon ab anzuklopfen.

      »Wird sie es nicht als sehr aufdringlich empfinden?« äußerte er seine Bedenken. »Ich meine… ich bin ein wildfremder Mann für sie, und sie… sie ist doch sicher verheiratet… immerhin ist sie ja schwanger.«

      »Das eine folgt nicht zwangsläufig aus dem anderen«, wandte Dr. Daniel ein. »Im übrigen ist es doch nichts Schlechtes, wenn jemand besorgt ist – ganz im Gegenteil. Ich finde es sehr lobenswert, daß Sie sich um eine fremde Frau solche Sorgen machen, und ich bin sicher, Katharina wird es ebenso empfinden. In unserer schnellebigen, hektischen Zeit machen sich die meisten leider nur noch wenige Gedanken um ihre Mitmenschen.«

      Dr. Daniel bemerkte sehr wohl, wie Andreas erneut verlegen wurde, und er konnte unschwer nachvollziehen, weshalb der junge Mann so besorgt um Katharina war. Seine Augen hatten nämlich sehr viel mehr gesagt als seine Worte.

      Jetzt klopfte Dr. Daniel an und trat gleich darauf ein.

      »Katharina, ich bringe Ihnen Besuch mit«, erklärte er mit dem ihm eigenen, warmherzigen Lä-cheln. »Sie kennen den jungen Mann zwar nicht, aber er hat gesehen, wie Sie gestürzt sind, und war die ganze Zeit über sehr in Sorge um Sie.«

      Katharina richtete sich auf und lächelte höflich, doch ihre Augen blieben dabei ernst. Jetzt trat Andreas in ihr Blickfeld, und obwohl sie damals auf der Straße nur einen ganz kurzen Blick auf ihn hatte erhaschen können, erkannte sie in ihm den Autofahrer, den sie fälschlicherweise für Nor-bert gehalten hatte.

      »Andreas Korda ist mein Name«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand. Sie war warm, und der Druck, mit dem sich seine Finger um Katharinas Hand schlossen, fest… verläßlich.

      »Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, erwiderte Katharina, und Andreas spürte, daß das nicht nur so dahergesagt war. Sie zeigte Interesse und Freude – beides war echt. »Man trifft nur noch selten Menschen, die sich um andere so viele Gedanken machen.«

      »Ich bin froh, daß Sie den Sturz recht gut überstanden haben«, meinte Andreas. »Auf diesem vereisten Weg hätte das ganz dumm ausgehen können.«

      Katharina nickte, dann senkte sie traurig den Kopf. »Der Sturz war nicht so tragisch. Viel schlimmer…« Sie verstummte mitten im Satz. Über das, was ihr Herz bewegte, konnte sie nicht mit einem fremden Mann sprechen – auch wenn er ihr irgendwie vertraut erschien.

      Unwillkürlich dachte sie an Norbert, der bei jedem Besuch nur herauszufinden versuchte, was nach der Einlieferung im Krankenhaus passiert war. Sein förmliches Hineinbohren in die schmerzlichsten Augenblicke ihres Lebens hatte ihn ihr zusehends entfremdet. Mittlerweile war sie froh, wenn er nicht kam. Das hätte sie sich vor wenigen Wochen noch nicht einmal träumen lassen. Zwar war sie sich im Laufe der Schwangerschaft ihrer Liebe zu Norbert nicht mehr ganz so sicher gewesen wie zuvor – dafür hatte sein Drängen auf Abtreibung gesorgt –, aber dennoch wäre ein Leben ohne ihn für sie nur schwer vorstellbar gewesen. Jetzt dagegen…

      »Was war schlimmer?« hakte Andreas behutsam nach.

      Sie sah ihn an.

      »Mein Baby…«, begann sie, und dann sprudelte plötzlich alles aus ihr heraus. Sie konnte sich das Vertrauen zu diesem fremden jungen Mann gar nicht erklären, aber sie spürte sein Verständnis… seine Ruhe… seine Kraft. Und seltsamerweise vermochte seine Anwesenheit sie ein wenig zu trösten. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie auf einer Insel der Geborgenheit und Liebe gelandet.

      *

      »Stefan, reiß dich zusammen«, ermahnte Dr. Georg Sommer seinen Patensohn. »Wenn du hier auch weiterhin arbeiten willst, dann erwarte ich, daß du dich endlich besser konzentrierst. Ansonsten ist das Zeugnis, das dir von Dr. Metzler ausgestellt worden ist, nämlich keinen Pfifferling wert.«

      Betroffen senkte Stefan den Kopf. Seit einer Woche arbeitete er nun in der Sommer-Klinik, und während dieser kurzen Zeit waren ihm schon drei gravierende Fehler unterlaufen. Doch er konnte einfach an nichts anderes denken als an Chantal, die in Paris auf ihn wartete und die er über das verlängerte Wochenende, das unmittelbar bevorstand, besuchen würde.

      »Es tut mir leid, Onkel Schorsch«, entgegnete er leise. »Ich werde mich bemühen.«

      »Das hoffe ich«, meinte Dr. Sommer, dann legte er einen Arm um Stefans Schultern. »Schau mal, Junge, ich verstehe ja, daß es für dich eine Umstellung bedeutet, aber du bist Arzt, und da kann ich erwarten, daß du entsprechend arbeitest.«

      »Ich werde mich bemühen, Onkel Schorsch«, wiederholte Stefan,

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