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Martina. Tröstend griff er nach ihrer Hand. »Ich weiß, wie schlimm das alles für dich ist, aber im Moment habe ich keine andere Wahl. Dein körperlicher Zustand ist so schlecht geworden, daß ich die künstliche Ernährung nicht länger hinauszögern darf. Offenbar bleibt es sich gleich, ob du Infusionen bekommst oder über eine Sonde ernährt wirst: »Du hast so oder so Angst, davon zuzunehmen. In diesem Fall ziehe ich den natürlicheren Weg vor. Sobald Schwester Irmgard mit den vorbereitenden Maßnahmen fertig ist, lege ich dir eine Magensonde. Das ist ein Schlauch, der über deine Nase in den Magen eingeführt wird. Über diesen Schlauch wirst du ernährt.« Er sah die Hoffnung in Martinas Augen aufblitzten und schüttelte den Kopf. »Gib dich keinen Hoffnungen hin, mein Kind. Ich werde dafür sorgen, daß du kein Erbrechen auslösen kannst.«

      Da sie keine andere Möglichkeit hatte, gab sie ihrem Unmut durch Schreien Ausdruck, das sich noch steigerte, als sie fühlte, wie die Nachtschwester ihr wieder einen Katheter legte und ihr anschließend als zweite vorbereitende Maßnahme einen Einlauf verabreichte. Währenddessen hatte Dr. Daniel eine Spritze vorbereitet, die er Martina jetzt injizierte. Ihre Schreie wurden leiser und verstummten schließlich ganz. Ein Gefühl der Gleichgültigkeit breitete sich in ihr aus. Sie sah, wie Dr. Daniel an ihr Bett trat und ihr einen dünnen Gummischlauch in die Nase schob. Unwillig drehte sie den Kopf zur Seite, doch es nütze nichts. Der Schlauch fand seinen Weg in die Speiseröhre. Martina mußte würgen. Von irgendwoher hörte sie eine ruhige, tiefe Stimme, die ihr befahl, ruhig zu atmen und zu schlucken. Sie gehorchte… atmete und schluckte, bis sie ein-schlief.

      »Das war ja ein hartes Stück Arbeit«, urteilte Schwester Irmgard, als Dr. Daniel zuletzt noch den richtigen Sitz der Sonde kontrolliert hatte. Martina schlief jetzt und sah so friedlich aus, daß man nicht hätte ahnen können, wie heftig sie sich noch vor wenigen Minuten gewehrt hatte.

      »Ich fürchte, es wird sogar noch viel härter«, vermutete Dr. Daniel, während er das anliegende Sondenstück so fixierte, daß es Martina möglichst wenig stören würde. »Wir werden sie angeschnallt lassen müssen, sonst erbricht sie alles, was wir ihr über die Sonde mühsam einflößen.«

      Besorgt betrachtete die Nachtschwester das junge Mädchen. »So kann es aber nicht ewig weitergehen.«

      »Ganz sicher nicht«, stimmte Dr. Daniel zu. »Im Moment habe ich leider keine andere Wahl. Martina muß ernährt werden, und ich kann nur versuchen, mit ihr oft und lange darüber zu sprechen. Irgendwann wird sie einsehen, daß ihre Angst vor dem Zunehmen unbegründet ist.« Auch sein Blick fiel auf das schlafende Mädchen. »In zwei Monaten wird in der Spezialklinik in München ein Platz frei. Ich kann nur hoffen, daß es mir bis dahin gelingen wird, sie von der Notwendigkeit einer Therapie zu überzeugen.«

      *

      Seit fast drei Wochen lag Martina nun schon auf der Intensivstation. Während dieser Zeit hatte sie ihre Großmutter so lange bekniet, bis diese zu Dr. Daniel gegangen war und um eine Besuchserlaubnis für Jan Heintze gebeten hatte.

      Daniel zögerte einen Moment, gewährte sie dann aber doch. Vielleicht würde der Beistand ihres Freundes Martina helfen, zu einem normalen Leben zurückzufinden. Aus diesem Grund suchte Dr. Daniel den jungen Mann sogar persönlich auf, doch als er dessen deutlichen Widerwillen bemerkte, begrub er seine Hoffnung wieder. Jan Heintze war gewiß nicht der Richtige, um Martina aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen.

      »Also schön, ich werde sie mal besuchen«, sagte Jan fast gönnerhaft und raffte sich am nächsten Tag auch tatsächlich auf, fuhr zur Klinik hinaus und machte sich auf den Weg zur Intensivstation. Die diensthabende Schwester wußte Bescheid und ließ Jan anstandslos zu Martina hineingehen.

      Zögernd trat er an das Bett und betrachtete angewidert das kranke Mädchen. Jetzt schlug sie die Augen auf.

      »Jan«, stammelte sie. »Endlich.« Mühsam richtete sie sich ein wenig auf, doch die Gurte, mit denen sie angeschnallt war, behinderten sie. »Du mußt mir etwas besorgen. In der Apotheke deines Vaters gibt es bestimmt Brechmittel. Ich muß das viele Essen loswerden, das sie mir hier einflößen.«

      »Du bist ja verrückt«, urteilte Jan.

      »Bitte«, flehte sie. »Ich will doch nicht wieder dick werden.«

      Desinteressiert zuckte Jan die Schultern. »Na schön. Von mir aus.« Er wollte hier so schnell wie möglich wieder raus. Martina hatte ihm ohnehin nie etwas bedeutet, also war es ihm auch völlig gleichgültig, ob sie sich mit ihrer zwanghaften Vorstellung, wieder zuzunehmen, nun umbrachte oder nicht.

      Noch am selben Nachmittag kehrte Jan in die Klinik zurück und legte eine Schachtel auf Martinas Bettdecke.

      »Ein Meßbecher voll von dem Saft, und du bist alle Sorgen ums Zunehmen los«, erklärte er schamlos.

      »Du muß ihn mir geben«, entgegnete Martina und riß dabei an den Gurten, mit denen ihre Arme festgeschnallt waren. »Ich kann doch nicht. Du mußt jeden Tag kommen und mir den Saft geben.«

      »Wie stellst du dir das vor?« wollte Jan wissen. »Ich muß nebenbei auch noch ein bißchen arbeiten, außerdem…« Er schwieg, dann winkte er ab. »Also schön. Mach deinen Mund auf.«

      Rasch öffnete er die Schachtel, holte das braune Fläschen hervor und füllte den beigefügten Meßbecher mit der zähen Flüssigkeit, dann kippte er sie Martina in den geöffneten Mund. Die Wirkung trat rasch ein, und kaum zehn Minuten später stand Schwester Alexandra ratlos vor der jungen Patientin, die alles, was man ihr mühsam durch die Magensonde verabreicht hatte, erbrochen hatte.

      »So etwas kann schon mal vorkommen«, meinte Dr. Daniel, doch als es auch am nächsten und am übernächsten Tag passierte, wurde er stutzig. Er ordnete eine andere Sondenkost an, doch das Ergebnis war das gleiche. Martinas Körper wurde immer mehr ausgezehrt und ihr Kreislauf drohte erneut zusammenzubrechen. Überhaupt waren die Werte, die der Oberarzt Dr. Scheibler täglich aus dem abgenommenen Blut ermittelte, ziemlich schlecht, und dann kam Dr. Daniel der naheliegendste Verdacht für die jetzt ständige Übelkeit. Eine gründliche Untersuchung bestätigte seine Vermutung.

      »Nun wird’s wirklich kritisch«, murmelte er sich zu.

      »Sie führen Selbstgespräche?«

      Wie aus dem Boden geschossen stand Dr. Parker neben ihm.

      Dr. Daniel seufzte. »Martina ist schwanger.«

      Dr. Parker lehnte sich an die Schreibtischkante.

      »Diese Schwangerschaft kommt wirklich zum ungünstigsten Zeitpunkt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es dem Baby sehr gut geht, wenn die Mutter sich weigert zu essen.«

      »Nicht nur das«, meinte Dr. Daniel. »Sie erbricht plötzlich wieder alles. Nun ja, nicht wirklich alles. Eigentlich nur einmal am Tag.« Er runzelte die Stirn. »Das fällt mir ja erst jetzt auf. Es passiert jedesmal kurz nach dem Weggehen ihres Freundes.

      Alarmiert horchte Dr. Parker auf. »Jan Heintze? Er kommt hierher?«

      Dr. Daniel nickte. »Ich habe das befürwortet, weil ich dachte, der Beistand ihres Freundes würde sich vielleicht positiv auswirken.«

      Da schüttelte Dr. Parker entschieden den Kopf. »Dieser Kerl hat auf niemanden eine positive Wirkung, ganz im Gegenteil. Er ist so ziemlich der unsympathischste Mensch, der mir jemals begegnet ist. »Er überlegte einen Moment. »Er ist heute abend sicher auch im Verein, da werde ich ihm mal ein bißchen auf den Zahn fühlen. Ich könnte mir vorstellen, daß er über Martinas plötzliche Übelkeit ganz genau im Bilde ist.«

      *

      Manfred Steiner war todmüde. Die Schichtarbeit verlangte ihm immer mehr ab, vor allem, weil er zwischen den Schichten kaum noch schlafen konnte. Seine Gedanken kreisten ständig um Martina. Er sehnte sich so sehr nach ihr, daß es weh tat, und der Gedanke, daß sie vielleicht gerade mit Jan zusammen war, sich von ihm küssen ließ oder womöglich noch viel mehr…

      Unwillig schüttelte Manfred den Kopf, um diese deprimierenden Vorstellungen abzustreifen. Er sah auf die Uhr. In fünf Minuten war seine Schicht zu Ende, dann konnte er nach Hause gehen und sich ins Bett legen. Vielleicht sollte er heute ausnahmsweise

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