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die Garderobe betreten und sah sich nach Jan um. Er saß auf einer der schmalen Bänke und schleuderte wütend die Schuhe von den Füßen.

      »Dieser Mistkerl!« schimpfte er. »Das wird er mir büßen!«

      »Ärgere dich nicht«, meinte Martina und versuchte ihre Stimme fest klingen zu lassen, was ihr mißlang. In Jans Anwesenheit war sie nicht mehr sie selbst. Da begann ihr Herz zu flattern, und ihre Knie zitterten so sehr, daß sie glaubte, nicht mehr stehen zu können. In diesem Moment hatte sie völlig vergessen, wie er sie gerade noch blamiert hatte.

      »Was willst du hier?« schnauzte Jan sie an.

      Er meint es nicht so, versuchte Martina sich einzureden. Er ist nur wütend auf Parker.

      »Was der Trainer mit dir gemacht hat, hat mir leid getan«, flüsterte Martina und setzte sich ihm gegenüber. Unwillkürlich lockerte sie ihren gelben Gürtel.

      Jan quittierte es mit einem spöttischen Lächeln. »Du gehst von Tag zu Tag mehr auseinander, scheint mir.«

      Martina wurde rot, Tränen schossen ihr in die Augen, aber Jan nahm gar nicht Notiz davon.

      »Verschwinde und laß mich allein«, verlangte er unwirsch.

      »Ich dachte…«, begann Martina, doch Jan ließ sie nicht aussprechen.

      »Überlaß das Denken lieber den Pferden, die haben größere Köpfe«, fiel er ihr grob ins Wort. »Und jetzt hau ab. Ich brauche dein Mitleid nicht.«

      Traurig drehte sich Martina um.

      An der Tür blickte sie noch einmal zurück, doch Jan war nicht mehr da. Sie hörte die Dusche rauschen. Mit einem tiefen Seufzer trat sie wieder in den Trainingsraum. Dabei war sie sich ihres Übergewichts so bewußt wie noch nie. Ursprünglich hatte sie gehofft, der Sport würde ihr beim Abnehmen helfen, doch genau das Gegenteil war der Fall. Jedesmal, wenn sie nach dem Karatetraining nach Hause kam, überfiel sie ein wahrer Heißhunger, und am nächsten Tag brachte sie dann zwei Kilo mehr auf die Waage. Zwei Kilo, die sie sich in den darauffolgenen Tagen mühsam wieder herunterhungerte, nur um sie nach dem nächsten Training erneut zuzunehmen. Es war frustrierend.

      Noch deprimierender aber waren die Freundinnen, die Jan in schöner Regelmäßigkeit anschleppte – Mädchen, so schlank wie Gazellen, mit dezent geschminkten Gesichtern…

      Wieder seufzte Martina. Was nützte es ihr, daß man sich trotz ihrer Jugend mit ihr über fast jedes Thema unterhalten konnte? Intelligenz war bei Männern offenbar nicht gefragt. Mannequinfigur und knackiger Po waren ihnen tausendmal wichtiger, und Martina verfügte weder über das eine noch über das andere.

      Ihr Blick blieb an dem Bild hängen, das der große Spiegel im Trainingsraum zeigte. In dem weißen Karateanzug wirkte sie noch unförmiger, als sie es ohnehin war.

      Ich bin häßlich, dachte Martina angewidert.

      Sie wandte sich von dem Spiegel ab. Sie erkannte nicht, was für ein hübsches Gesicht sie hatte – ein Gesicht, das viel Herzenswärme ausstrahlte. Und Augen, die so dunkelblau waren wie das Meer an seiner tiefsten Stelle – Augen, in denen man ertrinken konnte.

      »Martina, für die letzte Übung sollten wir uns zu zweit…«

      Das junge Mädchen fuhr erschrocken herum. Sie hatte Manfred nicht kommen hören.

      »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich wollte dich nicht erschrecken.« Er schwieg einen Moment. »Möchtest du mit mir…«

      »Nein«, fiel sie ihm ins Wort, dann drehte sie sich um und ging auf Dr. Parker zu.

      »Was Sie mit Jan gemacht haben, war gemein«, erklärte sie. Der junge Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, Mädchen, das war es nicht. Jan hat sich unfair verhalten und wurde dafür bestraft.«

      »Er wurde bestraft, weil Sie ihn nicht leiden können!« hielt Martina ihm vor. »Bei Ihrem Schützling hätten Sie es nicht getan.«

      »Eines mal vorweg«, entgegnete Dr. Parker ernst. »Manfred ist nicht mein Schützling.«

      »Aber Sie bezahlen ihm die Mitgliedschaft im Verein, weil er es sich sonst überhaupt nicht leisten könnte!« fuhr Martina auf.

      Unwillig zog Dr. Parker die Augenbrauen zusammen. »Armut ist nichts, wofür man sich schämen müßte. Im übrigen bist du inzwischen lange genug im Verein, um zu wissen, daß ich streng, aber gerecht bin. Hier im Trainingsraum gibt es für mich weder Sympathie noch Antipathie, sondern nur Karate. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird bestraft – gleichgültig, wer er ist und wie er heißt. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«

      Martina schluckte schwer. Sie wußte genau, daß der junge Arzt recht hatte, und sie spürte auch, daß sie mit ihrer Bemerkung zu weit gegangen war. Ihre Liebe zu Jan ließ jedoch nicht zu, daß sie sich bei Dr. Parker entschuldigte. Abrupt drehte sie sich um und verließ den Trainingsraum.

      Dr. Parker sah ihr nach, dann seufzte er. »Teenager. Manchmal scheint in ihren Köpfen doch einiges durcheinanderzugehen.«

      *

      Trübsinnig starrte Martina Greiff aus dem Fenster. Der Regen prasselte gegen die Scheibe und machte den Tag so trist und grau, wie es in ihrem Innern aussah. Neben sich auf dem Fensterbrett hatte sie eine Schachtel Pralinen stehen und erstickte ihren Kummer damit.

      »Wenn du so weitermachst, wirst du nie abnehmen.«

      Die spöttische Stimme ihrer Freundin Heike Riedl ließ Martina herumfahren. Brennende Röte überzog ihr Gesicht. Rasch räumte sie die Pralinen beiseite.

      »Mir war langweilig«, brachte sie mühsam hervor. Sie schämte sich, weil Heike sie beim Naschen erwischt hatte.

      »In einem solchen Fall solltest du besser ein Buch lesen, anstatt dich mit Süßigkeiten vollzustopfen«, riet Heike ihr, dann zuckte sie die Schultern. »Nun ja, irgendwie hat wohl jeder sein Päckchen zu tragen. Bei dir sind es die Pfunde, bei mir das Geld.« Sie bedachte Martina mit einem neidischen Blick. »Du hast in der Beziehung ja keine Sorgen. Die Oma liest dir jeden Wunsch von den Augen ab, nicht wahr?«

      Wieder errötete Martina. »Warum sagst du so etwas, Heike? Ich dachte, du wärst meine Freundin.«

      Heike winkte ab. »Vergiß es. Ich bin heute einfach nicht gut drauf.« Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf Martinas breites französisches Bett fallen. »Vorhin habe ich meine letzten Mäuse für eine CD ausgegeben.«

      »Soll ich dir was leihen?« bot sich Martina sofort an.

      Heike tat so, als würde sie zögern, dabei war sie genau aus diesem Grund zu Martina gekommen. Ihre Auslegung von Freunschaft bezog sich ausschließlich auf den materiellen Bereich.

      »Na ja, wenn du einen Hunderter flüssig hast«, meinte sie.

      »Natürlich«, stimmte Martina sofort zu, holte ihre Geldbörse und entnahm ihr einen Hundertmarkschein, den sie der Freundin gab.

      Heike schob das Geld in die Tasche ihrer hautengen Jeans, dann betrachtete sie Martina mitleidig. »Vielleicht sollte ich dir als Gegenleistung einen guten Rat geben. Wenn du bei Jan jemals was erreichen willst, mußt du deine Fettpolster abbauen.«

      Martina seufzte tief auf. »Wenn das so einfach wäre. Du weißt doch, wie viele Diäten ich schon angefangen habe, aber durchgehalten habe ich nie eine. Dafür esse ich einfach zu gern, und gerade bei Süßigkeiten kann ich nicht nein sagen.« Dann wurde ihr Gesicht entschlossener. »In den Sommerferien werde ich in die Waldsee-Klinik gehen und eine Diät machen. Vielleicht halte ich dort ja durch.«

      »Meine Güte, bist du naiv«, erklärte Heike kopfschüttelnd. »Glaubst du allen Ernstes, daß das etwas bringt? Tina, im Erdgeschoß der Klinik gibt es einen kleinen Kiosk, an dem du deine Gier nach Süßigkeiten jederzeit stillen kannst.«

      »Das werde ich nicht tun!« behauptete Martina, obwohl sie da-von durchaus nicht überzeugt war.

      »Doch, das wirst du«, entgegnete Heike. »Wenn du bloß Knäckebrot und Salat bekommst,

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