Скачать книгу

Medikament, sondern eine Nährlösung«, antwortete er daher.

      Fassungslos starrte sie ihn an.

      »Eine… Nährlösung?« wiederholte sie gedehnt, dann fuhr sie hoch und schrie: »Hören Sie sofort auf damit! Ich will nicht wieder dick werden! Ich will nicht…«

      Mit festem Griff nahm Dr. Daniel sie bei den Schultern.

      »Beruhige dich, Martina«, verlangte er eindringlich. »Du wirst aufgrund dieser Nährlösung nicht zunehmen. Hast du gehört?«

      Halsstarrig schüttelte sie den Kopf. »Ihr könnt es nicht ertragen, daß ich jetzt schlank bin. Ihr wollt mich wieder dick machen. Ich soll zunehmen und dann aussehen wie eine Tonne. Aber da mache ich nicht mehr mit! Ich will nicht wieder dick werden! Ich will Jan nicht verlieren!«

      »Martina, hör mir zu«, bat Dr. Daniel, doch das junge Mädchen schüttelte noch immer den Kopf und versuchte mit beiden Händen, Dr. Daniel wegzudrücken. Als es ihr nicht gelang, begann sie hysterisch zu schluchzen.

      Behutsam legte Dr. Daniel beide Hände um Martinas Gesicht. »Hör zu, mein Kind. Du wirst nicht zunehmen, aber dein Körper braucht ein gewisses Maß an Nährstoffen. Da drin«, er wies auf die Infusionsflasche, »sind keine Kalorien. Das ist keine Sahne und auch keine flüssige Schokolade. Es ist eine Lösung, die alles an Nährstoffen enthält, was dein Körper zum Leben unbedingt braucht. Und diese Nährlösung geht tropfenweise in deinen Blutkreislauf. Verstehst du, Martina: Nichts von dem, was in dieser Flasche ist, gelangt in deinen Magen. Du kannst nicht zunehmen.«

      Martina wurde merklich ruhiger. Es schien, als wären Dr. Daniels eindringliche Worte zu ihr vorgedrungen.

      »Sind Sie sicher?« fragte sie schließlich.

      Dr. Daniel nickte. »Ja, Martina, da bin ich vollkommen sicher.« Er überlegte, ob er das Thema Essen weiterverfolgen sollte. Eigentlich wäre es wichtig, Martina baldmöglichst zu einer normalen Nahrungsaufnahme hinzuführen, doch dann verwarf er diesen Gedanken wieder. Im Moment war nur wichtig, daß das junge Mädchen die Infusion akzeptierte. Das würde in den nächsten Tagen genügen, um zumindest ihren Kreislauf wieder zu stabilisieren. Danach konnte man weitersehen.

      Einigermaßen entspannt hatte sich Martina zurücksinken lassen, doch ihr ängstlicher Blick glitt in regelmäßige Abständen zu der Infusionsflasche hinüber. Was Dr. Daniel gesagt hatte, war zwar einleuchtend, trotzdem wurde sie die Angst vor einer Gewichtszunahme noch immer nicht los.

      Während Dr. Daniel mit ihr sprach, glitten ihre Gedanken ab. Vorsichtig tastete sie mit einer Hand unter der Bettdecke ihren Bauch und ihre Hüften ab und erschrak, als sie etwas Weiches fühlte. Das waren Fettpolster! Sie begann schon wieder zuzunehmen!

      »Was ist los, Martina?« wollte Dr. Daniel wissen, der ihr Erschrecken sofort bemerkt hatte.

      »Nichts«, behauptete sie. »Ich… ich bin nur müde. Lassen Sie mich bitte allein.«

      Dr. Daniel stand auf. »Wie du möchtest.« Prüfend sah er Martina an, doch sie hielt die Augen fest geschlossen. Der Arzt seufzte leise, dann verließ er die Inten-

      sivstation. In fünf Minuten würde er wieder nach Martina sehen.

      Mit geschlossenen Augen hatte sie gewartet, bis sie Dr. Daniels Schritte gehört hatte, dann blinzelte sie vorsichtig und stellte fest, daß sie allein war. Noch einmal befühlte sie Bauch und Hüften. Kein Zweifel, sie hatte zugenommen… mindestens ein Kilo!

      Ihr Blick ging zur Infusionsflasche und wanderte dann am Schlauch entlang nach unten. Die Kanüle steckte in einer Unterarmvene und war mit zwei breiten Pflastern fixiert. Mit einer Hand umfaßte das junge Mädchen die Kanüle und riß sie mit einem Ruck heraus. Es tat weh, und Martina fühlte, wie das Blut über ihren Arm lief, doch das alles erschien ihr nicht so schlimm wie der Gedanke, wieder dick zu werden. Nahezu teilnahmslos sah sie zu, wie das Blut auf die Bettdecke tropfte. Innerhalb kurzer Zeit breitete sich der rote Fleck immer weiter aus.

      »Martina! Um Himmels willen!« stieß Dr. Daniel hervor. Er hatte höchstens zwei Minuten verstreichen lassen, ehe er zu seiner Patientin zurückgekehrt war, doch diese Zeit hatte bereits gereicht, um sie zu einer Riesendummheit zu veranlassen.

      Dr. Daniel klingelte nach der Nachtschwester, die auf den ersten Blick sah, was passiert war. Es dauerte nur Sekunden, bis sie mit dem nötigen Verbandsmaterial zurückkehrte. Gewissenhaft versorgte Dr. Daniel die Wunde, die sich Martina beim Herausreißen der Kanüle zugefügt hatte, dann setzte er sich wieder auf die Bettkante und blickte sie sehr ernst an.

      »Ich wollte heute noch nicht mit dir sprechen«, erklärte er. »Aber anscheinend läßt es sich doch nicht vermeiden. Martina, du bist magersüchtig. An deinem Körper ist kein Gramm Fett, aber du bildest dir noch immer ein, du seiest dick. Das ist krankhaft und muß behandelt werden.«

      »Ich habe zugenommen!« begehrte Martina auf, dann riß sie die Bettdecke zur Seite und wies auf ihren abgemagerten Körper. »Sehen Sie sich diesen entsetzlichen Bauch nur an! Der muß weg!«

      »Er ist längst weg«, betonte Dr. Daniel. »Als du bei mir in der Praxis warst, hattest du eine hübsche Figur, aber jetzt… sieh dich an, Martina. Du bestehst nur noch aus Haut und Knochen.« Er schwieg einen Moment, dann deckte er Martina wieder zu. »Wenn du diesen Unsinn noch ein paar Monate weitertreibst, wirst du sterben, aber das werde ich nicht zulassen.«

      Martina legte die jetzt knochigen Hände vor ihr Gesicht und begann haltlos zu schluchzen. »Ich will nicht wieder dick werden. Ich will nie wieder essen… Essen macht dick… ich will nicht wieder dick sein.«

      »Hör zu, Martina«, fuhr Dr. Daniel mit ruhiger Stimme fort. »Ich habe mit deiner Oma alles besprochen. Magersucht ist eine sehr ernste und schwere Krankheit, die man nur mit einer gezielten Therapie behandeln kann. Zu diesem Zweck mußt du in eine spezielle Klinik. »Ich habe mich heute bereits mit einer entsprechenden Einrichtung in Verbindung gesetzt, und bis dort ein Platz frei wird, bleibst du hier.«

      Heftig schüttelte Martina den Kopf. »Ich bleibe nirgendwo! Weder hier noch in dieser anderen Klinik. Und gegen meinen Willen können Sie mich gar nicht festhalten.«

      »Doch, Martina, das kann ich schon. Du bist erst sechzehn, also muß ich auf deine Wünsche keine Rücksicht nehmen. Ich habe die Einwilligung deiner Oma, das genügt.« Er machte eine kurze Pause, dann berührte er Martinas Wange. »Viel lieber wäre es mir natürlich, wenn wir beide zusammenarbeiten könnten. Du hattest doch früher immer Vertrauen zu mir. Warum kannst du es denn jetzt nicht mehr haben?«

      »Sie wollen, daß ich wieder dick werde«, beharrte Martina.

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, mein Kind, das will ich nicht. Ich möchte, daß du gesund wirst. Martina, du mußt essen, sonst wirst du sterben. Ohne Nahrung kann kein Mensch überleben.«

      Heftig schüttelte Martina den Kopf. »Ich werde nicht essen, Sie können mich nicht dazu zwingen.« Herausfordernd sah sie den Arzt an. »Natürlich können Sie mir das Essen in den Mund stopfen, aber ich werde es wieder ausspucken, und wenn Sie mich zwingen, es hinunterzuschlucken, dann werde ich es fünf Minuten später erbrechen. Ich will nicht mehr dick werden, und ich sorge dafür, daß…« Sie stockte, als Dr. Daniel aufstand.

      »Also gut, Martina, jetzt kenne ich deine Einstellung und kann gezielt darauf reagieren«, erklärte er. »Wir werden noch sehr viele eingehende Gespräche führen müssen, und irgendwann wirst du einsehen, daß man essen kann, ohne dick zu werden. Bis dahin muß ich aber dafür sorgen, daß dein Körper mit allem versorgt wird, was er braucht, und ich muß es allem Anschein nach gegen deinen Willen tun. Ich mache das nicht gern, aber es gibt leider keinen anderen Weg.« Er wandte sich um. »Schwester Irmgard, bereiten Sie bitte alles zum Einführen einer Magensonde vor.«

      In diesem Moment sprang Martina aus dem Bett und wollte aus der Intensivstation entwischen, doch Dr. Daniel holte sie bereits nach wenigen Schritten ein. Ungeachtet der Tatsache, daß Martina strampelte und wie wild um sich schlug, verfrachtete er sie wieder ins Bett und hielt sie dort fest, bis Schwester Irmgard sie angeschnallt hatte.

      Wütend

Скачать книгу