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      Jetzt legte er einen Arm um ihre Taille. Ein überhebliches Lä-cheln lag dabei auf seinem Gesicht.

      »Da ist seit gestern wieder solo bin, könnten wir zwei doch mal einen Versuch wagen, was?«

      Martinas Herz klopfte rasend schnell.

      »Natürlich, Jan«, stammelte sie, und ihr Gesicht strahlte dabei vor Glück. Sie hatte es wirklich geschafft!

      Jan preßte sie an sich, bog mit einer Hand ihren Kopf ein wenig zurück und küßte sie. Es war genau das, wonach sich Martina immer gesehnt hatte. Trotzdem wollte sich das Gefühl süßer Liebe irgendwie nicht einstellen. Sie empfand Jans Kuß als zu hart… zu wenig zärtlich… Er war routiniert und lieblos.

      »Na, da mußt du wohl noch ein bißchen üben«, meinte er, als er sie losließ. »Deine Küsse sind ja nicht gerade berühmt.« Er lächelte mitleidig. »Ich schätze, es war dein erster.«

      Martina fühlte eine eisige Kälte in sich.

      Wieder zog Jan sie an sich und küßte sie, doch die Leere und Kälte in Martina wollte noch immer nicht weichen. Ihr Herz war wie verschlossen, und sie fühlte instinktiv, daß Jan nicht den Schlüssel besaß, um es zu öffnen. Trotzdem hielt sie an ihrer Liebe zu ihm fest. Sie wollte ihn lieben, um den einzigen Traum nicht zu verlieren, den sie jemals gehabt hatte.

      »Na, ihr zwei Turteltauben, könnt ihr euch für ein Weilchen trennen?« fragte einer der beiden Trainer lächelnd. »Ich denke doch, ihr seid hier, um Karate zu üben.«

      Mit dem ihm eigenen überheblichen Lächeln sah Jan ihn an. »Wo ist denn der Angeber Parker?«

      Der Blick des Trainers verschloß sich. »Jeff ist alles andere als ein Angeber. Er ist ein erstklassiger Karateka, und du solltest dich bemühen, von ihm zu lernen.«

      Jan zuckte die Schultern. »Ich denke nicht, daß ich es nötig habe, von dem was zu lernen.« Er lächelte Martina an. »Bin ich nicht schon perfekt, Schätzchen?«

      »Im Küssen vielleicht«, meinte der Trainer, bevor Martina zu einer Antwort ansetzen konnte, dann lächelte er wieder. »Heute läuft der Abend übrigens ein bißchen anders ab als sonst. Ich hatte gestern Geburtstag, und meine Frau hat sich die Mühe gemacht, für uns alle Kuchen zu backen. Wir werden mit dem Training eine halbe Stunde früher aufhören und uns dann mit den süßen Köstlichkeiten verwöhnen.«

      »Klingt verlockend«, urteilte Martina. Die Heißhungerattakken waren in den vergangenen Wochen noch stärker geworden, und immer öfter sehnte sich das junge Mädchen nach etwas Süßem. Es kam nicht selten vor, daß sie sich mit ein paar Schachteln Pralinen in ihrem Zimmer einsperrte, alles wahllos in sich hineinstopfte und nachher wie üblich zur Toilette ging. Doch die Befriedigung darüber war längst gewichen. Jedesmal, wenn sie von einer solchen Heißhunger-attacke überfallen wurde, hätte sie weinen können, und wenn sie allein war, tat sie es auch.

      Das Karate-Training lief an diesem Abend an Martina völlig vorbei. Sie konnte an nichts anderes mehr denken als an die Kuchen, die der Trainer versprochen hatte. Dann war es endlich soweit, und als Martina vor dem liebevoll aufgebauten Kuchen- und Tortenbuffet stand, hatte sie Mühe, nicht gleich alles wahllos in sich hineinzustopfen. Sie versuchte, den verführerischen Duft zu ignorieren, und nahm sich ein großes Stück Schwarzwälder Kirschtorte, außerdem einen Bienenstich und ein Stück Apfelkuchen mit viel Sahne.

      Manfred, der sie beobachtete, fragte sich, wie sie bei den Mengen, die sie offensichtlich noch immer verdrücken konnte, so viel abgenommen hatte. Martinas Disziplin, mit der sie das geschafft hatte, imponierte ihm zwar, dennoch hatte sie ihm im Grunde weit besser gefallen, als sie noch etwas pummeliger gewesen war.

      »Meine Güte, willst du das alles essen?« fragte Jan entsetzt, als sich Martina mit ihrem vollen Teller neben ihn setzte.

      Sie errötete, dann nickte sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Nach der langen Diät kann ich wohl ruhig mal ein bißchen sündigen. Es darf nur nicht zur Gewohnheit werden.«

      »Das hoffe ich. Ich will schließlich keine Tonne zur Freundin.«

      Die lieblosen Worte gaben Martina einen Stich, doch dann erstickte sie ihren Kummer über Jans mangelnde Liebe und ihre eigene Unzufriedenheit in Unmengen von Kuchen.

      »Menschenskind, Tina, dir muß doch schlecht davon werden«, befürchtete Jan, als sich Martina einen zweiten Teller voll Kuchen und Torten vom Buffet geholt hatte.

      Sie fühlte sich jetzt ein wenig besser und brachte es sogar fertig, glücklich zu strahlen. »Ach was, so schnell wird mir schon nicht schlecht.« Dann begann sie erneut mit Heißhunger zu essen.

      Fassungslos sahen die anderen ihr zu. Die meisten hatten schon nach dem ersten oder zweiten Stück kapituliert, doch Martina verspeiste scheinbar mühelos die reinsten Kuchenberge – Sahnetorten, Obstkuchen, gefüllte Schnittchen… alles durcheinander und in solchen Mengen, daß den anderen allein vom Zusehen übel wurde.

      Der einzige, der Martinas übermäßigen Appetit nicht mit Abscheu, sondern echter Besorgnis verfolgte, war Dr. Parker. Er war es auch, der Martina schließlich zu den Toiletten folgte. Sie hatte behauptet, sich nur mal schnell die Nase pudern zu müssen, doch Dr. Parker konnte die nach draußen dringenden Geräusche unschwer zuordnen. Er lehnte sich gegen die Wand und wartete, bis Martina die Damentoilette wieder verließ.

      »Es wundert mich nicht, daß dir nach diesen Unmengen von Kuchen und Torten übel geworden ist«, erklärte er.

      Erschrocken zuckte Martina zusammen, dann schüttelte sie den Kopf. »Mir war nicht übel.« Im selben Moment erkannte sie den Fehler, den sie gerade gemacht hatte. »Na ja, ein bißchen schon. Ich hatte wohl doch zuviel gegessen.« Sie lächelte bedauernd und zuckte die Schultern. »Ich mußte ziemlich lange auf Süßes verzichten. Da kannte ich heute wohl kein Maß mehr.«

      Dr. Parker glaubte ihr kein Wort.

      »Wie oft machst du das?« wollte er wissen.

      Unwillkürlich begann Martina zu frösteln. »Was?«

      »Essen und danach auf die Toilette gehen?«

      Martina erschrak zutiefst.

      »Ich mache das überhaupt nicht«, entgegnete sie und hoffte, daß ihre Stimme sicher genug klingen würde. »Mir war nach der vielen Sahne nur übel. Das ist doch eine ganz normale Reaktion des Körpers. Sie als Arzt sollten das ja eigentlich besser wissen.«

      »Eben«, meinte Dr. Parker. »Ich weiß es auch besser.«

      Martina begriff, was er meinte. Mit einem Ruck drehte sie sich um und wollte zu den anderen zurückkehren, doch Dr. Parker hielt sie fest.

      »Laß es bleiben, Martina«, riet er ihr. »Du machst dich auf diese Weise nur kaputt.«

      Wütend riß sich das junge Mädchen los. »Lassen Sie mich in Ruhe!« Dann lief sie zu den anderen. An der Tür geriet sie ein wenig ins Taumeln. Sie hielt sich am Rahmen fest, bis der leichte Schwindelanfall vorüber war, dann trat sie ein und setzte sich wieder auf ihren Platz. Sie fühlte schon wieder das aufsteigende Hungergefühl. Am liebsten hätte sie sich jetzt ein Stück Torte geholt, doch sie unterließ es vorsichtshalber wegen Dr. Parker. Als Jan sich verabschiedete und Martina besitzergreifend bei der Hand nahm, war sie fast froh darüber, obwohl sie unter seiner kühlen, lieblosen Art litt. Im Moment war ihr nur eines wichtig: Sie mußte weg von hier und durfte sich so schnell nicht wieder blicken lassen. Zunächst mußte sie diese Heißhungerat-tacken in den Griff bekommen. Sie durfte nicht noch einmal die Kontrolle über sich verlieren.

      *

      Es gelang Dr. Parker an diesem Abend nicht, das Erlebnis mit Martina zu vergessen. So blieb er auf dem Nachhauseweg vor der Villa von Dr. Daniel stehen. Er warf einen Blick auf die Uhr und zögerte. Es war bereits kurz nach elf. Jeff war nicht sicher, ob er um diese Zeit noch bei Dr. Daniel klingeln könnte. Andererseits ging ihm die junge Martina nicht aus dem Kopf, und schließlich war seine Sorge um das Mädchen größer als seine Bedenken.

      Dr. Daniel bemerkte sofort den sorgenvollen

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