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Erröten bewies, daß Dr. Parker die Wahrheit getroffen hatte.

      »Geh nach hinten, mein Sohn«, befahl Anton Heintze streng. »Wir beide haben noch ein ernstes Wort miteinander zu reden.« Dann wandte er sich den Ärzten wieder zu. »Werden Sie… ich meine… wird Jan auch noch… andere Schwierigkeiten bekommen?«

      Die beiden Ärzte tauschten einen Blick. Dr. Daniel konnte die drängende Forderung in Dr. Parkers Augen unschwer erkennen.

      »Sie sollten Ihrem Sohn unmißverständlich klarmachen, daß er so etwas in Zukunft zu unterlassen hat«, erklärte Dr. Daniel ernst. »Mag sein, daß er zu jung ist, um sich über die weitreichenden Konsequenzen seines Handelns klar zu sein. Nur aus diesem Grund will ich diesmal noch Stillschweigen bewahren. Allerdings bin ich sicher, daß Dr. Parker Ihren Sohn weiter genau im Auge behalten wird. Sollte noch ein einziges Mal der Verdacht aufkommen, daß er wieder Medikamente verteilt, dann wird ihm eine Anzeige gewiß sein.«

      Anton Heintze nickte. »Es wird nicht mehr vorkommen, das versichere ich Ihnen.« Er reichte Dr. Daniel die Hand. »Vielen Dank.« Dann wandte er sich Dr. Parker zu. »Auch Ihnen vielen Dank.«

      »Ich hätte ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen«, knurrte Jeff, als er und Dr. Daniel die Apotheke verlassen hatten.

      Dr. Daniel lächelte. »Das weiß ich, aber vielleicht ist es besser, einem jungen Menschen eine zweite Chance zu geben, anstatt ihn zu bestrafen und damit möglicherweise noch mehr Unheil heraufzubeschwören.«

      Dr. Parker dachte eine Weile über diese Worte nach, dann seufzte er. »Wolfgang hat schon recht. Sie haben von uns allen eben doch den größten Weitblick.«

      *

      Manfred erwachte von den gellenden Schreien eines Mäd-chens. Dr. Parker hatte ihm zwar verboten, aufzustehen, weil er von der vergangenen anstrengenden Nacht noch sehr geschwächt war, doch das Schreien des Mädchens zog ihn dennoch aus dem Raum mit den großen Glasfenstern. Manfred mußte sich mit einer Hand an der Wand abstützen, weil seine Beine immer noch ein wenig unsicher waren. Doch dann erreichte er den Nebenraum und konnte einen ersten Blick durch das Fenster werfen. Was er sah, schockierte ihn zutiefst. Da lag ein Mädchen angeschnallt im Bett, hatte einen dünnen Gummischlauch in der Nase und schrie sich die Seele aus dem Leib, während eine Schwester das andere Ende des Schlauches in der Hand hielt und eine Flüssigkeit einfüllte. Schreiend warf das Mädchen den Kopf hin und her, und in diesem Moment erkannte Manfred ihr Gesicht.

      »Martina!«

      Ungeachtet seiner eigenen Schwäche betrat er den Raum und eilte zu dem Bett.

      »Herr Steiner…«, begann die Schwester, doch Manfred beachtete sie gar nicht. Er legte seine Hände um Martinas Gesicht und zwang sie damit stillzuhalten. Ihr Schreien verstummte. Aus großen Augen sah sie ihn an.

      »Martina!« flüsterte er zärtlich. »Martina, hörst du mich?«

      Tränen quollen aus ihren Augen.

      »Sag ihr, sie soll aufhören.« Ihre Stimme war ganz heiser vom vielen Schreien. »Oder steck’ mir den Finger in den Hals, damit ich spucken kann.«

      Doch Manfred schüttelte entschieden den Kopf.

      »Nicht, Martina«, bat er leise, dann beugte er sich hinunter und küßte sie auf die Wange. Mit einem Finger zeichnete er die Konturen ihres Gesichts nach, das jetzt blaß und eingefallen war, das er aber noch immer genauso liebte wie am ersten Tag, an dem er sie gesehen hatte.

      »Du bist wunderschön«, erklärte er. »Du warst schon immer wunderschön, und ich… ich liebe dich.«

      Aber Martina nahm seine Worte nicht auf. In ihrem Kopf gab es nur ein einziges Thema, das sie bewegte.

      »Sie soll aufhören«, wiederholte sie. »Ich ertrage es nicht, daß sie mir noch mehr Nahrung in den Magen schüttet.«

      Noch einmal streichelte Manfred ihr Gesicht, dann fühlte er, wie er am Arm genommen und zurückgezogen wurde.

      »Gehorchen ist leider deine schwache Seite«, stellte Dr. Parker fest, doch er sagte es nicht böse, nicht einmal besonders streng. »Komm, Manfred, du wirst noch genügend Gelegenheit haben, um bei ihr zu sein.«

      »Was ist mit ihr, Jeff?« fragte der junge Mann, und seine Stimme bebte dabei.

      »Sie ist sehr krank«, entgegnete Dr. Parker, wußte aber, daß sich Manfred mit dieser Antwort nicht zufriedengeben würde. »Sie ist besessen von dem Gedanken, daß sie wieder dick werden könnte.«

      Martina begann erneut zu schreien. Unwillkürlich blieb Manfred stehen und blickte zu-rück, dabei zeichnete sich auf seinem Gesicht eine Qual ab, als müsse er unerträgliche Schmerzen aushalten.

      »Jeff, hilf ihr doch«, bat er verzweifelt.

      »Das einzige, was ihr hilft, sind Beruhigungsmittel, aber die dürfen wir nicht immer einsetzen, weil sie ihr irgendwann mehr schaden als nützen würden.« Dr. Parkers Griff um Manfreds Arm wurde fester, seine Stimme wurde energischer. »Komm jetzt. Du brauchst auch noch Ruhe. Heute nachmittag darfst du Martina besuchen. Ich verspreche es dir.«

      Manfred nickte, dann ließ er sich widerstandslos auf die normale Station bringen, wo bereits ein Einzelzimmer für ihn hergerichtet war. Doch als Dr. Parker wieder gehen wollte, hielt Manfred ihn einen Moment zurück.

      »Jeff, sie muß wieder gesund werden.«

      »Wir werden tun, was in unserer Macht steht«, versicherte Dr. Parker. Allerdings war die Aussicht, Martina hier in der Waldsee-Klinik helfen zu können, nur sehr gering.

      *

      Manfred konnte es kaum erwarten, bis Dr. Parker ihm endlich erlaubte, Martina zu besuchen. Minuten später saß er an ihrem Bett und griff nach ihrer mageren, knochigen Hand. Unwillkürlich mußte er daran denken, wie hübsch und fröhlich sie noch vor wenigen Monaten gewirkt hatte. Zärtlich streichelte er ihre Hand und lächelte sie an. Dabei stand in seinen Augen die ganze Liebe, die er für sie fühlte… seine Augen sangen das reinste Liebeslied, doch es erreichte Martina nicht.

      »Du mußt dir von Dr. Daniel helfen lassen«, bat Manfred leise. »Er will nur…«

      »Sei still!« brauste Martina auf. »Du weißt doch gar nicht, wovon du sprichst! Woher auch? Wie solltest du schon empfinden können, wie ich mich fühle?«

      Manfreds Augen streichelten sie, doch sein Gesicht war sehr ernst.

      »Ich weiß genau, wie du dich fühlst.« Er machte eine kurze Pause. »Gestern war ich in derselben Lage wie du – wenn auch aus anderen Gründen. Auch ich bekam gegen meinen Willen einen Schlauch in die Nase, wurde am Bett festgeschnallt, weil ich versucht hatte, diesen Schlauch herauszuziehen, und dann bekam ich jede Stunde eine Flasche voll flüssiger Kohle in den Magen, wovon mir schrecklich übel wurde. Also, Martina, erzählt mir nichts darüber, wie du dich fühlst.«

      Zum ersten Mal seit langem zeigte Martina so etwas wie Interesse für einen anderen Menschen. Tränen traten in ihre Augen.

      »Warum tun sie uns das an, Manfred?«

      »Weil sie uns helfen wollen«, antwortete er schlicht. »Ich wäre vielleicht gestorben, wenn Jeff das nicht getan hätte. Und du… Martina, du würdest auch sterben, wenn Dr. Daniel dich nicht künstlich ernähren lassen würde.« Sanft berührte er wieder ihr Gesicht. »Aber wenn du stirbst… wie soll ich dann weiterleben? Martina, ohne dich… du bist doch meine Liebe… mein Leben.«

      »Ich bin dick«, wandte Martina ein.

      Da schüttelte Manfred den Kopf. »Nein, Liebes, du bist nicht dick, aber selbst wenn du es wärest… ich liebe dich, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.«

      Martina lauschte diesen Worten nach.

      »Das erste Mal«, wiederholte sie leise, dann huschte ein kurzes Lächeln über ihre Lippen. »Ich erinnere mich noch daran. Es war damals beim Verein. Du hast neben mir gestanden, als Parker uns die neuen Bewegungsfolgen beigebracht hat.«

      Manfred

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