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zeigte das Ende der Schicht an. Mit seinen Kollegen strebte Manfred dem Ausgang zu. Er ließ sich von der Menge treiben, weil er das Gefühl hatte, als könnte er seine Beine nicht mehr bewegen. Dann stand er vor dem Werkstor. Es waren nur knappe zweihundert Meter bis zur Bushaltestelle, trotzdem war es Manfred, als müßte er zu Fuß um den halben Erdball gehen.

      »Na, du Superkämpfer!«

      Die zynische Stimme ließ Manfred herumfahren. Er blickte in Jans Gesicht und sah dessen hochmütiges Lächeln, das er zutiefst verabscheute.

      »Was willst du von mir?« fragte er müde. Er hatte keine Lust, sich jetzt mit Jan auseinanderzusetzen.

      »Aha.« Wieder dieser zynische Ton und das herablassende Lächeln. »Ohne den Angeber Parker bist du wohl nicht so viel wert.« Jan schnippte mit den Fingern.

      Manfred winkte ab. »Laß mich in Ruhe.«

      Er drehte sich um und blinzelte, weil seine Augen vor Müdigkeit brannten. Die Bushaltestelle schien so weit entfernt, als läge sie auf dem Mond. Mühsam machte Manfred zwei Schritte. Er sah nicht, wie sich auf Jans Gesicht plötzlich ein bösartiges Lächeln ausbreitete.

      »Warte mal!« rief er.

      Manfred blieb zwar stehen, machte sich aber nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen.

      »Du siehst ziemlich müde aus«, stellte Jan fest, dann griff er in die Jackentasche und holte eine Tablettenschachtel hervor. »Ich habe da etwas, was dich schnell wieder auf die Beine bringen wird. Schließlich willst du heute abend doch fit sein.«

      Manfred schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht mehr zum Verein.« Er wollte schon sagen, daß Dr. Parker ihn wieder privat unterrichten würde, ließ es dann aber bleiben. Die Freundschaft, die ihn und Jeff verband, ging Jan nichts an. Jeff Parker war im Augenblick Manfreds einziger Halt. Abgesehen von der Freundschaft zu Jeff schien sein ganzes Leben grau und trostlos zu sein.

      »Trotzdem kann es nicht schaden, wenn du dich ein bißchen aufbaust«, erklärte Jan und riß Manfred damit aus seinen Gedanken. Er hielt ihm die Schachtel hin. »Da, nimm ein paar.«

      Manfred schüttelte den Kopf. »Ich brauche ein Bett, sonst nichts.«

      »Ach was!« warf Jan ein. »Du wirst sehen, wie fit du dich fühlst, wenn du…«

      Wieder schüttelte Manfred den Kopf, dann versuchte er seinen Weg fortzusetzen, doch seine Beine wollten ihm irgendwie nicht mehr gehorchen. Die letzte Doppelschicht war einfach zuviel für ihn gewesen, aber sein Vater, seine Stiefmutter und die vielen Geschwister brauchten das Geld, das er und seine Schwester Anita verdienten, dringend. Im Prinzip bräuchten sie sogar noch viel mehr, vor allem seit sein Vater arbeitslos geworden war.

      »Nimm schon«, drängte Jan wieder und drückte Manfred die Schachtel in die Hand.

      Der junge Mann betrachtete die Packung. Die Schrift verschwamm vor seinen Augen, und seine Hände zitterten ein wenig, als er eine Tablette herausnahm und in den Mund steckte.

      »Eine wird dir nicht viel helfen«, meinte Jan. »Du bist ja schon fast klinisch tot.« Er lachte über seinen Scherz, dann fügte er hinzu: »Nimm noch ein paar, dann ist die Wirkung größer.«

      Als Manfred keine Anstalten machte, seiner Aufforderung nachzukommen, nahm ihm Jan die Schachtel aus der Hand, drückte etliche Tabletten heraus und schob sie Manfred in den Mund. Mühsam würgte dieser die vielen Tabletten hinunter.

      Jan grinste verschlagen. »Du wirst sehen, in einer halben Stunde fühlst du dich wieder top-

      fit.«

      Manfred nickte nur. Im Moment war ihm alles egal. Er war nur müde. Mit Mühe brachte er den kurzen Weg bis zur Bushaltestelle hinter sich, wartete mit den anderen, bis der Linienbus hielt, stieg ein und ließ sich dann auf den nächstbesten Sitz fallen. In einer Viertelstunde würde er in Steinhausen sein, dann noch fünf Minuten zu Fuß bis nach Hause, wo sein Bett auf ihn warten würde.

      Doch bereits auf dem Nachhauseweg bemerkte Manfred, wie seine Müdigkeit verflog. Der Gedanke an sein Bett rückte wieder in weite Ferne. Er fühlte einen fast unheimlichen Tatendrang.

      »Was ist denn mir dir los?« wollte sein Vater wissen, als er am Tisch saß und sich dabei kaum ruhighalten konnte. »Nach zwei Doppelschichten solltest du doch eigentlich todmüde sein.«

      »Überhaupt nicht«, entgegnete Manfred aufgekratzt, dann erhob er sich abrupt. »Ich gehe noch für eine Stunde zu Jeff. Vielleicht hat er Zeit für ein kleines Training, bevor er zum Verein fährt.«

      Kopfschüttelnd blickte sein Vater ihm nach. Er selbst hatte lange Zeit in Schichten gearbeitet und wußte, wie sehr das an den Kräften zehrte. Aber vielleicht wurden junge Leute mit einer solchen Tätigkeit einfach besser fertig.

      *

      Dr. Parker war erstaunt, als er vom Dienst nach Hause kam und Manfred Steiner wartend vorfand.

      »Mit dir habe ich heute gar nicht gerechnet«, meinte er, während er die Haustür aufschloß. »Wenn ich recht informiert bin, hattest du heute doch schon wieder eine Doppelschicht.«

      Manfred nickte. »Aber ich fühlte mich topfit. Wenn du Zeit hast, würde ich gern ein bißchen trainieren.«

      Aufmerksam musterte Dr. Parker ihn. Manfred wirkte wie aufgedreht. Das war nach den letzten Tagen der Niedergeschlagenheit richtig auffallend, und es weckte in dem Arzt ein ungutes Gefühl.

      »Natürlich habe ich Zeit«, meinte er. »Jetzt ist es halb sieben, ich muß erst um acht beim Verein sein.«

      »Mußt du denn wieder als Trainer aushelfen?« wollte Manfred wissen, während er unruhig im Zimmer auf und ab ging.

      »Nein«, antwortete Dr. Parker, dann hielt er den jungen Mann am Arm fest. »Was ist mit dir los?«

      »Nichts«, behauptete Manfred. »Ich möchte nur endlich anfangen.«

      »Hast du Probleme zu Hause?« hakte Dr. Parker nach.

      Manfred löste sich aus seinem Griff, dann schüttelte er den Kopf. »Es ist wirklich nichts.« Er seufzte. »Komm schon, Jeff, ich möchte endlich was tun. Ich habe heute so lange am Fließband gestanden. Ich sehne mich nach Bewegung.«

      »Also schön«, meinte Dr. Parker, obwohl er spürte, daß mit seinem jungen Freund etwas nicht in Ordnung war. »Fang schon mal an, dich aufzuwärmen. Ich möchte nur eben einen Happen essen, dann bin ich für dich da.«

      Doch bereits die ersten Übungen gingen voll daneben. Manfred war extrem unkonzentriert, machte Flüchtigkeitsfehler und versagte schon bei den einfachsten Bewegungsfolgen. Dabei war er von einer so auffallenden Hyperaktivität, die ihn zwang, ständig in Bewegung zu sein.

      »Jetzt reicht’s!« erklärte Dr. Parker schließlich. »Ich will wissen, was mit dir los ist!«

      »Gar nichts«, versicherte Manfred wenig glaubhaft.

      »Das nehme ich dir nicht ab«, entgegnete Dr. Parker entschieden. »Du bist unkonzentriert, nervös und kannst dich keine Minute ruhighalten.«

      So unauffällig wie möglich versteckte Manfred seine bebenden Hände hinter dem Rücken. Obwohl er wußte, daß es völlig unsinnig war, denn schließlich hatte Dr. Parker es längst bemerkt. Seine innere Unruhe verstärkte sich noch. Er schaffte es nicht, seinen Blick längere Zeit auf einem bestimmten Punkt verweilen zu lassen.

      »Was ist jetzt?« hakte Dr. Parker nach. »Bekomme ich nicht mal mehr eine Antwort von dir?«

      Manfred zuckte die Schultern, dann hob er sekundenlang den Kopf, doch es gelang ihm nicht, Dr. Parker anzusehen. Er fühlte sich wie ein Hase, der von der Meute zu Tode gehetzt wird. Dr. Parker bemerkte, wie Manfred seinem forschenden Blick immer wieder auswich.

      »Hierher mit deinen Augen!« befahl er streng. »Na, los, schau mich an!«

      Manfred versuchte es ein zweites Mal, doch wieder glitt sein Blick ab. In diesem Moment legte Dr. Parker ihm eine Hand unter das Kinn und zwang ihn damit, ihn anzusehen.

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