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fast gemütlich wirkenden Warteraum.

      »Ich bin Schwester Alexan-dra«, stellte sie sich vor. »Ich werde bei Ihnen bleiben, bis Dr. Daniel Zeit hat, sich um Sie zu kümmern.«

      Rosalinde konnte nur nicken. In ihrem Kopf herrschte noch immer ein heilloses Durcheinander.

      »Martina…«, stammelte sie schließlich leise.

      Impulsiv streichelte Schwester Alexandra über ihre Hand.

      »Dr. Daniel und Dr. Metzler können ihr bestimmt helfen«, meinte sie. »Ihre Enkelin ist hier in den besten Händen.«

      Wieder nickte Rosalinde.

      In diesem Moment trat Dr. Daniel in den Warteraum, und Schwester Alexandra zog sich diskret zurück.

      »Herr Doktor, was war das?« fragte Rosalinde leise. »Warum war Martina so… so…« Sie konnte nicht weitersprechen, weil sie wieder dieses entsetzliche Bild vor sich sah, als sich ihre Enkelin hilflos am Boden gewälzt hatte.

      Dr. Daniel setzte sich neben sie und griff nach ihrer Hand, um ihr ein wenig Trost und Halt zu geben.

      »Martina ist sehr krank«, erklärte er. »Haben Sie schon einmal etwas von Magersucht gehört?«

      Rosalinde schüttelte den Kopf, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Doch… ich glaube schon.« Ihre von Kummer und Sorge umschatteten Augen richteten sich auf Dr. Daniel. »Können Sie meine Martina wieder gesund machen?«

      »Ich selbst wahrscheinlich nicht, aber durch eine gezielte Therapie kann Martina sicher geholfen werden«, antwortete Dr. Daniel und verschwieg geflissentlich, wie hoch die Rückfallquote gerade bei Magersucht und Bulimie war. »Allerdings steht die Therapie für mich im Moment erst an zweiter Stelle. Durch den permanenten Nahrungsentzug hat Ihre Enkelin schwere Mangel-erscheinungen, die wieder ausgeglichen werden müssen. Auch ihr labiler Kreislauf muß wieder stabilisiert werden. Freiwillig wird Martina zum jetzigen Zeitpunkt keine Nahrung zu sich nehmen, und um sie künstlich zu ernähren, brauchen wir Ihre Einwilligung. Martina ist erst sechzehn, somit können wir die Entscheidung treffen.«

      Rosalinde nickte zwar, doch sie sah Dr. Daniel dabei sehr ängstlich an. »Diese Ernährung… wird ihr das weh tun?«

      »Nein, Frau Greiff, natürlich nicht«, antwortete Dr. Daniel beruhigend. »Martina wird vorerst nur Infusionen bekommen. Wir hoffen, daß wir sie in den kommenden Tagen dazu bringen können, wenigstens kleine Portionen zu essen. Wenn sie sich allerdings auch weiterhin sträubt, etwas zu sich zu nehmen, wird die Ernährung über eine Magensonde nicht zu umgehen sein. Aus Rücksicht auf ihren Magen-Darm-Trakt müssen wir beizeiten wieder auf eine möglichst natürlich Nahrungszufuhr umsteigen. Die Ernährung über die Sonde ist zwar nicht ganz angenehm, aber schmerzhaft ist sie auch nicht.«

      Rosalinde zögerte, dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Tun Sie, was Sie tun müssen, Herr Doktor. Ich vertraue Ihnen und weiß, daß Sie für meine Enkelin nur das Beste wollen.« Mit erstaunlicher Kraft griff sie plötzlich nach seinen Händen. »Machen Sie meine Kleine bitte wieder gesund.«

      *

      Martina war auf die Intensivstation gebracht worden. Das Beruhigungsmittel, das Dr. Daniel ihr im Krankenwagen gespritzt hatte, wirkte noch, und so ließ sie es ohne weiteren Widerstand geschehen, daß Dr. Metzler ihr eine Infusion legte. Teilnahmslos blickte sie auf die kleine Flasche mit der milchig-weißen Flüssigkeit, dann fielen ihr die Augen zu.

      Besorgt betrachtete Dr. Metzler das junge Mädchen.

      »Ich vermute, wenn das Beruhigungsmittel nicht mehr wirkt, wird sie fürchterlich Radau schlagen«, meinte er.

      Dr. Daniel, der auf der anderen Seite des Bettes stand, nickte. »Es wird nicht ganz einfach werden, sie davon zu überzeugen, daß sie von der Nährlösung nicht zunehmen kann.« Er seufzte. »Sobald ihr körperlicher Zustand wieder stabil ist, müssen wir sie in eine spezielle Klinik überweisen. Nur dort kann man ihr wirklich helfen.«

      »Das dachte ich zuerst auch, aber je länger ich darüber nachdenke…« Dr. Metzler schwieg kurz. »Sie ist noch so jung. Vielleicht wäre es für sie zumindest in der ersten Zeit wichtiger, eine vertraute Bezugsperson zu haben.«

      Trotz des Ernstes der Lage mußte Dr. Daniel ein wenig schmunzeln. »Das sagst ausgerechnet du? Normalerweise bist du doch immer derjenige, der in solchen Fällen eine psychiatrische Behandlung befürwortet.«

      »Ich sage ja nicht, daß sie keine Therapie brauchen würde – ganz im Gegenteil. Ich meine nur…« Er zögerte einen Moment, ehe er fortfuhr: »Eine Therapie bringt nur dann etwas, wenn sie mitarbeitet. Weißt du, Robert, du verfügst genau über den richtigen Ton. Ich glaube, dir könnte es gelingen, die Kleine von der Notwendigkeit einer Therapie zu überzeugen, und dann würde sie auch etwas bringen.«

      »Genau das hatte ich auch vor«, erklärte Dr. Daniel schlicht.

      Fassungslos sah Dr. Metzler ihn an. »Wie bitte?« Er schüttelte den Kopf. »Da läßt du mich diesen ganzen Vortrag halten, dabei war es für dich sowieso schon eine beschlossene Sache.«

      »Das stimmt, aber es freut mich, daß du inzwischen etwas ganz Wichtiges hinzugelernt hast, Wolfgang. Es genügt nicht, einen Patienten zu behandeln. Man muß sich auch in ihn hineinversetzen, um zu erkennen, was gut und richtig für ihn ist. Diesen Punkt hast du über deinem herausragenden medizinischen Wissen manchmal übersehen.«

      Dr. Metzler seufzte. »Das war mal wieder eine Kritik Marke Daniel. Herausragendes medizinisches Wissen.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Du weißt genau, wie du mir schmeicheln und mich gleichzeitig heftig kritisieren kannst.«

      »Es war weder das eine noch das andere«, erwiderte Dr. Daniel. »Es war einfach nur die Wahrheit.« Freundschaftlich legte er einen Arm um Dr. Metzlers Schultern. »Im übrigen freue ich mich, daß wir uns über Martinas Behandlung einig sind.« Er warf dem schlafenden Mädchen einen Blick zu. »Das Beruhigungsmittel wird sicher noch bis heute abend wirken. Nach der Nachmittagsstunde komme ich wieder her.«

      Dr. Metzler nickte. »Schwester Alexandra wird die Kleine nicht aus den Augen lassen, und ich werde auch regelmäßig nach ihr sehen.«

      »Wer hat heute Nachtdienst?« wollte Dr. Daniel wissen, während er mit dem Chefarzt die Intensivstation verließ.

      »Ich selbst«, antwortete Dr. Metzler.

      Dr. Daniel überlegte einen Moment. Im Grunde wäre Martina bei dem Chefarzt in den besten Händen, trotzdem wußte Dr. Daniel schon jetzt, daß er zu Hause doch keine Ruhe finden würde.

      »Es wäre zwar nicht nötig, aber ich werde dennoch die Nacht hier verbringen«, beschloß er kurzerhand, dann lächelte er Dr. Metzler an. »Ich weiß, wie intensiv du dich um Martina kümmern würdest, aber ich bin nur dann beruhigt, wenn ich selbst ab und zu nach ihr sehen kann.«

      *

      Als die Wirkung des Beruhigungsmittels nachließ, registrierte Martina erst wieder so richtig, daß sie im Krankenhaus war. Mit einem Ruck richtete sie sich auf, ignorierte den leichten Schwindel, der sie erfaßte, und blickte sich wie gehetzt um.

      »Ganz ruhig, Martina.«

      Dr. Daniels sanfte Stimme ließ sie herumfahren. In ihren Augen flackerte es nervös.

      »Was tun Sie da mit mir?« wollte sie wissen, und ihre Stimme klang seltsam schrill.

      Dr. Daniel setzte sich auf die Bettkante und drückte sie behutsam in die Kissen zurück.

      »Du hattest einen Kreislaufzusammenbruch, Martina«, erklärte er sehr ruhig. »Dein Blutdruck lag irgendwo bei neunzig zu fünfzig. Inzwischen ist er einigermaßen stabil, aber noch immer viel zu niedrig, als daß wir dich aufstehen lassen könnten.«

      Argwöhnisch sah Martina ihn an, dann glitt ihr Blick zu der Infusionsflasche hinauf. »Ist das das Medikament für den Blutdruck?«

      Dr. Daniel zögerte. Martina hatte ihm mit ihrer Frage praktisch eine Antwort in den Mund gelegt, allerdings konnte es eine zweischneidige

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